Nachtwache

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Vorbemerkung: Diese Geschichte ist ein bisschen anders als die meisten in dieser Kategorie. Sie ist verhältnismäßig lang und nicht dafür geeignet, sich schnell Erleichterung zu verschaffen. Wer aber Zeit und Lust hat, eine etwas ausführlichere Story zu lesen und ein bisschen mehr über die Charaktere zu erfahren als nur Geschlecht, Alter und sexuelle Vorlieben, der ist herzlich eingeladen, „Nachtwache“ zu lesen und eine konstruktive Kritik zu hinterlassen 😉

*

Ein Reihenhaus aus rotem Backstein, mit einem kleinen, gepflegten Vorgarten.

Ziemlich unspektakulär, wobei ich nicht wusste, was ich anderes erwartet hatte.

„Komm, Paulo. „

Mein Hund sprang schwanzwedelnd aus dem Auto und begann sofort, hochinteressiert den Gartenzaun zu beschnüffeln. Ich stieß das Tor auf (nicht das leiseste Quietschen), rief Paulo zu mir und ging mit schleppenden Schritten über den blitzsauberen Weg zur Haustür. Kein bisschen Unkraut wuchs zwischen den Steinfliesen. Hier war jemand darauf bedacht, alles top in Schuss zu halten.

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Familie Harms stand auf einem schlichten Messingschild über dem Klingelknopf. Ich tat einen tiefen Atemzug und hob schon den Finger, zögerte dann aber.

„Sitz“, sagte ich zu Paulo, aber der hatte mal wieder anderes im Sinn und untersuchte den Fußabtreter. Erst beim dritten Mal und einem leichten Klaps aufs Kreuz gehorchte er und nahm mustergültig neben mir Platz, die Brust herausgestreckt und die Ohren aufgestellt. Wenigstens einer von uns beiden sollte einen guten Eindruck machen.

„Dann mal los“, machte ich mir selbst Mut und klingelte, bevor ich es mir anders überlegen konnte.

Der schrille Ton drang gedämpft durch die Holztür an meine Ohren. Vielleicht eine halbe Minute, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, hörte ich nichts außer meinem Atem und meinem harten Herzschlag. Paulo gähnte und sah mich fragend an.

Dann erklangen Schritte und die Tür ging auf.

Vor mir stand eine Frau Mitte dreißig, mit aschblonden, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haaren und graublauen Augen in einem netten Gesicht. Sie war ein Stückchen kleiner als ich, weder dick noch dünn, mit einer durchaus fraulichen Figur, die durch ihre Kleidung nicht besonders betont wurde. Der graue, etwas ausgeleierte Pullover und die Jeans unterstrichen das Gesamterscheinungsbild einer freundlichen Hausfrau und Mutter.

Einen Augenblick schaute sie mich nur fragend an, aber dann ging ein Leuchten über ihr Gesicht.

„Anneke“, sagte sie erfreut und ich versuchte, zurückzulächeln.

„Genau“, antwortete ich.

„Ich bin Tanja, hallo. Herzlich Willkommen!“ Sie streckte mir die Hand entgegen und ich schüttelte sie. Ihr Griff war warm und fest und ich entspannte mich ein wenig. Die gefürchtete Begegnung blieb mir noch für eine kurze Zeit erspart.

„Ja, und wer bist du?“, wandte sie sich an meinen Hund, der bei ihrem Erscheinen aufgesprungen war und nur von meinem Klammergriff am Halsband daran gehindert wurde, Tanja zu beschnuppern und liebevoll abzuschlecken.

„Das ist Paulo“, stellte ich ihn vor und sah mit Erleichterung, dass Tanja meinem Hund genau so herzlich den großen Kopf kraulte, wie sie mir die Hand geschüttelt hatte.

„Ich hoffe, es ist kein Problem, dass ich ihn mitgebracht habe? Es gibt zu Hause niemanden, der auf ihn aufpassen könnte. „

„Ach was! So ein lieber Kerl, gegen den kann nicht mal Wolf etwas haben.

Und falls doch, lass es nur meine Sorge sein“, lachte sie. „Aber jetzt kommt erstmal rein, ihr zwei. Ist ja furchtbar ungemütlich draußen!“

Erleichtert, dass zumindest der Beginn des Wochenendes deutlich besser war als gedacht, trat ich aus dem schneidenden Herbstwind in das gut geheizte Haus. Während ich aus meinem Mantel schlüpfte und die Schuhe auszog, ließ ich den Blick durch den Flur schweifen. Die Einrichtung war zweckmäßig ohne Schnörkel — Garderobe, Schuhschrank, Beistelltisch mit Telefon und ein Spiegel — auf dem Telefontischchen aber stand eine kleine Vase mit einem Strauß Blumen, der den Hauch des Spartanischen deutlich abmilderte.

Ohne zu fragen, konnte ich mir denken, dass Tanja für diesen Tupfer Gemütlichkeit verantwortlich war.

„Schön, dass du da bist“, sagte sie, als sie mich ins Wohnzimmer führte, und das Strahlen in ihren Augen verriet mir, dass sie es ehrlich meinte. „Ich hab mich schon so darauf gefreut, dich endlich kennenzulernen. Bitte, setz dich doch. Möchtest du was trinken, essen…?“

„Ein Kaffee wäre toll“, sagte ich und hoffte inständig, dass sie meine Reserviertheit nicht falsch verstand.

Ich bin einfach nicht der Typ, der von Natur aus Charme und Herzlichkeit versprüht. Es dauert eine ganze Weile, bis ich in Gegenwart fremder Menschen auftaue. Aber wenn ich mich nicht sehr täuschte, musste sie solches Verhalten ja bestens gewohnt sein.

„Wo ist er eigentlich?“, fragte ich gespielt beiläufig, als Tanja aus der Küche zurück kam und ein Tablett mit einer Kanne Kaffee, zwei Tassen, Milch, Zucker und einem Teller Kekse auf dem schlichten schwarzen Couchtisch abstellte.

„Wolf? Ach, der steht grad bestimmt noch auf der Brücke von 'nem Frachter. Er hat mir aber versprochen, dass er heute früher nach Hause kommt. „

Dass er ausgerechnet heute zur Arbeit gegangen war, überraschte mich nicht, um ehrlich zu sein war ich ihm sogar dankbar, dass er mir noch eine Schonfrist gewährte. Das Einzige, was mich überrascht hatte, war die Einladung gewesen. Aber vielleicht stammte die Idee ja auch von Tanja.

„So“, sagte Tanja und beugte sich gespannt in ihrem Sessel vor, „jetzt möcht ich aber ein bisschen über dich erfahren. Wolf hat erzählt, du hast letztes Jahr deinen Master in marinen Umweltwissenschaften gemacht?“

„Hat er?“, fragte ich erstaunt zurück. Dass er sich anscheinend dafür interessierte, was ich tat, freute mich. Dann fing ich mich wieder.

„Äh, ja. Stimmt. Jetzt bin ich wieder von Oldenburg nach Kiel gezogen und hab eine Stelle beim GEOMAR.

In der folgenden guten Stunde unterhielten Tanja und ich uns sehr angeregt über alles Mögliche. Während ich Paulo daran hinderte, sich auf die Kekse zu stürzen, berichteten wir uns gegenseitig von unserer Arbeit — Tanja war Grundschullehrerin — , ich erfuhr, was sich in Hamburg alles getan hatte in den ungefähr sieben Jahren, die ich nicht hier gewesen war, und nicht zuletzt erzählte sie mir, wie Wolf mit seinem neuen Leben zurecht kam.

„Auch wenn er meint, ich merk 's nicht, aber er vermisst das offene Meer. Statt die großen Pötte nur sicher rein und raus aus dem Hafen zu bringen, würd er viel lieber ganz das Kommando übernehmen und noch mal rund um die Welt fahren. “ Etwas Schwermut legte sich über ihr freundliches Gesicht, aber im nächsten Moment musste sie schon wieder schmunzeln.

„Weißt du was? Er hat sich einen alten Krabbenkutter gekauft.

Jede freie Minute pusselt er auf dem Ding rum und wenn er mal 'nen freien Tag hat, schippert er damit raus, einfach nur so. “ Sie nickte nachdenklich.

„Ja ja, vom Kapitän zum Lotsen — leicht ist ihm das nicht gefallen. „

Das hörte sich genau so an, wie ich es erwartet hatte und ich fragte mich, ob das mit den beiden auf die Dauer gut gehen konnte.

Immerhin, er schien ja so was wie einen guten Willen zu besitzen, aber ob das reichte?

