Geschichten, die das Leben Schreibt 01

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Ein kleines Vorwort :

Die interessantesten Geschichten schreibt das Leben und folgende Geschichte hat sich vor knapp 7 Jahren wirklich so ereignet. Sie ist einem guten Freund von mir passiert und keine „Männerphantasie“. Ich habe die Geschichte in enger Abstimmung mit den beiden Hauptakteuren geschrieben und — auf Wunsch der Beiden — nur so verändert, dass Beide nicht mal eben so erkannt werden können — nur für den Fall, denn das Netz ist groß und wer weiß, wer hier alles so seine „Schmuddelgeschichten“ liest — oder schreibt ;-))) ).

Diese Geschichte ist eine erotische Geschichte; es geht um das „Erste Mal“. Es dauert ein Weilchen, aber irgendwann geht es dann doch irgendwie zur Sache.

Auch wenn es längere Zeit so den Anschein haben mag, handelt es sich ausdrücklich nicht um eine Geschichte aus der Kategorie „Schwule“, aber mehr will ich hierzu nicht sagen (Weiterlesen empfohlen ;-))) ).

Es gibt authentische Gedichte und Texte in dieser Erzählung und eine Menge „Seelenpein“ bevor es an die „Auflösung“ und den erlösenden Sex geht.

Also viel Spaß bei der Lektüre und bitte nicht in den Kommentaren herumlamentieren, ich hätte Euch nicht vorher gewarnt. ;-))) )

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Sommer. Ein Freitag; es war gegen 17:00 und den ganzen Tag mit knapp 34 Grad sehr heiß und drückend. Dunkle Wolken kündeten von der nahenden Gewitterfront, die für den Abend vorhergesagt war. Die typische, sich anbahnende Weltuntergangsstimmung.

Ich war auf dem Weg nach Hause; ein langer Tag – viel zu lang, und ich war jetzt irgendwie völlig durchgeschwitzt und erschlagen.

Das feuchte Sakko hatte ich achtlos auf die Rücksitzbank gepfeffert; die Krawatte ebenso.

Klimaanlage — einen Nobelpreis für ihre Erfinder!!! Mein Sharan kroch über die Autobahn; „Stop & Go“ Verkehr. Das Radio meldete vor mir 12 Kilometer Stau — gut, dass mein Navi noch nicht reagiert hatte?!?

Zum Glück war ich häufiger hier in der Region unterwegs und kannte mich halbwegs aus. Die nächste Ausfahrt lag unmittelbar vor mir — also Heimweg über die „Käffer“.

Ist auch gut.

Vielleicht hatte ja irgendwo auch ein Gasthaus offen. So langsam kam jetzt der Hunger und ein schönes kaltes alkoholfreies Hefeweizen — das wär's jetzt.

Neben meinem eigenen Handwerksbetrieb, war ich auch als Meister regelmäßig für die IHK im Schulungsbereich unterwegs und heute hatte ich den ganzen Tag mit einigen Kollegen zusammen Prüfungen abgenommen.

Ein heißer unklimatisierter Raum, in dem die Luft trotz offener Fenster zum Schneiden war.

Dem Wetter geschuldet, zogen sich ich Prüfungen eine gefühlte Ewigkeit hin. Drückende Schwüle, Hitze, aufziehende Gewitterstimmung und der Prüfungsstress – Keiner war heute gut drauf und das mekrte man auch an den Prüfungsergebnissen.

Aber zumindest im praktischen und mündlichen Teil konnten wir uns als Prüfungskomission, den äußeren Umständen angepasst, ein wenig nachsichtig zeigen.

Die Wolken wurden dichter. Hier und da platschte der eine oder andere fette Regentropfen auf die Windschutzscheibe.

Am Horizont konnte man bereits das schnelle Aufleuchten sich entladender Blitze sehen. Toll — Meine Stimmung hob sich nicht gerade bei dem Ausblick, mitten in ein schweres Gewitter hineinzufahren. Aber ich wollte schnell nach Hause.

Ich fuhr gerade durch einen kleinen Ort, als ich mitten auf einer Kreuzung ein paar Unfallfahrzeugen ausweichen musste. Ein Lieferwagen hatte wohl die Vorfahrt missachtet und einen Linienbus gerammt, der wiederum einen roten Kleinwagen gegen eine Hauswand gedrückt hatte.

Alle standen entspannt herum, es gab offensichtlich keine Verletzten und ich umkurvte die Unfallstelle.

Die Tropfen wurden jetzt mehr und der erste richtige Wolkenbruch kündigte sich an. Es donnerte bedrohlich und das Radio gab die Unwetterwarnung des Deutschen Wetterdienstes für die Region durch.

Am Ortsausgang war eine Bushaltestelle; offen und nicht überdacht. Dort stand eine alte Oma mit ihrem Rollator und wartete auf einen Bus, der nicht kommen würde.

Auch ein Junge stand dort mit Rucksack; er trug wohl so ein „Schlabbershirt“ hinten mit Kapuze, die er sich jetzt mit den ersten ankommenden Tropfen, tief in die Stirn zog.

So ganz gegen meine Art, fuhr ich rechts an, stieg schnell aus, erzählte von dem liegen gebliebenen Linienbus und fragte die Beiden, ob ich sie mitnehmen solle.

Die Großmutter wirkte erleichtert und stimmte sofort zu.

Sie wohnte drei Orte weiter und das lag sowieso auf meinem Weg. Ich geleitete sie zu meinem Beifahrersitz, half ihr beim Einsteigen, beim Anschnallen; öffnete die Heckklappe klappte den Rollator zusammen und legte ihn auf meine Sachen drauf.

Die ersten großen Hagelkörner tanzten springend über den Boden.

„Autsch!“

Eben traf mich auch einer — die Dinger waren richtig groß und taten weh. Auch der Junge zuckte zusammen.

„Willst Du auch mit“, fragte ich hin im Vorbeigehen.

„Klar, hier wird es gerade ungemütlich. „

Er sprach ungewöhnlich tief und rauh, fast schon melodisch. Ich öffnete die hintere Tür auf der Beifahrerseite; er nahm seinen Rucksack ab — es donnerte bedrohlich nahe — er warf ihn locker auf die Rückbank hinter dem Fahrersitz und stieg schnell ein.

Glücklich setzte ich mich hinter das Steuer, schloss die Tür, startete den Wagen und fuhr los.

Die Alte war ebenfalls glücklich und rief sogleich ihren Enkel zu Hause an, damit er ihr in wenigen Minuten bei unserem Eintreffen behilflich sein konnte.

Wir fuhren vor dem Gewitter her und je schneller alles ging, desto weniger würde sie nass werden. Gutes Timing war alles.

„Und wo musst Du hin, Junge?“

„Eigentlich nach Mespelbrunn. Ist die letzte Haltestelle für den Bus.

Aber wahrscheinlich wollten Sie nicht so weit fahren. „

Mespelbrunn — das waren noch gut 20 Kilometer Landstraße. Ich betrachtete ihn kurz über den Rückspiegel.

Der Junge zog seine Kapuze wieder über die Schultern. Ein fast weißblonder Pagenkopfschnitt. Ziemlich junger Typ. So ungefähr 1,56 groß, die Statur schwer abzuschätzen, da er sich im weitem Schlabberlook gekleidet hat. Kleines rundes Gesicht, Pausbacken und Stupsnase. Irgendwie wirkte er sympathisch, wenn auch ein wenig feminin.