Meine Gedanken wurden abrupt unterbrochen, als ich einen Schlüssel an der Haustür hörte. Paulo bellte verhalten und Tanja sah mir besorgt ins Gesicht.

„Anneke, Kind, ist was mit dir? Du bist so blass. „

„Alles okay“, lächelte ich sie etwas gequält an. Wie konnte man sich bloß freuen und gleichzeitig Angst haben? Das war lächerlich, vor allem meine Angst war lächerlich.

Oder war ich einfach nur fürchterlich aufgeregt?

Langsam stand ich auf, während Tanja in den Flur huschte. Ich hörte Stimmen, Tanjas helle, die etwas murmelte und eine sehr viel tiefere, die eine kurze Antwort brummte.

Dann durchquerten schwere Schritte den kurzen Flur und in der Wohnzimmertür erschien Wolf Harms, ehemals Kapitän großer Frachtschiffe und nun Hamburger Lotse. Mein Vater.

Für fünfundfünfzig sah er noch ziemlich gut aus.

In seinen blauschwarzen, leicht gewellten Haaren zeigte sich zwar schon hier und da ein grauer Schimmer, genau wie in seinem Vollbart, aber dadurch wurde sein beeindruckendes Erscheinungsbild nicht im geringsten herabgestuft, eher im Gegenteil. Die kräftigen Augenbrauen senkten sich wie eh und je über seine dunkelbraunen, nicht selten stechend blickenden Augen, was seinem Gesicht einen insgesamt finsteren Ausdruck verlieh. Er war kein Riese, aber immerhin gut 1,80 m groß, sodass ich ihm knapp über die Schulter reichte.

Und er schien immer noch sehr gut in Form zu sein, denn unter seinem hellen Pullover zeichnete sich kein Gramm Fett zu viel ab, dafür aber eine schön ausgeprägte Muskulatur.

Nach sieben Jahren standen wir einander zum ersten Mal wieder gegenüber. Er schaute erst mich an, dann warf er meinem Hund einen kurzen Blick zu und augenblicklich legte Paulo sich ohne einen Mucks flach auf den Boden. So unterwürfig erlebte ich ihn sonst nie.

„Er hat keinen Krümel Dreck reingeschleppt, ehrlich“, sagte ich nervös, befürchtend, mein Vater könnte das arme Tier kurzerhand vor die Tür setzen wollen.

Erst hob er verblüfft die Augenbrauen. Dann lächelte er und mir fiel ein ganzes Gebirge vom Herzen.

„Schon gut“, sagte er bloß. Ich wusste noch, wie tief und rau seine Stimme war, aber trotzdem zuckte ich innerlich zusammen, als ich sie hörte.

Er hätte gut einen strengen Weihnachtsmann spielen können, aber das einzige Mal, das er Weihnachten bei uns verbrachte, glaubte ich schon lange nicht mehr an diese Dinge.

Er ging auf mich zu, ich befahl meinen Beinen, sich ebenfalls zu bewegen. Wir gaben uns die Hand und ich zwang mich dazu, seinen Blick zu erwidern. Er sah freundlich aus, das beruhigte mich etwas, wiegte mich aber längst nicht in Sicherheit. Früher oder später würde bestimmt irgendetwas oder irgendjemand sein Missfallen erregen und dann war es vorbei mit der guten Stimmung.

Er war zwar nie handgreiflich geworden, zumindest mir gegenüber nicht, aber das Donnerwetter, was er loslassen konnte, war mindestens so schlimm wie Prügel.

„Anneke. Schön, dich zu sehen. „

Ich machte den Mund auf, aber eine Anrede wie „Vater“ oder womöglich „Papa“ wollte mir nicht über die Lippen. Ehrlich gesagt, konnte ich mich nicht entsinnen, ob ich überhaupt je eine bestimmte Anrede für ihn benutzt hatte.

„Gleichfalls“, erwiderte ich schließlich.

„Gut siehst du aus. Hast dich nicht viel verändert. „

„Du schon“, meinte er. „Bist ziemlich erwachsen geworden. „

„Ach…“, machte ich, unschlüssig, was ich darauf sagen sollte.

Er ließ sich in den Sessel fallen, in dem vorhin Tanja gesessen hatte und schlug entspannt die Beine übereinander. Möglichst unverkrampft setzte ich mich ihm gegenüber.

Tanja steckte kurz den Kopf herein.

„Ich bin in der Küche, ihr zwei“, sagte sie fröhlich. „Muss das Abendessen fertig haben, bis der Rest kommt. Aber ihr habt euch ja sowieso viel zu erzählen. „

Wir nickten ihr zu und sie verschwand wieder.

„Wer kommt denn noch alles?“, fragte ich meinen Vater.

Er verdrehte kurz die Augen. „Die lieben Schwiegereltern“, antwortete er mit unüberhörbarer Ironie. „Fahren aber morgen früh schon wieder ab.

Das „Zum Glück“, was er nicht aussprach, konnte ich nur zu deutlich in seinem Gesicht lesen.

„Tut mir übrigens Leid, dass ich nicht zu eurer Hochzeit kommen konnte“, platzte ich heraus.

Er winkte nur ab. „Hattest ja auch 'nen guten Grund. Der Beruf geht vor, ist… war bei mir ja nicht anders. “ Plötzlich leuchteten seine Augen interessiert auf und er beugte sich vor.

„Du hast geschrieben, du warst auf Forschungsreise?“

„Ja“, nickte ich, „sechs Wochen auf dem Atlantik. „

„Und was genau hast du gemacht?“

Sein Interesse kam nicht von ungefähr, ihm war anzusehen, wie es ihn freute, dass ich seine Liebe zum Meer anscheinend geerbt hatte. Und mit niemand anderem, außer meinen Kollegen, hätte ich mich so angeregt über Seereisen austauschen können.

Wir hatten uns eine ganze Weile unterhalten, als er unvermittelt fragte: „Hast du deine Schwester schon gesehen?“

Ich saß da wie vom Donner gerührt.

Das Baby! Der Anlass, weshalb ich eigentlich hergekommen war — und ich hatte mich bei Tanja nicht mit einer Silbe danach erkundigt. Nicht mal nach ihrem eigenen Befinden hatte ich sie gefragt. Zu sehr war mein Kopf eingenommen gewesen von dem Gedanken, nach einer halben Ewigkeit meinen Vater wiederzusehen. Hoffentlich nahm sie es mir nicht allzu übel. Ich hätte mich ohrfeigen können.

Stattdessen schüttelte ich nur den Kopf und wappnete mich innerlich gegen die drohende Explosion.

Die allerdings blieb erstaunlicherweise aus, er runzelte nur etwas die Stirn.

„Nicht?“, fragte er und stand auf. „Dann komm. Ich wette, ihr werdet euch mögen. „

Ich befahl Paulo, im Wohnzimmer zu bleiben und folgte meinem Vater die gewundene Treppe im Flur hinauf in den ersten Stock. Die Tür gegenüber der Treppe war nur leicht angelehnt, er stieß sie auf und betrat das Schlafzimmer, was genauso schlicht und zweckmäßig eingerichtet war wie die übrigen Räume.

Dem Ehebett gegenüber stand ein kleines Gitterbettchen und darin lag ein schlafendes Baby. Meine drei Wochen alte Halbschwester.

Er trat leise ans Bett und betrachtete das Kind. Verstohlen beobachtete ich ihn und versuchte, seinen Blick zu deuten. Mich hatte er zum ersten Mal gesehen, als ich etwas über ein Jahr alt war. Meine Mutter und er hatten nie geheiratet — „Gott sei Dank nicht!“, wie meine Mutter immer sagte. „Ich mit diesem Ekel und Tyrann, das hätte nur Mord und Totschlag gegeben!“ Seltsamerweise teilte ich nie ihren Groll gegen meinen Vater.

Gut, ich bekam ihn nur äußerst selten zu Gesicht, weil er mehr auf See war als sonst wo und wenn er da war, schien er nicht viel mit mir anfangen zu können, zumindest nicht, als ich noch klein war. Aber er vergaß nie, für mich Unterhalt zu zahlen und je älter ich wurde, desto besser kamen wir miteinander zurecht — wenn man einmal davon absieht, dass unsere Begegnungen meist im Streit endeten, weil er so leicht wütend wurde.

Im Prinzip war es für ihn das erste Mal, dass er Vater wurde, einer, der sieht, wie sein Kind groß wird. Und genau das las ich in seinen Augen: Staunen über das Wunder des Lebens, zu dessen Entstehung er beigetragen hatte, eine Prise Angst vor der Verantwortung, aber auch Stolz.

„Ich hab sie noch kein einziges Mal schreien gehört, seit ich hier bin“, flüsterte ich ihm zu.

Er nickte ernsthaft. „Ja, dieses Kind ist ein Phänomen. Eigentlich schläft sie fast immer und wenn sie mal nicht schläft, trinkt sie Milch. Hat gar keine Zeit zum Schreien. Fantastisch. „

Ich verkniff mir ein Grinsen. „Ja, fantastisch. „

In diesem Moment wachte das Baby auf und blinzelte uns ein wenig verschlafen mit seinen großen dunklen Augen an. Dann lächelte es.

„Schau mal, sie mag dich“, sagte mein Vater und ich gab nur zurück: „Ich glaube eher, sie meint dich.

„Hallo Lina“, sagte er mit beinahe sanftem Tonfall zu dem Kind, „deine Schwester ist hier. „

Vorsichtig hob er das Baby aus dem Bettchen und nahm es auf den Arm. Mit seinen riesigen Pranken hätte er das winzige Ding ohne Weiteres zerquetschen können, aber er machte seine Sache wirklich gut und hielt seine Tochter sehr behutsam fest. Ich musste unwillkürlich lächeln, als ich die zwei betrachtete, das Bild hatte etwas Rührendes.

Gleichzeitig fühlte ich mich ein wenig traurig, mich hatte schließlich nie ein Vater so auf dem Arm gehabt… Unsinn, wies ich mich zurecht. Was man nicht kennt, kann man nicht vermissen, schon gar nicht im Nachhinein.

„Willst du sie mal halten?“, fragte er plötzlich.

Erschrocken wich ich ein Stück zurück. „Nein. „

Ich hatte zu abwehrend geklungen und bereute es noch im selben Moment, als ich es aussprach.

Sofort verfinsterte sich sein Gesicht. „Warum nicht?“

„Ich möchte es einfach nicht, okay? Reg dich doch nicht auf. „

Meine begütigenden Worte schienen es eher noch schlimmer zu machen.

„So, du möchtest es nicht, was? Und warum? Kannst du deine Schwester nicht leiden?“ Er wurde lauter und ich zunehmend verzweifelter.

„Nein…“

„Du magst sie nicht, weil du eifersüchtig bist! Eifersüchtig auf ein unschuldiges Kind!“

„Nein!“

Lina gab ein kleines, klagendes Geräusch von sich, was mein… unser Vater aber überhaupt nicht bemerkte in seiner Wut.

Nicht mehr lange, und sie würde anfangen zu weinen.

„Jetzt gib 's wenigstens zu!“, schnauzte er mich an, aber ich hatte genug.

„Stopp!“, sagte ich fest und erwiderte ruhig seinen bösen Blick. „Weißt du, warum ich Lina nicht halten möchte? Weil ich Angst habe, etwas falsch zu machen. Ich hatte noch nie ein Baby auf dem Arm und will ihr nicht wehtun. „

Ein paar Herzschläge lang blickten wir einander nur in die Augen und erleichtert sah ich, wie das zornige Glühen in seinen Augen fast so schnell erlosch, wie es gekommen war.

„So“, sagte er schroff, um seine Verlegenheit zu überspielen, „deshalb also. „

Ich nickte. Es stimmte, was ich gesagt hatte. Warum hätte ich Groll gegen ein Neugeborenes hegen sollen?

„Ist ganz einfach“, lächelte er mich an, jetzt wieder versöhnlich. „Du musst nur aufpassen, dass du ihren Kopf abstützt. Willst du 's nicht doch mal probieren? Ich hab 's doch auch hingekriegt. „

Was sollte ich machen, wenn ich nicht weiteren Streit wollte?

„Okay“, sagte ich und trat einen Schritt auf ihn zu.

Vorsichtig legte er mir das kleine Bündel in die Arme und ich war überrascht, wie leicht und weich es sich anfühlte.

„Siehst du“, sagte er zufrieden.

Es war ein schönes Gefühl, das Baby zu halten. Meine Halbschwester, machte ich mir klar. Sie sah mich an mit ihren schönen Augen, so, wie nur Babys einen anschauen können. Ich verlor mich fast in ihrem Blick. Ihre Augen waren nicht ganz so dunkel wie meine, eher wie die ihres Vaters.

Je nach Lichteinfall schimmerten sie mal dunkelbraun, mal rötlich, mal bernsteinfarben. Auf ihrem Köpfchen wuchs schon ein zarter dunkler Flaum, der wohl in absehbarer Zeit zu einem schwarzbraunen Lockenschopf werden würde, ähnlich wie bei mir.

Ich lächelte sie an und sie lächelte zurück. Mit dem Zeigefinger streichelte ich sachte über eines ihrer winzigen Händchen, sofort griff sie danach und hielt ihn in einem zarten Klammergriff fest.

„Ich dich auch, Lina“, sagte ich sanft.

Wie konnte man etwas anderes als Zuneigung zu so einem kleinen Wesen empfinden?

Ich hob den Kopf und sah unseren Vater an, der uns mit freundlichen, fast liebevollen Gesichtsausdruck betrachtete.

„Du hast doch nichts dagegen, wenn ich sie mitnehme?“, witzelte ich. „Ich lass euch auch den Hund da. „

Er schmunzelte und legte mir die Hand auf die Schulter. „Ich denk drüber nach, wenn sie sich doch das Schreien angewöhnt.

Wir fuhren beide zusammen, als es an der Haustür klingelte. Paulo bellte und wir hörten, wie die Küchentür aufging.

„Ich geh schon!“, rief Tanja.

Mein Vater und ich wechselten einen Blick.

„Da sind auch schon die stolzen Großeltern“, brummte er. „Was meinst du, sollen wir Lina gleich mit runter nehmen? Immerhin ist sie ja die Hauptperson dieser Willkommen-auf-der-Welt-Feier.

„Find ich 'ne gute Idee“, sagte ich und gab ihm das Baby behutsam wieder zurück. Ich fand es schade, dass jetzt, wo seine Schwiegereltern da waren, unsere mehr oder minder traute Zweisamkeit schon wieder ein Ende haben sollte. Der Bammel, den ich vor unserer Begegnung gehabt hatte, war ziemlich verflogen, unsere Unterhaltung hatte mir Spaß gemacht — und ihm anscheinend auch. Nicht zu vergessen war ich auch kein hilfloses Kind mehr, das einem zornigen Vater kein Paroli bieten kann.

Als wir ins Erdgeschoss kamen, waren Tanjas Eltern gerade dabei, ihre Mäntel auszuziehen und warfen meinem Hund misstrauische Blicke zu, der ihnen freundlich mit dem Schwanz wedelnd den Weg versperrte. Einen besonders netten Eindruck machten die zwei nicht auf mich, was aber auch daran liegen konnte, dass ihnen ihr Schwiegersohn nicht passte.

Tanjas Vater, ein mittelgroßer Herr um die sechzig mit korrektem Seitenscheitel, im Gegensatz zu meinem nicht sehr viel jüngeren Vater aber schon vollständig ergraut, runzelte leicht die Stirn, als er uns sah.

„Guten Tag“, sagte er höflich und gab meinem Vater die Hand. „Ich wusste gar nicht, dass ihr euch einen Hund angeschafft habt. „

„Oh, das ist meiner“, sagte ich schnell, zwängte mich an den beiden vorbei und scheuchte Paulo zurück ins Wohnzimmer.

Die Stirn von Tanjas Vater schlug noch mehr Falten. „Ah ja. Und Sie sind…?“

„Anneke“, sagte mein Vater und in seiner Stimme schwang ein unüberhörbares Knurren mit, das sich allerdings nicht gegen mich richtete.

„Meine Tochter. „

„Guten Tag“, grüßte ich und reichte mit einem so herzlichen Lächeln wie möglich erst Tanjas Vater, dann ihrer Mutter die Hand. „Freut mich sehr, Sie kennenzulernen. „

Wenigstens die alte Dame lächelte zurück, wenn auch verhalten. „Hannelore Winter“, stellte sie sich vor und warf ihrem Mann einen bittenden Blick zu.

„Georg Winter“, sagte dieser mürrisch und wandte sich dann an meinen Vater, „So, du hast schon eine Tochter?“

Ich sah, wie ein Unwetter in dessen Gesicht aufzog, aber zum Glück rief in diesem Moment Tanja aus der Küche: „Ja, stellt euch mal vor, ich bin gewissermaßen Stiefmutter! Lustig, nicht?“

Was daran lustig sein sollte, verstand zwar keiner von uns, aber immerhin hatte es meinem Vater etwas den Wind aus den Segeln genommen und als Hannelore dem Baby auf seinem Arm endlich die gebührende Bewunderung entgegen brachte, schien er sich wieder vollständig zu beruhigen.