„Du hast Recht. Ich wollte schon ein gutes Stück vorher wieder auf die Autobahn auffahren. Ich umfahre gerade den Baustellenstau auf der A 3. Aber ich fahre Dich nach Mespelbrunn. Bei dem Wetter fahre ich Dich direkt nach Hause.

Einen Ort weiter in Heimbuchtental ist doch der Gasthof „Lamm“. Ich glaube das passt jetzt sehr gut. Ich bekomme eh gerade einen richtig guten Hunger. „

„Ja, das Lamm ist ziemlich bekannt und sehr gut.

Ich danke Ihnen. Der nächste passende Bus ginge erst in 2 ½ Stunden und wo soll ich bei dem Wetter warten? Mein Betrieb hat jetzt zu. „

„Oh, wo arbeitest Du denn?“

„Ich mache eine Ausbildung hier bei WERO. Wir stellen Fenster und Türen her. Wir fahren gerade vorbei. „

Das Gespräch mit dem Jungen schlief etwas ein. Ich sprach etwas mit der dankbaren Alten, sie beschrieb mir den Weg und dann waren wir auch schon da, das aufziehende Unwetter in unserem Rücken lassend.

Der Enkel stand auch schon parat. Ich lud den Rollator wieder aus, klappte ihn auseinander und übergab ihn der Alten, die sich überschwänglich bedankte und mit ihrem Enkel langsam in Richtung ihrer Haustüre tippelte. Den kleinen angebotenen Obolus lehnte ich lachend ab, der Junge setzte sich jetzt auf die Beifahrerseite und wenige Momente später waren wir wieder on Tour.

„Du machst Deine Ausbildung bei WERO? Als Fensterbauer? Ich habe auch einen Handwerkbetrieb in Kahl am Main.

Wir haben uns auf die Restaurierung historischer Gebäude und Kirchen spezialisiert. Da gehören dann und wann auch Fenster dazu, aber eher alte Bleiglas- und Motivfenster. Ist noch richtige traditionelle Handwerkskunst …“

So ging das Gespräch ein wenig hin und her. Der Typ war jung, aber nicht unintelligent und recht humorvoll. Es war ein ganz nettes und kurzweiliges Gespräch.

Er hatte eine für seine Größe und sein Alter recht raue, dunkle und angenehme Stimme und von seiner Wortwahl, seinem Sprachduktus, seiner Kleidung und von seiner Körpersprache her, war ich schon früh der Meinung, dass er wahrscheinlich schwul sein müsse; wirkte ein wenig tuntig.

Wohlgemerkt, ich hatte, als Hetero, wirklich keinerlei Vorbehalte gegen Schwule. Überhaupt nicht. Ein Angestellter und einer meiner Meister sind (erkennbar) „stockschwul“ und beide — dem allgemeinen Klischee entsprechend — ziemlich kreativ veranlagt, mit sehr ausgeprägter künstlerischer Ader und dem gewissen Gefühl für das Moment und den richtigen Effekt. Genau das, was ein gutes Team von Restauratoren gerne in seiner Mitte weiß. Und wir waren (und sind) eine richtig eingeschworene Gemeinde mit super Betriebsklima.

Schließlich waren wir irgendwann in Mespelbrunn angekommen, ich setzte den Jungen vor seiner Haustür ab; er verabschiedete sich mit Handschlag, nahm seinen Rucksack vom Rücksitz und ich brach in Richtung „Lamm“ auf.

Das „Lamm“ ist ein Familienbetrieb, mitten im Spessart in Heimbuchental gelegen. Eine Übermischung aus Landgasthof, Hotel, Tagungsort; mit angegliedertem Tagungshotel und einer großen Wellnessoase mit Saunalandschaft und Minithermen. Küche und Weinkarte waren legendär und preiswert.

Das Anwesen bestand aus mehreren historischen Gebäuden, da war ein Bachlauf mit Forellen und eine Wassermühle … Und trotz seiner Weitläufigkeit verstand es das Personal sehr gut, eine gemütliche, heimische Atmosphäre zu erzeugen. Was mir sehr sympathisch war : Dieser Betrieb hatte immer 8 — 10 Auszubildende in allen Berufsrichtungen rund um Hotellerie und Gastronomie. Eine Mühe, die sich heutzutage nicht mehr jeder Betrieb machte. Und er übernahm auch immer sehr viele seiner Auszubildenden.

Viele der Gebäude waren sehr alt und wir hatten in den vergangenen Jahren das Eine oder Andere an Renovierungsarbeiten und auf „alt“ getrimmte Modernisierungen vorgenommen.

Ich wurde gleich am Eingang durch die Juniorchefin erkannt und begrüßt; Auch beim Personal erkannte ich meinerseits sofort nach 1 ½ Jahren vertraute Gesichter, die mir freundlich begrüßend zunickten. Nach einem kurzen Blick auf die Karte entschied ich mich für ein leckeres 4 Gänge Menü.

Niemand wartete auf mich zu Hause. Ich war seit knapp drei Jahren wieder Single. Das Unwetter, bei der Fahrt hinter mir gelassen, hatte mich nun eingeholt und brach mit Gewalt über den Ort hinein. Ich war mir sicher, dass das die ganze Nacht so weitergehen würde.

Der professionelle Oberkellner erkannte mich ebenfalls wieder und machte mir basierend auf meinen Vorlieben die zum Menü passenden Weinvorschläge. Er konnte sich nach fast 2 Jahren noch an die Weine erinnern, die ich damals bei meinem letzten Aufenthalt bevorzugt hatte.

Ich war wirklich tief beeindruckt, was ich ihm auch direkt sagte.

Wein und Autofahren verträgt sich nicht. Schon gar nicht bei diesem Wetter. Glücklicherweise waren noch einige Zimmer frei und so entschloss ich mich spontan, noch ein paar Tage länger über das Wochenende hier zu verweilen — knapp 40 Kilometer von meiner Wohnung entfernt, mal so eben zwei, drei Tage blau zu machen. Im Geschäft pressierte nichts und die anderen würden auch ohne mich zu Recht kommen.

Lecker Essen und Weinchen; eine Wellnessoase; Personal, dass einem quasi jeden Wunsch von den Augen ablas. Das hatte ich mir verdient. (Irgendwie muss man sich ja von Zeit zu Zeit selbst verwöhnen und belohnen — sonst tut das in meinem Fall ja niemand)

Der Oberkellner kümmerte sich schnell und unbürokratisch um das Zimmer; ich speiste zwei Stunden lang wirklich sehr vorzüglich; die Gaststube war gut gefüllt mit Tagungs- aber auch Essensgästen und ich beobachtete mal hier und lauschte mal da, bis ich mich müde genug fühlte und in Richtung meines Zimmers aufbrach.

Der Weg führte mich zunächst zu meinem Sharan, um die kleine Tasche mit dem „Notgepäck“ zu holen, die ich immer dabei hatte, wenn ich durch die Gegend fuhr.

Als ich gerade die Tasche aus dem Wagen holte, fiel mein Blick auf den Fußbereich hinter dem Fahrersitz.

Dort lag etwas. Ich ging hin, öffnete die Seitentür um besser heranzukommen. Es war ein etwa DIN A 4 großes, in Stoffen mit afrikanischen Mustern eingeschlagenes Studienbuch, dass durch zwei schwarze Gummibänder zusammengehalten wurde.

Offensichtlich war es dem Jungen aus seinem Rucksack gefallen. Ich nahm mir vor, es ihm morgen zurückzubringen; er hatte wirklich Glück, dass ich jetzt auch hier übernachten wollte.

Aufblitzen und erneutes Grollen verrieten das bevorstehende Ende der kurzen Regenpause. Ich musste ins Haus zurückkehren, wollte ich nicht gleich völlig durchnässt werden.

Ich weiß nicht warum, aber ich nahm neben meinem Koffer, auch das Studienbuch mit in das Hotel.

Eigentlich unsinnig. Es könnte ja auch im Wagen liegen bleiben. Ich wollte es morgen doch eh zurückbringen. War es unbewusste Neugier? Wahrscheinlich..

Auf dem Zimmer angekommen, nahm ich sogleich eine Dusche, schenkte mir noch ein Glas Rotwein ein und legte mich nackt auf das Bett.

Mit gegenüber war ein großer, eleganter, sich in das Zimmer perfekt einfügender Kleiderschrank mit Spiegeltüren.

Ich sah direkt in das Gesicht eines 42 jährigen erschöpften und ein klein wenig verlebten Unternehmers.

Die braunen Haare erste graue Einsprengsel, konnten mal wieder einen Schnitt vertragen und sie kräuselten sich ein wenig. Die Augen waren mit Rändern versehen. Der drei Tage Bart war deutlich über seiner Zeit und wirkte eher ungepflegt.

Man konnte nicht wirklich von schlank reden. Ich hatte einen guten Bauchansatz und auch die eine oder andere wulstige Rolle oberhalb der Taille. Mit 1. 85 war ich durchschnittlich groß und mit 112 Kilogramm konnte man eher von einem „Kampfgewicht“ sprechen.

Automatisch und mechanisch legte ich die Hand an meinen Penis. Er war schlaff. Selbst im erigierten Zustand war er mit etwa 14 cm eher unterer Durchschnitt; auch nicht allzu breit.

Nach ein paar zaghaften Versuchen gab ich es auf. Zuviel Alkohol? Ich war wohl eher nicht in der rechten Stimmung.

War ich schön? War ich attraktiv? Beides eher nicht. Aber ich war ein Typ.

Jemand den man hasste oder einfach gern haben musste. Nichts dazwischen.

Seit Silvia mich vor ein paar Jahren verlassen hatte, bin ich mit meinem Leben im eigentlichen Sinne nicht voran gekommen.

Gut, ich hatte beruflichen Erfolg. Meine Firma lief phantastisch und ich beschäftigte jetzt schon 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aber in meinem innersten Selbst war ich zutiefst unzufrieden.

Da waren ein paar kurze Abenteuer.

Auch Frauen, die ich für ein wenig Sehnsucht nach Zweisamkeit bezahlte. Aber Prostituierte, selbst die Höherklassigen, waren nicht das, wonach ich suchte. Geborgenheit und einen Ort, den ich zu Hause nennen konnte. All das bisher Erreichte — eine reine Makulatur!

Und so lag ich nackt auf dem Hotelbett, der Wind des immer noch tobenden Unwetters spielte mit dem Fenstervorhang; ich gab mich meinem Weltenschmerz hin und bekam noch nicht mal einen hoch.

Schlimmer noch — ich hatte es nach wenigen Versuchen bereits aufgegeben. Wie tief kann ein Mensch in seinem Selbstwertgefühl denn noch sinken?

Und dabei hielt mich jeder für stark und erfolgreich; einen Macher! Schein und Sein!!!

Ich weiß nicht wie und warum, aber plötzlich hatte ich dieses Buch wieder in der Hand, löste die Gummibänder und klappte es auf.

Es war ein Skizzenbuch. Die Seiten über und über mit den unterschiedlichsten Zeichnungen bedeckt.

Anatomische Studien, Portraits; Detailzeichnungen von Treppengeländern, Balustraden; Darstellungen von Fenstern und Landschaften.

Ich übertreibe nicht. Diese Zeichnungen von Bleistift, Rotstift und Kohle brauchten wirklich keinen Vergleich mit Größen wie Dürer, da Vinci oder dem frühen Picasso zu scheuen. Das war hohe vollendete Kunst mit einem unglaublichen Gefühl für Proportion und Bildaufbau. Die Zeichnungen wirkten so unglaublich detailliert und plastisch — fast dreidimensional.

Und die Zeichnungen waren teilweise untertitelt und kommentiert.

Eine schöne verschnörkelte, eher weibliche Schrift.

Ich fing an einige der Bilder zu betrachten und die dazugehörigen Texte zu lesen.

Da war eine Kohlezeichnung einer linken Brust. Die Warze gut erkennbar herausgearbeitet und sie war leicht erigiert. Unter der Warze war nur die leise Andeutung einer halbrunden Erhabenheit und darunter beginnend Rippenbögen. Offensichtlich eine Ausschnittszeichnung einer Jungenbrust — verspielt und doch extrem realistisch

„Wo bist Du?

Warum wächst Du nicht?

Machst mich zur Frau?

Zeichnest mich mit den Attributen des weiblichen Geschlechtes?

Warum bist Du so, wie Du bist?

Warum bist Du so, wie bei einem Jungen?

Warum bei mir und niemand Anderem?“

Ein anderes Bild zeigte einen Jungen.

Es war mit Rötelstift gezeichnet. Ein Junge mit rotem gekrausten Haar, Sommersprossen, einem Lachen in den Augen, die schmalen Lippen zu einem beinahe spöttischem Lächeln verzogen. Leichter Flaum umkränzte zart seine Oberlippe. Der Kopf war so gezeichnet, als ob der Junge gerade in einer Bewegung befände. Ein Bild, das fast schon Fotoqualitäten aufwies. Ein wirklich hübscher Junge von etwa 16 bis 18 Jahren. Als Untertitel ein Gedicht :

„Wenn ich dir sage „Ich liebe dich nicht“

Bitte schau mir nicht ins Gesicht

Denn nur ein Blick in meine Augen

Und du würdest mir niemals glauben

Wenn du mir sagst „du bist mir egal“

Schau mich nicht an, denn sonst siehst du die Qual

Die Qual die mein Herz zerfrisst

Weil es dich so sehr vermisst

Tag für Tag und Nacht für Nacht

Was hast du nur mit mir gemacht

Ich spiele Theater, der Star – das bin ich

Denn Liebster, natürlich liebe ich dich

Mehr als die Welt, mehr als mein Leben

Ich bin bereit dir alles zu geben

Doch du, du schlägst mir ins Gesicht

Willst meine Freundschaft und mehr nicht

Du tust mir so weh, ich glaub es kaum

Dich zu bekommen, das ist mein Traum

Ein Traum ist nicht wahr, das seh´ ich wohl ein

Doch vielleicht, nur vielleicht, wird es einmal so sein.

Ich las mir das Gedicht gleich mehrfach durch. Soviel Schmerz und Enttäuschung und dennoch Hoffen und Erdulden.

Zutiefst berührt blätterte ich weiter.

Die nächsten drei Bilder waren Bleistiftzeichnungen und nicht untertitelt. Das war auch nicht notwendig. Es handelte sich auf der einen Seite um einen Ausschnitt von einem alten Sessel aus dem Empire. Besonders gut herausgearbeitet war der Löwenfuß und an der Lehne der Löwenkopf mit fein stilisierter Mähne.

Die zweite Seite zeigte einen Ausschnitt von einem alten Kabinettschrank aus der Gründerzeit. Hier war das Augenmerk auf das Farbspiel der unterschiedlichen Holzmaserungen, deren Verlauf und die gedrechselten Säulen gelegt.