Ich nutzte die Gelegenheit und verschwand in der Küche um Tanja meine Hilfe anzubieten.

„Oh ja, das ist lieb von dir“, freute sie sich. „Bin gleich fertig, wenn du schon mal den Tisch decken magst?“

Mittlerweile war fünf Uhr vorbei und draußen war es dunkel. Ich deckte den kleinen Tisch in der Essecke für fünf Personen und genoss den kurzen Moment der Ruhe, wohlwissend, dass dieser Abend nicht spannungsfrei ablaufen würde.

Dafür war die Abneigung zwischen Georg Winter und meinem Vater zu groß und mich schien er auch nicht zu mögen. Wer darunter würde zu leiden haben, waren Tanja und ihre Mutter, was mir jetzt schon Leid tat.

„Du Tanja“, sagte ich zögernd, als ich die Kartoffeln auf den Tisch stellte, „ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll. Ich war vorhin irgendwie völlig daneben und hab gar nicht nach dem Kind gefragt und wie es dir geht…“

Zu meiner Erleichterung fing sie an zu lachen.

„Ach Anneke, ich bin froh, dass du das nicht getan hast. Alle Welt hat mir in letzter Zeit ständig dieselben Fragen gestellt, als wenn das ein Pflichtprogramm wäre, was man abspulen muss. Furchtbar! Nein, ich fand es herrlich, mich mal wieder normal mit jemandem zu unterhalten. Danke dir!“

„Echt?“, fragte ich noch etwas unsicher. „Ich hatte schon Angst, dass du verletzt bist…“

Sie ließ den Putenbraten auf der Arbeitsplatte stehen und nahm mich in die Arme.

„Unsinn. Du machst dir viel zu viele Gedanken, genau wie dein Vater. „

Ich erwiderte scheu ihre Umarmung. „Ich wünsch euch alles Gute. Ihr habt ein tolles Kind. Auch wenn Lina noch so klein ist, aber sie ist jetzt schon wunderbar. „

Sie lachte und drückte mich noch einmal, dann ließ sie mich los. „Danke, Anneke. Das ist lieb. So“, sie sah sich prüfend um und strich sich die Haare aus der Stirn, „jetzt noch den Braten auf den Tisch und dann können wir, oder nicht? Magst du die andern reinholen?“

Mein Vater und seine Schwiegereltern hatten sich ins Wohnzimmer gesetzt.

Bevor ich hinein ging, blieb ich erst mal vor der angelehnten Tür stehen und lauschte. Offenbar war Hannelore die Einzige, die den Versuch eines Gespräches machte, indem sie stockend etwas über die Entwicklung von Kindern erzählte. Hin und wieder brummte mein Vater etwas wie „Hm. „. Von Georg war überhaupt nichts zu hören. Na großartig.

Ich klopfte leise an die Tür bevor ich in den Raum trat. „Das Essen ist fertig“, verkündete ich und dachte, dass ich mich beinahe anhörte wie ein Dienstmädchen — „Wenn die Herrschaften bitte zu Tisch kommen wollen.

Etwas steif standen die drei auf und begaben sich in die Küche. Die Stimmung schien wirklich sehr frostig zu sein. Blieb nur zu hoffen, dass sie beim Essen etwas auflockerte.

Paulo trottete auf mich zu und stupste mich erwartungsvoll mit der Schnauze an.

„Ja, mein Lieber, du kriegst auch was“, murmelte ich. Zum Glück hatte ich vorhin meinen Rucksack gleich mit ins Haus genommen, darin hatte ich seinen Fressnapf und ein paar Dosen Hundefutter verstaut.

Ich stellte ihm etwas in den Flur und beeilte mich dann, in die Küche zu kommen.

Das Essen war wirklich lecker, aber keiner von uns konnte es so richtig genießen. Es lag eine unangenehme Spannung im Raum, die jedem auf die Nerven ging, außer Lina. Nachdem Tanja sie gestillt hatte, war sie friedlich in ihrer Tragschale auf der Sitzbank zwischen ihren Eltern eingeschlafen. Ich saß neben Tanja, mir gegenüber hatten Georg und Hannelore Platz genommen.

Die beiden Frauen unterhielten sich gespielt zwanglos über dieses und jenes, ich weiß nicht mehr, was. Tanjas Vater vertrieb sich die Zeit damit, mich mit strenger Miene beim Essen zu beobachten, mein Vater hatte längst auf Durchzug geschaltet und ich traute mich nicht, was zu sagen, weil ich mich wie das fünfte Rad am Wagen fühlte. Kurz gesagt, es war wahnsinnig gemütlich.

Mir fiel fast die Gabel aus der Hand, als Georg Winter mich plötzlich direkt ansprach.

„Was machen Sie eigentlich beruflich?“

„Ich?“, fragte ich etwas dümmlich zurück, fing mich aber schnell wieder. „Ich bin Umweltwissenschaftlerin. „

Er nickte. „Aha, Sie haben studiert. „

Ob er das jetzt gut oder schlecht fand, war nicht ersichtlich. Ich beschloss, ersteres anzunehmen.

„Welches Fachgebiet?“, fragte er weiter und spießte eine Kartoffel auf seine Gabel.

„Meereskunde.

“ Ich hatte den Eindruck, dass er irgendetwas mit diesem Verhör bezweckte, mir war nur nicht klar, was. Mein Vater hatte den Kopf gehoben und warf ihm einen schrägen Blick zu. Offenbar dachte er das Gleiche wie ich.

„So, interessant“, bemerkte Georg. „Dann sind Sie sicher auch viel auf See, nicht wahr?“

Ich zuckte mit den Schultern. Auch? „Kommt durchaus vor“, erwiderte ich vage.

Er lächelte, als wollte er eine witzige Bemerkung machen.

„Das liegt wohl im Blut, dieses… Seefahrer-Gen. Lieber draußen in der Ferne, als daheim bei den Lieben. Ja ja…“

Mit einem Mal hatte seine Stimme einen unterschwellig bösartigen Klang angenommen.

Mein Vater richtete sich langsam auf und sah ihn direkt an. „Worauf willst du hinaus?“, fragte er gefährlich ruhig.

„Ich bitte dich“, antwortete Georg betont freundlich. „Ich unterhalte mich lediglich ein wenig mit deiner Tochter.

Die dir, wie ich finde, erstaunlich ähnlich ist, obwohl sie sich wohl nicht viel von dir hat abschauen können. So selten, wie du vermutlich zu Hause warst…“

Mein Vater ließ klirrend Messer und Gabel fallen, worauf Tanja aufsprang und mit übertriebener Fröhlichkeit verkündete, sie würde jetzt den Nachtisch holen. Aber das Unglück war nicht mehr aufzuhalten, nicht einmal durch Mousse au Chocolat. Jetzt, so war ich mir sicher, hatte Georgs letztes Stündchen geschlagen.

Aber ich irrte mich. Mein Vater suchte meinen Blick.

„Was sagst du dazu?“, herrschte er mich an, als hätte ich ihm den versteckten Vorwurf gemacht.

„Wolf, bitte“, versuchte Tanja mir aus Richtung Kühlschrank zu Hilfe zu kommen und ihre Mutter sagte: „Ach Kinder, es war doch grad noch so gemütlich. “ Die Frau hatte Humor.

Ich wäre am liebsten sofort ins Auto gesprungen und mit Vollgas nach Hause gefahren, aber ich konnte mich keinen Millimeter vom Fleck rühren.

Er hielt mich mit seinen zornfunkelnden Augen gnadenlos fest und kauerte auf seinem Platz wie ein Raubtier, das bereit ist zum Sprung auf die Beute.

„Na los!“, donnerte er, als ich immer noch keinen Ton von mir gab und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die Teller klirrten und Lina mit einem Wimmern aufwachte.

„Sag 's schon! Sag mir ins Gesicht, dass ich ein schlechter Vater bin!“

„Mein Lieber“, mischte sich Hannelore tapfer ein, „es hat doch hier niemand behauptet…“

„Schnauze!“

Auf diesen groben Ausdruck — den er nur aus seiner Wut heraus gesagt hatte — folgten einige empörte Ausrufe von Tanja und ihrem Vater, während ihre Mutter nur erschrocken auf ihrem Platz zusammensank.

Er kümmerte sich nicht darum, sondern starrte mich an, die Augen fast zu Schlitzen zusammengekniffen.