Das dritte Bild stammte wohl aus einem Schloss oder einer Burg. Es zeigte eine alte gewundene Holztreppe mit Handlauf aus dem Rokoko. Verspielt, sowohl die Intarsien (Einlegearbeiten), wie auch die ganzen Korkaden und Pütten wiedergebend. Und dennoch war die Treppe so naturalistisch gezeichnet, dass die Zeichnung jeden Makel aufzeigte und wiedergab.

Vergangene Pracht!

Jetzt war auch mein berufliches Interesse geweckt. Wenn der Junge jetzt auch noch das Potential zu einem halbwegs guten Handwerker hätte, könnte ich ihn wirklich gut gebrauchen. Im Zuge von Restaurationen müssen sehr viele Bilder angefertigt werden. Wie sieht etwas aus und wie wird es künftig aussehen. Ein konkretes Beispiel an Hand der Treppe — wir arbeiteten gerade unter anderem am Gießener Stadtschloss und meine Angestellten waren gerade dabei, eine Betontreppe aus den 50iger Jahren zu beseitigen, die so gar nicht an die frühe Gründerzeit erinnern wollte und somit bislang auch wie ein Fremdkörper aus dem Ensemble herausstach.

Es gibt gute Architektur- und Zeichenprogramme. Doch die sind eher für moderne Baustile mit klaren Linien und Kantenführungen geeignet.

Barock beispielsweise, bedeutet immer Handzeichnung. Und hier war ein Mensch, der nicht nur perspektivisch und proportionsgerecht zu zeichnen verstand. Nein, die Zeichnungen hatten ein Eigenleben und das ist für Ausschreibungen oder Bauherren immer ein wichtiges Pfund. Wir vom Fach wissen sehr genau, wie es später aussehen muss und wird. Ein Bauherr braucht aber immer ein „greifbares“ Bild.

Ich blätterte eine Seite weiter. Ein sehr beeindruckendes dreifarbiges Bild. Die linke Kopfhälfte zeigte den Jungen von eben auch wieder als Rötelzeichnung, der Mund zu einem Lachen geöffnet, Zunge, Zähne Mundhöhle auf das Detaillierteste gezeichnet. Die rechte Kopfhälfte war mit einem dunklen Gelbstift gezeichnet; der Kopf ging von Rot zu Gelb über, die Formen wurden weicher und das Jungengesicht lief in ein sehr hübsches Gesicht einer langhaarigen, sympathisch wirkenden Blondine über.

Am Halsansatz flossen die roten und dunkelgelben Farbtöne in eine schwarze Kohlenzeichnung hinein. Der Januskopf thronte auf einem zweiten Kopf; in der oberen Hälfte ein Totenschädel mit schwarzen leeren Augenhöhlen und einem langgezogenen Loch, wo die normal die Nase befand. Es war ein kleiner runder Schädel, der nach unten hin an Substanz gewann und in den Resten eines Gesichtes auslief. Eindeutig dem Gesicht des Jungen, den ich heute mitgenommen hatte.

Obwohl nur Mundpartie, untere Wangenregion und Kinn erkennbar waren, drückte das Gesicht eine sehr tiefe Trauer und Zerrissenheit aus.

„Wenn jedes Lächeln weh tut,

Wenn Du Dich selbst nicht mehr erträgst,

Wenn Du denkst nicht mehr mit Dir und mit der Welt klar zu kommen,

Wenn Du nicht mehr mit der Vergangenheit und der Gegenwart klar kommst,

Wenn Du Angst hast mit der Zukunft klar zu kommen,

Wenn Du nicht mehr bereit bist, Dich selbst zu fühlen,

Dann kann Dir der Tod wie ein Traum erscheinen.

Harte Kost!!! Der Junge musste sich in den Rothaarigen verguckt haben. Doch der war wahrscheinlich als Hetero nicht an mehr als Freundschaft oder Bekanntschaft interessiert und hatte sich seinerseits alsbald mit der Blondine zusammengetan.

Eine heimliche, eine enttäuschte und eine vergebliche Liebe! Eine Liebe, die in Seelenpein mündet. Ich konnte ihn gut verstehen.

Das Skizzenbuch war wie ein Spiegel in die Seele dieses Jungen.

Ich kam mir wie ein Voyeur vor. Nein, ich war dieser Voyeur — ganz real. Nur dass ich ihn nicht heimlich durch das Fenster beim Ausziehen seiner Kleidung betrachtete. Das hier war mehr. Ich betrachtete sein Innerstes.

Durfte ich das? Nein! Und doch konnte und wollte ich nicht damit aufhören.

Das nächste Bild war wieder eine Bleistiftzeichnung. Es war ein Pantherkopf in der Seitenansicht hinter Gitterstäben.

Über diesem Raubtierkopf waren fein die Gesichtszüge des Jungen gelegt — Stupsnase, schmale Lippen — hört sich vielleicht abstrakt an, sah aber ziemlich Klasse aus. Weniger Klasse in diesem Zusammenhang der Text, der eindeutig von Reiner Maria Rilke stammte :

„Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe

so müd geworden, dass er nichts mehr hält.

Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe

und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,

der sich im allerkleinsten Kreise dreht,

ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,

in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille

sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,

geht durch der Glieder angespannte Stille –

und hört im Herzen auf zu sein.

Tolles Gedicht. Ein Klassiker. Und jeder erkennt sich irgendwo in diesen Zeilen wieder. Aber was den Jungen anbelangt, lief da irgendwas hier ziemlich falsch.

Das nächste Bild waren eigentlich 4 Bilder, die in einem Halbkreis angeordnet, den nachfolgenden Text krönten. Eine Raupe, Segment für Segment mit Haaren bedeckt; eine verpuppte Raupe an einem Blatt hängend; das Aufbrechen der Raupe und das Ausschlüpfen eines Schmetterlings; ein Schmetterling mit ausgebreiteten Flügeln …

„Wenn Du nicht mehr bereit bist, Dich selbst zu fühlen,

Dann kann Dir der Tod wie ein Traum erscheinen.

Und wenn Du ihm dann wirklich nahe bist,

dann sehnst Du ihn nicht mehr herbei,

denn da ist das Sterben, was von der Veränderung kündet

Und was erst schön und erstrebenswert erschien,

offenbart sein ihm inne wohnendes Grauen.

Die Maske der Schönheit fällt

und was nach Vollendung aussah,

ist nicht länger vollkommen — der Tod ist schon da

Und wenn Du da noch einen Hauch von Angst hast,

Dann fühlst Du doch noch etwas, dann spürst Du Dich

Und der Traum der Erlösung mutiert zu einem Alptraum.

Einem Alptraum ohne Ausweg, ohne Erlösung

Und ohne Veränderung. „

Ziemlich verworrene und quere Gedanken, deren tieferen Sinn ich erst meinte, langsam zu verstehen, als ich das Bild auf der nächsten Seite sah.

Eine grobe Skizze eines Unterarms mit einer nach oben gewandten Handinnenfläche. Der Bereich unterhalb des Handgelenks war im Gegensatz zu der Skizze extrem sorgfältig ausgearbeitet. Drei quer verlaufende Schnittwunden.

Ein paar Tropfen Blut die der Schwerkraft folgend nach unten rinnen und im Vordergrund ein Messer an dessen Spitze ein einzelner Tropfen Blutes prangte.

Wein, der anstrengende Tag und die mittlerweile fortgeschrittene Stunde beeinflussten etwas meine nun immer melancholischer werdenden Gedanken. Ich ließ mich auf das Buch und die Denkweise seines Autors ein.

Ein Junge der lieber ein Mädchen sein wollte? Der nicht mehr zurückgewiesen, sondern auch geliebt werden wollte?

Wie eine hässliche Raupe, die sich verpuppt, irgendwann ihre sie umgebende Haut sprengt und abstreift, wiedergeboren als hübscher Schmetterling; war diese Skizze mit dem Unteram ein ähnlicher Versuch.

Der Versuch aus dem eigenen ungeliebten Körper auszubrechen, um in einer Metamorphose neu geboren zu werden?

Oder war der Schmerz der Schlüssel? Wie bei einem „Borderliner“ — das sich endlich wieder spüren können? Am Ende vielleicht Beides?!?!

Ich bin kein Psychologie und wollte das jetzt auch nicht professionell bewerten. In jedem Fall klangen die letzten Seiten ziemlich gefährlich nach Selbstzerstörung und einer vermeintlichen Ausweglosigkeit.

Die nächsten Seiten waren harmloserer Natur.

Bilder von Blättern und Bäumen. Von Türen und von Fenstern.

Dann wieder ein großes männliches Glied. Eine Erektion. Jedes kleine Blutgefäß deutlich sichtbar. Jedes sich kräuselnde Haar miteingezeichnet; sogar ein paar Schmutzpartikel. Ein praller Hodensack. Nichts übertrieben dargestellt. Eine vorgewölbte Vorhaut, von der Eichelspitze durchbrochen. Darunter nur ein kurzer Satz :

„Mein Traum vom Glück“

Es folgten einige weitere, eher anatomisch geprägte Bilder von Ausschnitten von Männerkörpern.

Auch das verknitterte Gesicht eines sehr alten Menschen, ein vernarbtes Knie und ein gewaltiger behaarter Bierbauch waren darunter. Aber keine Studien, die einen Frauenkörper zeigten.

Dann kam eine in Kohle gezeichnete Berglandschaft, die sich gleich beide Seiten des aufgeklappten Buches mit einbezog. Schattenspiele und ein Sonnenuntergang. Obwohl nur mit Kohle gezeichnet, war das Farbspiel der Sonne in den hochstehenden Wolken sorgfältig herausgearbeitet. Ein Bild, viel zu schade für ein Skizzenbuch.

Rechts oben und doch irgendwie zentral in den Bildaufbau rückend ein Gipfelkreuz.

Und unten wieder ein Text — Der Traum vom Tod von der Gruppe Subway to Sally :

„Ich hab heut Nacht vom Tod geträumt

er stand auf allen Wegen

er winkte und er rief nach mir so laut

Er sprach mein Leben sei verwirkt

ich sollt mich zu ihm legen

ein frühes Grab sei längst für mich gebaut

ein frühes Grab sei längst für mich gebaut

Ich floh soweit das Land mich trug

soweit die Vögel fliegen

doch mir zur Seite spürte ich den Tod

Sein Schatten folgte meiner Spur

ich sah ihn bei mir liegen

und seine Hände waren blutig rot

und seine Hände waren blutig rot

Da wusste ich es weht der Wind und Regen fällt hernieder

auch wenn schon längst kein Hahn mehr nach mir kräht

Weil ich schon längst vergessen bin

singt man mir keine Lieder

nur Unkraut grünt und blüht auf jedem Feld

nur Unkraut grünt und blüht auf jedem Feld

Ich hab heut Nacht vom Tod geträumt

es gibt kein ewig Leben

für Mensch und Tier und Halm und Strauch und Baum

das war mein Traum“

Ich kannte das Lied und hatte die Gruppe schon live in Aschaffenburg gesehen.

Mittelaltermusik trifft auf Rock. Nicht alles mein Geschmack, aber einige Lieder hatten so etwas in ihrem Text. An dieses Stück konnte ich mich nicht erinnern, aber ich nahm mir vor, nach dem Frühstück mal auf „Youtube“ vorbei zu schauen. Der Text war sehr schön und … er passte in dieses Buch und entsprach seinem Tenor, was mir jetzt, in Hinblick auf den Gemütszustand des Jungen, wieder weniger gefiel.

Die letzte Seite mit Bild.

Eine Backsteinmauer. Wieder eine Rötelzeichnung. Jeder Stein war anders gezeichnet. Keiner hatte eine glatte Oberfläche. Und über die Mauer langgezogene Schriftzeichen. Jedes Zeichen ein in sich geschlossenes Bild und zusammengenommen der zentrale Satz in Pink Floyds „The Wall“ :

„Is there anybody out there?“

Darunter wieder ein Text.

„Niemand sieht mich. Niemand nimmt mich wahr. Ich bin allein. Niemand da zu reden. Niemand da der zuhört.

Niemand da, der mich in den Arm nimmt und an den ich mich anlehnen könnte. Niemand und ich bin allein! Wie lange soll das noch so gehen? Wie lange kann das noch so gehen? Irgendwann ist Schluss. Jetzt ist Schluss!!!

Ich werde dem jetzt ein Ende machen. Ich werde die Mauer durchbrechen!!!“

Na Super. Das konnte jetzt Alles und gar Nichts bedeuten. Das Buch brach ab. Das war die letzte beschrieben, bebilderte Seite.

Etwa 1/3 der Seiten war noch leer. Und nun? Wie sollte ich reagieren?

Ich schrieb spontan schnell ein paar Zeilen.

„Sorry Junge, aber ich habe Dein Buch geöffnet, die Bilder betrachtet und die Texte gelesen. Ich würde mich gerne mit Dir unterhalten. Zum einen über die Qualität Deiner Zeichnungen, deine Ausbildung und Deine Pläne, die berufliche Zukunft betreffend. Das was Du da machst hat mich wirklich tief beeindruckt.

Zum anderen habe ich ein paar Seiten vorsichtig mit „Postits“ markiert. Über die Texte und die Bilder würde ich mich auch gerne mit Dir unterhalten. Das ist aber deutlich privater und möglicherweise für Dich auch unangenehm und schwierig.

Du kennst mich nicht und wir haben nichts miteinander zu tun. Das kann auch ein Vorteil sein. Ich kann zuhören und ich werde zuhören. Ich werde mir Zeit für Dich nehmen, wenn Du es willst.

Vielleicht hilft Dir das weiter. Und Vielleicht ergibt sich danach wieder eine Perspektive, die Du gerade nicht zu sehen vermagst.

Ich habe mich wegen dem Wetter spontan entschlossen, das ganze Wochenende im Lamm zu verbringen. (Ich gab meine Handynummer und meine Mailadresse an)

Ich fühle mich selbst auch gerade etwas ausgelaugt — wahrscheinlich die einsetzende „Midlifecrisis“. Deswegen wollte ich mir mal spontan was Gutes gönnen.

Ich werde viel im Wellness- und Saunabereich unterwegs sein. Deswegen bin ich nicht immer online oder am Telefon erreichbar.

Du kannst mich im Lamm auch jederzeit über die Rezeption bekommen — ist ja nur knappe 3 Autominuten von Dir entfernt. Bis bald? Alles Gute, Markus Lorch“

Ich legte den Zettel auf die letzte beschriebene Seite und klappte das Buch so zu, dass der Zettel, wie ein kleiner Reiter, erkennbar etwas überstand.

Ich legte das Buch auf den Nachtisch, trank noch einen Schluck Wein, deckte mich zu und löschte das Licht.