„Du denkst doch genau wie er! Dann sprich es auch aus“, zischte er.

Ich holte tief Luft und erwiderte seinen Blick so fest ich konnte.

„Du warst kein schlechter Vater“, sagte ich langsam. Eine kurze Pause folgte, in der alle die Luft anzuhalten schienen, weil sie spürten, dass noch etwas kommen musste.

Ich schloss kurz die Augen und setzte dann hinzu: „Du warst überhaupt kein Vater. „

Es war erstaunlich, wie still es nach diesem Satz in der Küche wurde. Man hätte die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören können. Selbst Georg, der diese Katastrophe — willentlich oder nicht — herbeigeführt hatte, war sprachlos.

Das Gesicht meines Vaters war zunächst ruhig, so ruhig, dass ich dachte, der Sturm hätte sich wieder gelegt.

Dann aber sprang er unvermittelt auf und drängte sich aus der Sitzecke heraus, so grob, dass er Tanjas und mein Geschirr zu Boden fegte. Teller und Gläser zerbrachen scheppernd. Hätte ich nicht rechtzeitig die Flucht ergriffen, er hätte mich ebenfalls ohne jede Rücksicht zur Seite gestoßen.

Tanja und ihre Mutter schrien auf, Lina weinte lauthals, Georg schimpfte irgendetwas, Paulo bellte — nur ich stand stumm mit dem Rücken an die Wand gepresst und sah mit hart schlagendem Herzen zu, wie mein Vater mit versteinertem Gesicht aus der Küche stürmte.

Am Poltern im Flur hörte ich, wie er ungeduldig in seine Stiefel fuhr und schließlich seinen Mantel überwarf. Tanja lief ihm nach und flehte ihn weinend an, sich zu beruhigen, aber er reagierte überhaupt nicht. Im nächsten Augenblick fiel die Haustür krachend ins Schloss.

Ich hatte das Gefühl, in einem Albtraum zu stecken. Was war da eben in ihn gefahren, mich anzugreifen, obwohl sein Schwiegervater… Und was war in mich gefahren, so etwas zu sagen?

Wir sind uns wirklich ähnlich, dachte ich bitter.

Wir sind beide verdammt ungerecht, wenn wir streiten.

Tanja kam langsam zurück in die Küche, in der es aussah wie auf einem Schlachtfeld. Scherben und Essensreste hatten sich fast über den ganzen Boden verteilt. Wie betäubt ließ sie sich auf einen Stuhl sinken und weinte. Es war ein leises, verzweifeltes Weinen, was mir einen Stich versetzte. Dazu das Schreien des Babys — letzten Endes war es alles meine Schuld. Wäre ich nicht hier gewesen an diesem Abend, der eigentlich fröhlich hätte verlaufen sollen, dann…

„Nun wein mal nicht“, sagte Hannelore etwas hilflos.

„Der kommt schon wieder. „

Ihr Mann lachte nur hart auf. „Ich bin mir nicht sicher, ob wir uns das wünschen sollen. “ Unwirsch sah er seine Tochter an. „Ja, jetzt ist das Gejammer groß. Ich hab dir gleich gesagt, lass die Finger von dem Kerl, der ist nicht in Ordnung. Das hast du jetzt davon!“

Ich hielt es hier drin nicht mehr aus. Entschlossen machte ich einen Schritt nach vorn und legte Tanja die Hand auf die Schulter.

„Es tut mir Leid“, sagte ich stockend. „Ich werd mit ihm reden, er kann ja noch nicht weit sein. „

Erschrocken sah sie zu mir auf, eine Träne rann langsam über ihre Wange. „Lieber nicht“, bat sie mich. „Lass ihn lieber in Ruhe. „

„Schon gut, ich hab keine Angst vor ihm“, beruhigte ich sie, drückte noch einmal ihre Schulter und verschwand dann schnell aus der Küche.

Paulo sprang mir entgegen, er bellte und wedelte mit dem Schwanz, diesmal als Zeichen seiner Aufregung. Den armen Hund machte der ganze Ärger hier völlig verrückt. Angespannt postierte er sich neben der Haustür, als ich hastig meine Schuhe anzog und in meinen Mantel schlüpfte. Wahrscheinlich dachte er, dass wir endlich nach Hause fuhren.

Tanja war mir gefolgt und redete jammernd auf mich ein, fast wie sie es eben bei ihrem Mann getan hatte.

Ich hörte nur mit halbem Ohr hin. Die Türklinke schon in der Hand, drehte ich mich noch einmal zu ihr um.

„Ich hab den Abend versaut“, sagte ich fest, „und ich bügel es auch wieder aus. Kümmer dich um Lina. Bis später!“

Damit riss ich die Haustür auf und stürmte nach draußen in den windigen Herbstabend.

Ich nahm nicht das Auto, weil ich davon ausging, dass er zu Fuß unterwegs war um sich besser abzureagieren.

Meinem Gefühl folgend wandte ich mich nach links, in Richtung Hafen. Wo findet ein mit dem Meer verwurzelter Einzelgänger Zuflucht nach einem Streit? Mit Sicherheit eher auf seinem alten Krabbenkutter als in einer lärmigen Bar.

Erst jetzt, als ich im Laufschritt die stille Straße entlang lief, merkte ich, dass Paulo neben mir war. Auch gut. Für ihn war es allemal angenehmer, mit mir draußen herumzurennen, als mit fremden Leuten in einem Haus eingesperrt zu sein und nicht zu wissen, wo seine Bezugsperson steckte.

Ich bog in die nächste Straße ein. Hamburg war mir fast so vertraut wie meine Westentasche, gerade das Hafengebiet. Eine große Westentasche, zugegeben, aber immerhin war ich hier aufgewachsen und hatte ein gutes Gedächtnis für Straßennetze. Wenn mir mein Job mal nicht mehr gefiel, konnte ich Taxifahrerin werden.

Etwas mehr als hundert Meter vor mir erkannte ich im Licht der Straßenlaternen eine dunkel gekleidete Gestalt. Sie lief zwar nicht, ging aber sehr schnell.

Ich wusste sofort, dass er es war.

„Hey!“, rief ich zwischen zwei Atemzügen. „Warte!“

Er musste mich gehört haben, aber weder ging er langsamer, noch drehte er sich um. Ich rief ihn noch ein paar Mal ohne Erfolg, dafür mit immer stärkeren Seitenstichen. Ich war schon lange nicht mehr so gerannt und musste stehen bleiben. Verzweifelt starrte ich ihm hinterher.

„Papa!“

Ich weiß nicht, warum mir gerade in diesem Moment zum ersten Mal in meinem Leben dieses Wort über die Lippen kam.

Jedenfalls wirkte es. Wie vom Donner gerührt blieb er stehen, drehte sich aber immer noch nicht um.

Mit neuer Hoffnung fing ich wieder an zu laufen und hatte ihn schließlich eingeholt. Außer Atem blieb ich neben ihm stehen. Er warf mir nur einen kurzen Blick aus dem Augenwinkel zu und ging dann ohne ein Wort zu sagen weiter. Ich ließ mich nicht beirren und hielt mit ihm Schritt. Eine eigenartige Spannung lag zwischen uns in der Luft, aber er strahlte keine unmittelbare Aggression mehr aus, was ich als gutes Zeichen wertete.

Nach gut zehn Minuten erreichten wir den alten Altonaer Fischereihafen. Ich hatte recht gehabt, er wollte tatsächlich zu seinem Kutter.

Ich stieß einen anerkennenden Pfiff aus, als er auf ein kleines Schiff von etwa zwanzig Metern Länge zuhielt, an der typischen Rumpfform mit dem fast senkrechten Vorsteven sofort als Kutter zu erkennen.

„Das ist also dein neues Hobby“, brach ich das Schweigen.

Auch im diffusen Licht, was hier herrschte, konnte ich erkennen, dass das überwiegend hölzerne Schiff gut in Schuss war. MARIANNE entzifferte ich den weißen Schriftzug am Bug.

Er brummte nur etwas in seinen Bart, aber ich gab nicht auf.

„Wie alt ist sie denn, deine „Marianne“?“

„Baujahr '76“, antwortete er kurz und ging mit einem großen Schritt an Bord. Ohne zu zögern folgte ich ihm.

Als auch Paulo hinterher sprang, sah er mich scharf an.

„Wehe, dein Köter wagt es, hier einen Haufen zu machen!“

„Ich kenn mich nicht besonders gut aus mit Kuttern“, sagte ich freundlich. „Magst du mir vielleicht was drüber erzählen?“

Mein Interesse — das nur zum Teil vorgeschoben war, ich wollte wirklich etwas über das Schiff wissen — schien ihn tatsächlich ein wenig zu versöhnen.

Er zeigte mir die hydraulischen Winden, mit denen die Netze für die „Hols“ auf den Grund gebracht und wieder eingeholt wurden und das Förderband, auf dem der Fischer seinen Fang sortierte. Es war erstaunlich, wie viel er nicht nur über die Technik wusste, sondern auch über die Geschichte des Krabbenfangs.

„Tja, die Blütezeit der Küstenfischerei ist lange vorbei“, sagte er mit Bedauern in der Stimme, als wir schließlich in das kleine Ruderhaus gingen.

„Heute kann so 'n kleiner Fischer froh sein, wenn er die Kosten für 'ne Fahrt wieder reinkriegt. Na, und von den schrumpfenden Fischbeständen muss ich dir wohl nichts erzählen, damit kennst du dich ja aus. „

Ich nickte und schaute an ihm vorbei aus dem Fenster. „Alles hat seine Zeit“, sagte ich langsam. Dann räusperte ich mich verlegen. Jetzt gerade schien mir meine Zeit gekommen.

„Es tut mir Leid, was ich vorhin gesagt habe.

Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass er einen erneuten Wutanfall bekommen würde, aber er überraschte mich. Erst warf er mir nur einen schiefen Blick zu, dann antwortete er: „Man soll sich nicht entschuldigen, wenn man recht hat. „

Verblüfft sah ich ihn an. „Was?“

Er ging an mir vorbei zum Steuerrad und legte die linke Hand darauf, als wäre er am liebsten sofort losgefahren.

„Natürlich hast du recht“, sagte er ungeduldig. „Ich war kein Vater für dich. Wie auch? Ich war ja nie da. „

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte mich an die Wand. Ein solches Gespräch hatten wir noch nie geführt.

„Und warum bist du dann vorhin so ausgerastet?“, fragte ich auf die Gefahr hin, ihn zu provozieren. „Wenn doch dein Schwiegervater und ich recht haben?“

Er starrte nach draußen auf das schwarze, durch den Wind bewegte Wasser, welches klatschend gegen die Bordwand schlug und den Kutter beständig schaukeln ließ.

„Weil die Wahrheit weh tut“, erwiderte er schließlich heiser.

„Und warum hat bisher jedes Mal, das wir uns gesehen haben, im Streit geendet? Hab ich dir etwa jedes Mal irgend 'ne Wahrheit gesagt, die du nicht hören wolltest?“ Meine Worte klangen spöttisch, aber er wurde immer noch nicht wütend.

Jetzt sah er mir wieder ins Gesicht und grinste leicht. „Das nicht unbedingt, aber du bist mir einfach zu ähnlich.

Zwei Sturköppe auf einem Haufen, das geht nicht lange gut. „

Lange schaute ich ihn einfach nur an, dann sagte ich: „Ich glaub, wir hätten uns richtig gut verstanden, wenn wir mehr Zeit zusammen gehabt hätten. Versteh mich nicht falsch“, fuhr ich schnell fort, „ich war nie wütend auf dich, weil du so selten da warst. Im Gegenteil, ich war immer stolz darauf, einen Vater zu haben, der als Kapitän zur See fährt.

Und als du bei meiner Abiturfeier warst… da hab ich mich so was von gefreut. Spätestens da wusste ich sicher, dass ich dir irgendwie wichtig bin. „

„Sieben Jahre ist das schon her“, sagte er mit einem fast wehmütigen Unterton. „Da hab ich eine hübsche junge Frau gesehen, die ihre Kindheit längst hinter sich hatte und jetzt selbst raus in die Welt wollte — und ich war weiß Gott stolz auf sie, auch wenn ich nichts zu ihrem Erfolg beigetragen hatte — , aber ich hatte nicht das Gefühl, dass sie meine Tochter ist.

Was wollte er damit sagen? Verwirrt schüttelte ich den Kopf.

„Was meinst du damit?“

„Genau das, was du vorhin zu mir gesagt hast“, antwortete er und sah mich durchdringend an. „Du warst genauso wenig eine Tochter für mich wie ich ein Vater für dich. Wir sind uns ähnlich, schön, und wir verstehen uns gut, zumindest manchmal — aber wenn ich dich ansehe, dann…“ Er brach ab.

„Was?“, bohrte ich nach.

„Nichts!“, knurrte er ruppig und wandte sich abrupt ab.

Da war sie wieder, diese seltsame Spannung zwischen uns. Ich spürte auch die Nervosität zurückkehren, die heute Nachmittag in mir gewesen war, bevor wir uns wiedergesehen hatten.

Trotzdem reizte ich ihn weiter.

„Sag schon“, verlangte ich, während ich langsam näher an ihn herantrat.

„Wenn du mich ansiehst, dann was? Würdest du mir am liebsten eine scheuern? Mir den Hals umdrehen? Mich ertränken? Auf den Mond schießen? Oder…“ Jetzt stockte ich, weil mir ein völlig absurder Gedanke durch den Kopf ging.

Er drehte sich um und schien mich mit seinem finsteren Blick durchbohren zu wollen. Wir standen so dicht voreinander, dass ich den Kopf heben musste, um ihm in die Augen zu sehen.

„Na?“, fragte er gefährlich sanft.

Ich grinste verlegen und hob die Schultern. „Nichts. „

Seine Augen funkelten. „So?“

Gerade wollte ich sicherheitshalber einen Schritt zurück machen, als sein rechter Arm plötzlich vorschnellte und seine Hand mich im Genick packte. Ehe ich auch nur einen Laut der Überraschung herausbringen konnte, hatte er mich an sich gepresst und küsste mich! Es war grob, fordernd und verlangend, dauerte aber nur wenige Sekunden, weil ich ihm so fest ich konnte mit der Faust gegen die Brust schlug.

Sofort ließ er mich los und wir taumelten nach Luft schnappend auseinander. Unsere Blicke trafen sich und ich empfand fast etwas wie Genugtuung, dass er mindestens so erschrocken aussah wie ich mich fühlte. Mit zitternden Fingern richtete ich den Kragen meines Mantels und verließ nach einem letzten Blick auf meinen Vater mit schnellen Schritten das Ruderhaus.

Draußen empfing mich der scharfe Wind und kühlte meine glühenden Wangen. Meine Knie waren weich.

Ich schwankte zur Backbord-Reling und stützte mich schwer darauf.

„Scheiße“, murmelte ich, „Scheiße, Scheiße, Scheiße!“

Der Wind, der an meinen Locken zerrte und die Salzluft, die er von der Nordsee in den Hafen trug, beruhigten mich ein wenig, zumindest so weit, dass ich in der Lage war, die Situation logisch zu analysieren.

Mein Vater, Wolf Harms, hatte mich geküsst, und das nicht auf väterliche Weise.

Warum hatte er das getan? Gut, er sah in mir keine Tochter, aber das war doch noch lange kein Grund… Es war zwecklos, seine Absichten oder Gefühle ergründen zu wollen, also wandte ich mich lieber meinem eigenen Empfinden zu.

Ich war schockiert von mir. Natürlich hatte ich mich gegen ihn gewehrt, aber nicht aus Abscheu. Ich hatte mich gewehrt aus Entsetzen darüber, dass ich seinen Kuss um ein Haar erwidert hätte.

So etwas durfte mir doch nicht gefallen!

Es musste daran liegen, sagte ich mir, dass ich schon zu lange allein war. Wann hatte ich das letzte Mal jemanden geküsst, geschweige denn Sex gehabt? Ich wusste es nicht mehr. Beziehungen dieser Art waren nichts für mich, zumindest nicht auf Dauer. Erstens ging ich vollends in meiner Arbeit auf, sodass mir ohnehin wenig Zeit für soziale Kontakte blieb — außerdem hatte ich ja den Hund — und zweitens hatte ich bisher kaum einen Menschen getroffen, mit dem ich wirklich Lust hatte, zusammen zu sein und womöglich das Bett zu teilen.

Es dauerte lange, bis ich anderen vertraute, und ohnehin sahen die meisten Männer in mir wahrscheinlich eher einen guten Kollegen und Kameraden als eine potentielle Partnerin.

Das ist es wahrscheinlich, dachte ich. Mit seinem Kuss hat er etwas in mir zum Vorschein gebracht, was ich schon erfolgreich verschüttet geglaubt hatte. Sehnsucht nach körperlicher Zuwendung. Was sah ich denn in ihm? Einen älteren, aber immer noch recht attraktiven Mann mit einer faszinierenden Persönlichkeit, den ich durchaus mochte und der mir auf eine gewisse Art vertraut war.