Trotz des harten Stoffs war ich schnell eingeschlafen. Ein traumloser Schlaf (zumindest konnte ich mich an Nichts mehr erinnern) und ein toller Morgen mit sehr leckerem Frühstücksbuffet.

Danach fuhr ich kurz nach Mespelbrunn, kaufte im Supermarkt am Ortseingang ein paar Getränke und etwas Naschwerk.

Einer Eingebung folgend nahm ich eine Tüte mehr mit, als ich benötigte und steckte das Buch hinein.

10:30 am Morgen — eine humane Zeit. Ich fuhr wieder zum Haus des Jungen, freute mich dass es ein Einfamilienhaus war und damit Verwechselungsmöglichkeiten ausgeschlossen waren und klingelte.

Ein kräftiger, mittelgroßer, dunkelhaariger und eher ungepflegter Herr mit Halbglatze in den mittleren 40 (also meiner Altersklasse) öffnete — Jogginghose, verflecktes weißes T-Shirt; eine halbvolle offene Bierflasche war augenscheinlich gerade erst auf dem Garderobentisch abgestellt worden.

Er sah mich fragend an.

„Hallo, mein Name ist Lorch. Ich hatte gestern bei dem Unwetter ihren Sohn von der Bushaltestelle mitgenommen. Ist der denn zu sprechen?“

„Soso, mein Sohn, ich wünschte ich hätt´ einen. Alles Weiber hier. Aber ne! Ist einkaufen. „

Böser Dialekt. Na super, auf dem platten Land geht man mit Fragen wie Homosexualität vielleicht etwas konservativ distanzierter um, aber wie sich gerade der eigene Vater, mir gegenüber — einem Fremden — über seinen Sohn äußert, ist schon ziemlich harter Stoff.

Mich wundert langsam gar nichts mehr.

„Er hat gestern im Auto wohl das hier liegen lassen. Wenn Sie es ihm bitte geben würden?“

Er musterte mich leicht amüsiert.

„Danke, ist schon vermisst worden. Ich werd´s weitergeben. „

Sprach er und schloss auch schon wieder die Tür.

Na Toll! Ich setze mich wieder in meinen Sharan, fuhr zurück in das Hotel und verbrachte den Rest des Vormittags mit Schwimmen und Sauna.

Dann gab es ein tolles Mittagsmenü — ich hatte völlig vergessen, wie wirklich genial man hier essen kann — und im Anschluss wartete ein schöner Massagetermin auf mich. Danach Mittagsschläfchen, ein Stück hausgebackenen Kuchen, einen Spaziergang, Abendessen, Sauna und der Tag war rum. So dachte ich.

Aber so kam es nicht zumindest nicht ganz so.

Das Mittagessen war erwartungsgemäß sehr lecker; die Massage gerade beendet (ich war schön locker und entspannt), als eines der Hausmädchen zielstrebig auf mich zukam.

„Ah Herr Lorch, ich hatte Sie gerade schon suchen wollen. Am Empfang hat sich Besuch für Sie gemeldet. „

„Vielen Dank! Könnten Sie einen Platz und ein Getränk anbieten. Ich muss mich geschwind noch umziehen. Dauert nur einen kurzen Moment. „

„Ist bereits passiert Herr Lorch. Ihr Besuch wartet auf der Terrasse und ist schon automatisch von uns mit Kaffee und etwas Gebäck versorgt worden, um die Wartezeit zu überbrücken.

„Herzlichen Dank“, ich lächelte das Mädchen an. Was macht ein gutes Hotel aus? Das hier. Service! Und alle Bediensteten waren hier in täglich wechselnden Dirndl und Tracht gewandet; sehr schön anzusehen (vor allem das Dekolleté). Die Kleine war eine wirkliche Augenweide.

„Ich gerade nichts bei mir. Schreiben Sie sich doch am Empfang einen „Tip“ von 5 Euro auf meine Zimmernummer. „

„Herzlichen Dank Herr Lorch.

Das ist aber nicht unbedingt notwendig, gehört zum Service“, sprach sie, drehte sich um und war auch schon wieder verschwunden.

Ein paar Minuten später war ich auch schon in Jeans und Poloshirt gewandet und trat auf die Gästeterrasse, die dem Samstag, der guten Witterung geschuldet und der wohlsortierten Kuchen- und Tortentheke, gut gefüllt war. Der Junge hatte einen eher etwas abseits gelegenen Tisch gewählt und blickte in Richtung des Waldrandes und der Wassermühle.

Das Wetter war gut; Sonne, ein paar Wolken und eine warme Briese kam auf.

„Hallo. Du bist gekommen. Aus meinem Bauch heraus muss ich sagen, dass ich nicht damit gerechnet hatte — nicht so bald zumindest.

Ich darf mich kurz vorstellen : Markus Lorch. Aber Du kannst mich gerne Markus nennen. Ich hab Dich ja gestern und eben auch geduzt. „

Ich war jetzt wieder gut gelaunt, hatte eine Mission (Markus rettet die Welt) und wollte ganz bewusst versuchen, mit offener Körpersprache, mit Wärme und etwas Humor in Stimme und Blick, das Eis zu brechen und Vertrauen sowie eine gute Gesprächsatmosphäre aufzubauen.

Ich trat an ihn heran und reichte ihm die Hand zur Begrüßung. Er stand auf, sah mich direkt an; ein guter fester Händedruck. Na wenigstens etwas für den Anfang.

Die Situation musste für andere Gäste recht witzig gewirkt haben. Ich war 1,85 und schon ein Berg Fleisch und vor mir stand ein schmaler knapper „Meterfünzig“, bei dem jetzt in Hinblick auf die Höhe gesehen, nicht wirklich ein Unterschied erkennbar war, ob er weiterhin auf seinem Stuhl saß oder stand.

„Hallo, Markus. Meine Freunde nennen mich Andi, aber eigentlich nennt mich jeder so. „

Wir setzten uns und ich musterte ihn kurz und beiläufig. Etwa 1. 54 groß, weißblonde Pagenkopffrisur; Ein sehr feines und dichtes Haar. Er hatte ein eher rundes etwas pausbäckiges Gesicht mit Lachfalten um Augen und Mundwinkeln. Und ein paar Grübchen am Kinn. Die Augen waren grün, mit ein paar rehbraunen Einsprengseln. Das war mir gestern gar nicht aufgefallen.

Eine ungewöhnliche Farbe.

Leichter Flaum um die Oberlippe verriet, dass er sich nicht rasierte, weil er es wahrscheinlich auch gar nicht musste.

Er trug ein dunkelblaues unifarbenes und eigentlich zu groß geratenes T- Shirt, eine schwarze, weit geschnittene Jeans und dunkle, gepflegte Turnschuhe — so ganz anders, als sein Vater.

Ich schätzte ihn auf etwa 45 — 50 Kilogramm. Ein echtes Leichtgewicht.

Das Alter war wirklich sehr schwer einzuschätzen. Ich würde ihn wohl später direkt fragen müssen. Über Dinge wie Sprache, Wortwahl Auftreten und Bildung als indirekte Hilfsmittel, kam ich da eher nicht weiter. Das Skizzenbuch und unser gestriges Gespräch legten nahe, dass ich eine vielseitig interessierte, aber zugleich zutiefst verunsichert und verzweifelte Persönlichkeit vor mir hatte, die ihrem wahren Alter etwas voraus war.

Körperhaltung etwas unsicher. Ausstrahlung Bewegungsmuster und Betonung hatten eindeutig eine feminine Komponente.