„Papa“ hatte ich ihn vorhin gerufen, beim Versuch ihn einzuholen. Dabei entsprach diese Bezeichnung nicht im Geringsten dem Bild, das ich von ihm hatte.

Der Hund rieb seinen Kopf an meiner Hüfte und forderte mit einem klagenden Laut meine Aufmerksamkeit. Ich hockte mich neben ihn aufs Deck und vergrub das Gesicht in seinem weißen Fell.

„Ach, Paulo, warum muss eigentlich immer alles so verkorkst sein?“

Er leckte mir übers Ohr und ich musste gegen meinen Willen lachen.

„Guter Junge“, sagte ich und kraulte ihm den Nacken. „Was meinst du, soll ich noch mal versuchen, mit ihm zu reden?“

Hechelnd sah er mich an, als verstünde er jedes Wort und wedelte dann mit dem Schwanz.

„Okay“, murmelte ich und erhob mich langsam, „dann mal los. „

Im Ruderhaus war er nicht mehr, aber unten in der Messe brannte Licht. Vorsichtig stieg ich die steile Treppe hinunter, unsicher, in welcher Verfassung er wohl sein mochte.

Er saß auf der Sitzbank, die Ellenbogen auf den Tisch vor ihm gestützt, das Gesicht in den großen Händen vergraben. Es versetzte mir einen Stich ins Herz, ihn so in sich zusammengesunken vorzufinden. Schließlich hob er den Kopf und sah mich an, offenbar völlig überrascht, dass ich noch da war und nicht längst das Weite gesucht hatte. In seinen Augen lag ein seltsamer Ausdruck. Ich weiß nicht, wie ich es am besten beschreiben soll.

Es war etwas wie Erschöpfung, Hunger — und gleichzeitig schien ein Feuer in seinen Augen zu brennen. Dieser Ausdruck ließ mein Herz schmerzhaft schneller schlagen, weil er widerspiegelte, wie es in mir aussah.

Ich ging langsam in den Raum hinein, sein Blick hing an mir wie der eines bettelnden Hundes, aber unterschwellig immer noch gefährlich. Es lag etwas Surreales über der Szene und ich hatte nicht die geringste Vorstellung, wie sie ausgehen mochte.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Paulo sich in der Ecke ausstreckte. Ihm war das Ganze zu dumm und er hatte beschlossen, zu schlafen. Ich hätte gern mit ihm getauscht.

Ich stand Wolf gegenüber und nachdem wir uns eine Weile schweigend angestarrt hatten, räusperte er sich.

„Ich kann mich nicht dafür entschuldigen“, sagte er rau.

Halb belustigt, halb erstaunt schnaubte ich.

„Weil du dich im Recht fühlst?“

Er lehnte sich zurück und rieb sich den Nacken, eine Verlegenheitsgeste, die ich noch nie bei ihm gesehen hatte. „Weil es mir nicht Leid tut“, antwortete er kurz.

Ich stieß seufzend die Luft aus und schüttelte den Kopf. „Du bist total irre, weißt du das eigentlich?“

„Mhm. „

Entschlossen gab ich meine Verteidigungsstellung hinter dem Tisch auf und setzte mich neben ihn auf die gepolsterte Bank.

Er wirkte verwundert, sagte aber nichts.

„Liebst du Tanja eigentlich?“, wollte ich wissen.

Sein Blick schweifte weg von mir in den Raum, dann nickte er.

„Du zeigst es ihr aber nicht oft, was?“

Sein Schweigen war Antwort genug. Ich seufzte erneut und lehnte den Kopf an die Wand.

„Wenigstens in den Arm solltest du sie mal nehmen.

Das kann doch nicht so schwer sein. „

Jetzt spürte ich wieder seinen Blick auf mir. „Ach nein? Wie oft machst du das denn, jemanden in den Arm nehmen?“

Nun war ich es, die schwieg.

„Emotional verkrüppelt“, murmelte er, „das sind wir beide. Mach bloß nicht die gleichen Fehler wie ich. „

„Du hast doch jetzt noch 'ne Chance“, entgegnete ich lebhaft.

„Du hast eine tolle Frau geheiratet und ein Kind bekommen. Du hast deinen alten Job aufgegeben um mehr Zeit für deine Familie zu haben! Dann nimm dir die Zeit auch und sei ein guter Ehemann und Vater. Nutz deine Chance!“

Er sah mir in die Augen mit seinem brennenden Blick. „Weißt du, dass ich noch nie so sehr das Gefühl hatte, einen anderen Menschen zu brauchen, wie jetzt gerade?“

Ich wich ihm aus, hielt mich mit den Augen verzweifelt an anderen Dingen in der Messe fest, an der Tischplatte, der Deckenlampe, dem Schrank… Noch kannst du weg, rief es in mir.

Aber wenn ich jetzt ging, dann würde das hier für immer zwischen uns stehen.

Zögernd drehte ich mich zu ihm um. Ich schlug mein linkes Bein unter, sodass ich im halben Schneidersitz neben ihm saß und rückte langsam an ihn heran. Halb erstaunt, halb erwartungsvoll beobachtete er mich. Es kostete mich schon Überwindung, weil ich ihm nie wirklich nah gekommen war, aber endlich traute ich mich und legte die Arme um seinen Hals.

Zuerst versteifte er sich, aber dann erwiderte er die Umarmung und drückte mich vorsichtig an sich. Er roch gut, stellte ich fest, nicht nach Rasierwasser oder Deo, sondern einfach nach ihm. Ein warmer, herber Geruch. Unwillkürlich schmiegte ich mich enger an ihn und spürte, wie auch er mich fester hielt und sein Gesicht in meinem Haar verbarg. Sein Herz schlug kräftig und schnell gegen meines. Plötzlich merkte ich, dass ich immer noch angespannt war.

Ich war es nicht gewohnt, mich in Gegenwart eines anderen zu entspannen, auch nicht oder vielmehr es recht nicht in einer solchen Situation. Jegliche Art von Kontrollverlust war mir verhasst. Aber jetzt… ach, zum Teufel mit Vernunft und Kontrolle! Wir waren beide ausgehungert, ausgelaugt. Wir brauchten diese Art der Zuwendung, das Wissen, gewollt zu sein, genau jetzt.

Also ließ ich mich fallen in das Gefühl von Nähe und Vertrauen und spürte, dass mit ihm gerade etwas ähnliches passierte.

Ich sog tief seinen Geruch ein und drehte ihm einem Impuls folgend den Kopf zu. Nur ganz leicht berührten meine Lippen seine Wange, man konnte es eigentlich kaum einen Kuss nennen. Er aber hatte es gefühlt, wandte ebenfalls den Kopf. Ich löste mich ein wenig von ihm und wir schauten einander in die Augen. Im warmen Schein der Lampe hatte seine Iris einen fast goldenen Schimmer, die Farbe erinnerte mich an Bernstein, den ich manchmal als Kind am Strand gefunden hatte.

Er hob die rechte Hand und streichelte mir ein wenig unbeholfen, aber sachte übers Haar. Ich schloss kurz die Augen, dann überschritt ich die Schwelle.

Bisher hatte ich Küsse selten als besonders erhebend erlebt. Es war warm und nass und damit hatte es sich in der Regel. Jetzt aber blendete ich alle anderen Gedanken aus, ließ es zu, dass die Berührung und die Empfindungen, die sie auslöste, mich ganz erfüllte.

Zunächst noch scheu und vorsichtig trafen sich unsere Zungen, dann aber wurde er zunehmend fordernder und drängte mir entgegen, was ich mit erstaunlicher Leidenschaft erwiderte. Ich verlor mein Zeitgefühl, ich weiß nur, dass es ziemlich lange dauerte und ich trotzdem nicht genug bekam. Im Nachhinein kam ich mir wie verwandelt vor, aber in diesem Moment dachte ich nicht mehr. Meine kühle Logik hatte ich über Bord geworfen.

Seinen Mantel hatte er anscheinend schon ausgezogen, als er in die Messe hinunter gegangen war und jetzt machte er sich daran, meinen aufzuknöpfen.

Mein Herzschlag beschleunigte sich weiter und ich ließ mir bereitwillig das schwere Kleidungsstück von den Schultern streifen. Er streichelte mir über den Rücken und zog mich an sich. Als ich seine Hände plötzlich unter meinem Sweatshirt spürte, zuckte ich kurz zusammen, entspannte mich aber schnell wieder. Es war schön, seine warmen Hände auf der bloßen Haut zu fühlen, wie sie sanft über meinen Rücken kreisten. Ich barg den Kopf an seinem Hals und strich über seine breite Brust, erahnte die Muskeln, die sich unter dem rauen Stoff bewegten.