„Musterung abgeschlossen?“

Ich brummte zustimmend.

„Ich muss mir doch erst mal in Ruhe ein Bild machen, denn ich denke, dass unser Gespräch ein wenig länger dauern wird und Aussehen und Auftreten auch eine Rolle haben werden. “ Ich lächelte ihn offen an.

Die Bedienung, die sich während der Begrüßungsphase dezent im Hintergrund gehalten hatte, trat heran und ich bestellte einen Kaffee, schwarz ohne Zucker.

„Zunächst einmal möchte ich mich bei Dir entschuldigen, dass ich Dein Skizzenbuch geöffnet und als ich gemerkt habe, worum es geht auch weitergelesen habe. Das macht man eigentlich nicht und um es Dir zurückzugeben, wäre es auch nicht notwendig gewesen. „

Er nickte zustimmend.

„Aber ich gebe es direkt zu. Ich war beeindruckt von den Bildern, ihrer Professionalität und der Wirkung, die sie auf mich hatten.

Ich habe mir überlegt, wenn Du so gut zeichnest musst Du auch ziemlich kreativ sein. Mit der Ausbildung zum Fensterbauer hast Du eine fundierte Ausbildung im Umgang mit den unterschiedlichsten Werkstoffen. Ich hatte ja gestern schon erwähnt das sich unser Betrieb mit Restauration beschäftigt. Das fängt bei Fachwerkhäusern an und hört bei Kirchen mit Altar und Gestühl auf. Aus dem ersten Bauchgefühl heraus würde ich mich gerne mit Dir über das unterhalten, was Du kannst.

Das was Dich interessiert und ich würde gerne ein paar Werkstücke von Dir sehen. Je nachdem, was Du in der Zukunft zu machen gedenkst.

Dann habe ich die Texte gelesen. Und ich habe den Eindruck gewonnen, dass Du Probleme hast und Hilfe gebrauchen könntest.

Auch darüber möchte ich mit Dir reden. Aber ich nehme an, das ist auch der Grund, warum Du hier bist. „

Am Anfang redete eher ich, über die Objektzeichnungen als Solches (bei in meinem Betrieb war ich dafür zuständig), darüber was wir in unserem Betrieb machten (ich erwähnte nicht, dass ich der Chef war).

Er taute etwas auf und redete mehr über sich. Er war definitiv interessiert und wollte mir morgen Einiges von dem zeigen, was er so künstlerisch und handwerklich gemacht hatte. Skulpturen und Objekte aus Holz, Speckstein und Ton.

Die Zeit verging. Irgendwann war es gegen 17:00 und wir hatten schon knapp 2 ½ Stunden gequatscht. Im Moment drehte sich das Gespräch um Kunst doch wir näherten uns unerbittlich, wenn auch langsam dem eigentlichen und schwierigen Themenkomplex.

Ich schlug vor ein wenig spazieren zu gehen. Immerhin kam er hier aus der Gegend und Nachbartische oder Bedienungen hatten Ohren. Schnell wäre da mal was aufgeschnappt und plötzlich in aller Munde.

Andi fand den Vorschlag gut. Ich reservierte noch schnell einen Tisch für den Abend. Und wir zogen los. Der nahegelegene Wald hatte ein gut ausgebautes Netz an Wanderwegen und war schnell erreicht.

Er war „aufgetaut“.

Er erzählte mir von seiner Kindheit. Seinem Vater, den ich ja bereits kennen lernen durfte; davon dass dieser früher Landwirt war, sich das aber irgendwann nicht mehr rechnete. ER arbeitete jetzt für das Straßenbauamt und hatte heute frei. Der Vater trauerte den alten Zeiten nach und haderte mit der Gegenwart. Andi erzählte, dass der Vater gerne einen „richtigen Sohn“ gehabt hätte und stattdessen er als „Bub“ und seine drei Schwestern im Haus waren, … Er war halt der Bub.

Der ewige Bub. Und das war eins seiner Probleme.

Irgendwann hatten wir einen größeren Waldabschnitt durchquert, kamen an den Waldrand und blickten auf eine langgezogene, abfallende Wiese mit kleinem Bachlauf und einer einsam gelegenen Kapelle. Das Gespräch versiegte kurz. Niemand sonst schien hier unterwegs zu sein. Ein toller Aussichtspunkt mit einem Panoramablick auf große Teile des Spessart. Wir nahmen auf einer Bank Platz und unterhielten uns im Halbschatten weiter.

„Andi, sehe ich das richtig? Du hast die Erwartungen Deines Vaters nicht erfüllt.

Du warst nicht der starke Sohn, den er sich gewünscht hat. „

„Kann man so sagen. „

„Du hast etwas ziemlich Feminines an Dir. Du konntest und wolltest auch gar nicht dieser Sohn sein. Ist das richtig?“

„Ja, ziemlich genau. Er war enttäuscht. Auf seine Art. „

„Und das tut Dir weh?“

„Ja. „

„Du fühlst Dich zu Jungs hingezogen?“

Zustimmendes Brummen.

„Und der Junge von der Rötelzeichnung — in den hattest Du Dich verguckt?“

„Ja Alex. Ein ziemlich cooler Typ. Wir kennen uns seit dem Kindergarten und haben ziemlich viel zusammen gemacht. Doch er hat in mir immer nur einen guten Freund gesehen. Nie mehr, aber auch nie weniger. Wir konnten immer über alles reden. Und dann kam Sabine. „

„Die Blonde?“

„Ja.

Er hatte keine Zeit mehr und als es mit Sabine auseinander ging musste er zur Bundeswehr. Er ist jetzt in Rennerod, irgendwo im Westerwald stationiert. Ab und zu schreiben wir uns noch Mails. Aber das ist nur oberflächliches „Blah Blah“. „

„Er sieht Dich nicht, als die Person die Du bist. Wärst Du gerne eine Frau?“

„Ehrlich gesagt ja. Aber davon bin ich ziemlich weit entfernt. „

Ich musterte ihn kurz.

„Ja ein ziemlich gutes Stück. Du siehst wirklich aus wie ein Bub. Die seitliche Beckenansicht und die Brustwarze — die waren von Dir?“

Er errötete deutlich. Damit hatte ich jetzt an dieser Stelle nicht gerechnet.

„Ja, die Bilder zeigen Teile von mir. Aber ich wollte sie nie jemanden zeigen. „

(Ein kleiner, wohl gezielter Seitenhieb, der gesessen hatte!)

„Du magst Dich und Deinen Körper nicht?“

„Nein.

Ich wäre gerne so eine richtige Granate. Irgendwas zwischen Angelina Jolie und Kirsten Dunst. „

„Der typische feuchte Traum vieler Männer. „

„Genau. „

„Hast Du versucht Dich anderen Jungs, als nur Alex zu nähern. „

„Hab ich. Aber die haben alle schnell abgeblockt. Ich bin halt der „Bub“. Nen Typ, zum Pferde stehlen und zum Spaß haben. Aber nicht für eine Beziehung.

„Vielleicht hast Du am falschen Ort gesucht. Hier auf dem Land geht es eher etwas konservativ zu. Da gibt es überwiegend Heteros und die paar Homos, die es hier gibt, werden sich in der Öffentlichkeit wahrscheinlich nicht outen.

Hast Du ein paar Homos kennen gelernt?“

Er grinste mich an.

„Zwei Stück. Haben mich beide sofort angegraben. Aber ich habe sie abgeblockt und dann haben die auch ziemlich schnell nichts mehr von mir wissen wollen.