Kleidung erschien mir mit einem Mal als etwas unglaublich Lästiges, ich wollte seine Haut auf meiner spüren und…

Er ließ es zu, dass ich seinen Pullover hoch schob und schloss die Augen, als er meinen Atem auf der Haut spürte. Ich küsste seine Brust, die sich unregelmäßig hob und senkte, gleichzeitig merkte ich, wie er meinen BH-Verschluss öffnete. Kurz ließ ich von ihm ab und zog mir das Sweatshirt über den Kopf.

Als ich auch den BH ausziehen wollte, hielt er mich zurück. Er zog sich den Pullover vollständig aus und ließ ihn achtlos zur Seite fallen. Dann streifte er fast wie in Zeitlupe einen Träger nach dem anderen von meinen Schultern. Einen Moment lang fühlte ich mich unwohl, seinen Blicken schutzlos ausgeliefert zu sein, aber das vergaß ich schnell, als er mich in die Arme nahm und wir gemeinsam auf die Sitzbank zu liegen kamen.

Ein Kribbeln strömte durch meine harten Brustwarzen, als sie seine Haut berührten. Ich legte die Hände auf seine Schultern, grub leicht die Finger hinein, dann ließ ich sie sachte über seinen Rücken gleiten. Wir küssten uns und während er meine Brüste streichelte, drückte er sein Becken gegen meine Hüfte. Er war hart und wie als Antwort darauf fuhr ein sehnsüchtiges Ziehen durch meinen Unterleib. Ich wollte ihn in mir spüren, jetzt sofort.

Als er endlich vollständig nackt zwischen meinen Beinen lag, hielt er noch einen Augenblick inne und schaute mich an, als wollte er sicher gehen, dass dies hier nach meinem Willen geschah.

Auffordernd presste ich mein Becken gegen seines, er lächelte und kam mir entgegen. Nahezu widerstandslos glitt er in mich hinein, bis ich ihn ganz aufgenommen hatte. Ein leises Seufzen entfuhr mir, ich hatte nicht gedacht, dass ich dieses Gefühl des Ausgefülltseins einmal derart genießen würde. Fast gleichzeitig begannen wir, uns zu bewegen, anfangs langsam, ineinander versinkend, bis seine Stöße allmählich schneller und kraftvoller wurden. Ich drückte den Rücken durch um ihm so nah wie möglich zu sein, die Reibung seines Körpers auf meinem so intensiv wie möglich zu spüren.

Wir verloren uns in unserem Rhythmus, vergaßen alles, was außerhalb dieses Schiffes existierte und schließlich kam er. Als er den Kopf zurück warf und mit einem Aufstöhnen einen Schwall heißen Samen in mich hinein pumpte, gab es eine Explosion in meinem Unterleib. Alle Muskeln und Organe dort schienen sich auf ein Minimum zusammen zu ziehen, um im nächsten Moment auseinander zu springen und unkontrolliert weiter zu pulsieren. Ich wand mich unter diesem unglaublichen Gefühl und stieß einen Schrei aus, der mich selbst erschreckte.

Noch eine ganze Weile blieben wir zusammen, Arm in Arm unter einer Wolldecke, die in einer Ecke der Sitzbank gelegen hatte und genossen die ungewohnte Innigkeit. Das Brennen war aus seinen Augen verschwunden, dafür blickten sie so ruhig und sanft, wie ich es nie für möglich gehalten hätte.

Drei Worte tauchten in meinem Kopf auf und ich öffnete schon den Mund, aber mein Verstand war dabei zurückzukehren, also überlegte ich es mir anders.

Natürlich hatte er es gemerkt.

„Was?“, fragte er leise.

„Schon gut“, antwortete ich ebenso leise. „Ich hätte nur fast was Dummes gesagt. „

Er drückte mich leicht. „Komm schon. Keine Geheimnisse mehr. „

Ich schloss die Augen. „Ich liebe dich. Nicht so, wie du denkst“, fügte ich schnell hinzu und riss die Augen wieder auf. „Ich meine…“

Er küsste mich auf die Stirn.

„Ich weiß. Ich dich auch. „

Wieder schwiegen wir eine ganze Weile, während der jeder seinen Gedanken nachhing.

Schließlich seufzte ich. „Morgen wird mir das hier bestimmt Leid tun“, murmelte ich.

Er zog belustigt die Augenbrauen hoch. „Glaubst du?“

„Du nicht?“

„Nee“, meinte er trocken. „Erstens, weil es schön war und zweitens ist es eh nicht mehr zu ändern.

Da hatte er natürlich recht.

Wir blieben nicht mehr lange so liegen. Ein Blick auf die Uhr sagte uns, dass schon acht vorbei war. Die anderen würden sich bereits Sorgen machen. Gut, seine Schwiegereltern vielleicht nicht unbedingt, aber Tanja auf jeden Fall. Also zogen wir uns zügig an und verließen die „Marianne“ gemeinsam mit Paulo, der ausgelassen um uns herum sprang.

Auf dem Rückweg sprachen wir nicht viel, aber an die Stelle der Spannung, die vorher oft zwischen uns geherrscht hatte, war nun Eintracht getreten.

Ein schönes Gefühl.

Vor der Haustür hielt er inne, den Schlüssel in der Hand.

„Ich trau mich fast nicht, rein zu gehen“, gestand er mir. Aufmunternd stupste ich ihn in den Rücken.

„Dir wird schon keiner den Kopf abreißen. Außerdem bist du ja nicht allein. „

Er lächelte mich dankbar an, dann schloss er die Tür auf. Wir standen kaum im Flur, da erschien Tanja in der Wohnzimmertür, in ihrem Gesicht noch deutliche Spuren vom Weinen.

Hinter ihr sah ich ihre Eltern.

Erst sagte keiner der beiden etwas, dann gingen sie langsam aufeinander zu. Plötzlich fing Tanja wieder an zu weinen, diesmal aber offenbar aus Erleichterung. Als er sie in die Arme nahm, spürte ich eine stille Freude in mir.

„Ach, Wolf…“

„Es tut mir Leid“, sagte er und strich ihr übers Haar. „Es tut mir Leid. „

Insgesamt wurde das Wochenende doch noch gut.

Georg Winter nahm die Entschuldigung seines Schwiegersohns zwar nicht sehr enthusiastisch auf, aber zumindest Hannelore zeigte sich versöhnlich, sodass es an diesem Abend zu keinem weiteren Krach mehr kam. Am nächsten Morgen, Samstag, fuhren die beiden wie geplant bereits wieder ab und wir drei — vier, wenn man Lina mit zählt, fünf zusammen mit Paulo — verbrachten eine schöne Zeit zusammen, bis ich mich Sonntag ebenfalls auf den Heimweg machte.

Dieses Ereignis ist jetzt fünf Jahre her.

Über das, was zwischen Wolf und mir passiert ist, haben weder er noch ich je wieder ein Wort verloren, es hat sich auch nichts Derartiges noch einmal ergeben. Es scheint aber fast so, dass sich damals bei uns beiden eine Blockade gelöst hat. Er ist nicht mehr so jähzornig wie früher und zeigt Tanja und Lina gerne, wie wichtig sie ihm sind. Und wichtiger als sein Beruf sind sie ihm ganz sicher. Was mich angeht: Ich habe mittlerweile auch wieder eine Beziehung, die danach aussieht, als könnte sie länger halten.

Wer weiß, vielleicht gründe ich auch eines Tages eine Familie — ein bisschen Zeit, es mir zu überlegen, habe ich ja noch.

Wolf und ich besuchen uns relativ oft gegenseitig, allein schon, damit ich Zeit mit Lina verbringen kann. Meine kleine Schwester ist ein ziemlicher Racker und schon ganz schön stur — von wem sie das wohl hat…

Zwischen meinem Vater und mir hat sich eine tiefe Freundschaft entwickelt.

Ernsthaft streiten tun wir eigentlich gar nicht mehr, dafür liefern wir uns ziemlich unterhaltsame Wortgefechte. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass man früher so mit ihm herumalbern konnte. Schön, dass Lina ihren Vater so erlebt.

Unsere Familie ist sicher weit davon entfernt, perfekt zu sein, aber zumindest hat mittlerweile jeder seinen Platz darin gefunden. Und das reicht allemal, um zufrieden zu sein.

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