„Darf ich fragen warum?“

„Klar. Ich war ihnen zu — wie nennst Du es? — zu feminin. „

„Okay?“ Ziemlich viele Fragezeichen tanzten vor meinen Augen.

„Du bist verwirrt?“

„Ehrlich gesagt ja. Ich versteh Dich jetzt irgendwo nicht so richtig. Du willst eine Frau sein oder werden. So richtig mit Brüsten, Becken, also auch den passenden weiblichen Formen.

Er nickte zustimmend.

„Du sehnst Dich nach Jungs und ich sag es wie es ist : Nach Schwänzen“

Er nickte wieder zustimmend.

„Du landest nicht bei den „normalen Jungs“. Da hast Du keine Chancen. „

Er nickte weiter.

„Und kaum interessieren sich Jungs Deiner Ausrichtung für Dich, blockst Du sie ab. „

„Meiner Ausrichtung? Ich glaube da muss ich Dir jetzt wiedersprechen.

Aber Du näherst Dich ansonsten sehr gut dem Kern. „

Er stand auf. Er nahm meine Hand in die seine und trat vor mich.

Ich wollte ihm gerade meine Hand wieder entziehen, aber er sah mich an und hatte gemerkt was in mir vorging. Ich fühlte mich unwohl und wollte das nicht.

Er drehte die Handinnenfläche nach oben und sagte : „Keine Angst Markus.

Nichts Schlimmes. Vertrau mir und mach einfach nur mal kurz mit. „

Er ging langsam in einen leichten Grätschstand und führte meine Handinnenfläche an seinen Schritt. Mit leichtem, aber nachhaltigem Druck führte er meine Innenhand an sein Geschlecht und drückte sie dagegen.

Die Hose war trennend dazwischen.

„Und? Spürst Du etwas Markus?“

Ich war jetzt knallrot. Ich spürte so rein gar nichts von dem, was ich eigentlich hätte vorfinden sollen.

„Andi steht für Andrea. Ich bin eine Frau. Nur sehe ich nicht so aus. Keine Titten, kein Becken, kein Arsch und noch nicht einmal groß gewachsen.

Aber ich hab eine Möse und ich blute einmal im Monat, wie jede andere Frau auch. Und ich habe meine Bedürfnisse — wie jede andere Frau. Ich will eine Beziehung, wie jede andere Frau. Ist das so schwer zu verstehen? Ist das denn zu viel verlangt von diesem Leben.

Er, nein Sie!!! Sie schluchzte und dicke Tränen rannten über ihr Gesicht. Ich war baff und fassungslos. Ich war die ganze Zeit so auf dem völlig falschen Dampfer.

„Ich sehne mich nach einem Schwanz, weil ich verdammt noch mal ein natürliches Anrecht darauf habe, mich nach einem Schwanz zu sehnen!“

„Andi, tut mir leid. Ich war die ganze Zeit der Meinung, Du wärst ein Junge.

Ein schwuler Junge, der deswegen massive Probleme mit seinem Umfeld hat. „

„Und da bist Du nicht der Erste, Markus. Das denken fast alle die mich nicht kennen, wenn sie mich kennen lernen. „

„Du kleidest Dich aber auch gar nicht fraulich und Deine Pagenkopffrisur sieht zwar nicht schlecht aus. Aber sie macht aus Dir auch keine Frau, sondern eben — Tschuldige den Ausdruck : einen Bub. „

„Wie soll ich mich denn wie eine Frau kleiden?“

Tränen rannten über ihre Wangen.

Sie ergriff mit ihrer anderen Hand die Meinige und drückte sie mit der Innenfläche auf ihr Shirt an ihre Brust. Ich spürte ihre Warze zwischen Zeige- und Mittelfinger.

„Da ist nichts! Nichts, um einen BH zu rechtfertigen!!! Wenn ich mich wie eine Frau anziehe, sehe ich noch lächerlicher aus. Jeder würde mich ansehen und würde mir ansehen, dass ich mich hasse. Dass ich meinen Körper hasse. „

Mir wurde bewusst, dass eine Hand auf ihrer Brust und die andere immer noch in ihrem Schritt verweilte.

Ich nahm vorsichtig beide Hände weg und umarmte sie. Ihr Kopf lag auf meinem Bauch und sie weinte und weinte. Ich sagte nichts, sondern hielt sie einfach nur umarmt. Nach einer halben Ewigkeit entspannte und beruhigte sie sich ein wenig. Wir setzten uns wieder auf die Bank und sie nahm den Faden wieder auf.

„Ich habe schon Einiges versucht. Was meinst Du, warum ich nur Realschulabschluss gemacht habe. Ich hatte sehr gute Noten.

Aber ich hielt es in der Schule nicht mehr aus. Meine ganzen Freundinnen wurden zu Frauen und ich? Ich blieb einfach so. Klar, es wurde nicht offen gelästert. Aber diese Blicke der anderen Mädels taten verdammt weh. Auch die Blicke der Jungs, die wachsende Oberweiten und Ärsche beurteilten. Und dann kamen von meinen Freundinnen die mitleidigen Blicke und die taten jetzt so richtig weh. Ich wollte alles, nur kein Mitleid.

Ich wollte nur einfach so sein, wie jede andere.

Sie brach einen Moment ab und ich drängte sie nicht weiter. Wir saßen wieder nebeneinander und aus einem Impuls heraus, legte ich meinen Arm um sie und ihre Schulter.

„Deswegen habe ich nach der Realschule nicht weiter gemacht sondern eine Lehrstelle gesucht und bekommen. Bewusst weit weg. Ich wollte neu anfangen. Aber jetzt bitte nicht lachen. Es ist schon fast tragisch.

Ich weiß nicht, ob die meine Bewerbungsunterlagen nicht richtig gelesen haben.

Überall steht Andreas. Auf meinem Namensschild, auf meinem Spind. Die Namenslisten in der Berufsschule.

Für meine Kollegen bin ich der „Bub“ — auch jetzt noch, im dritten Lehrjahr. Mein Spind steht in der Männerumkleide. Ich dusche mich nicht zusammen mit den Kollegen. Das ist für die aber in Ordnung. Die halten mich — wie Du vorhin — für stockschwul und machen so ihre Scherze. Aber sie sind nicht grausam oder bösartig.

Ich bin gerne dort. Auch in der Umkleide. Und wenn die meisten nach Schluss duschen, sehe ich wenigstens auch mal ein paar richtige Männerschwänze.

Björn, ein eigentlich ziemlich netter Kollege, hat einen ziemlich derben Humor. Manchmal strippt er vor mir und kreist mit seinem Becken und lässt sein 30 Zentimeter Superschwanz vor mir rumschaukeln — „Andi, nur gucken, nicht anfassen!“ … Alles liegt dann platt und auch ich muss dann immer lachen.

Wenn auch aus anderem Grund. „

Sie lächelte etwas zaghaft und fing an, leise zu singen :

„Ach wie gut, dass niemand weiß, dass Andi eigentlich Andrea heißt. Ob Björn dann immer noch vor mir strippen würde?“

Jetzt grinste ich auch wieder ein wenig. Irgendwie musste ich jetzt alles neu einordnen und bewerten. Wie konnte ich so falsch liegen. Das klang jetzt alles so plausibel.

„Operationen oder Hormontherapie? Hast Du schon einmal darüber nachgedacht. ?“

„Ja. Hab ich. Will ich aber nicht. Ist mir zu gefährlich — Hormone machen auch noch andere Dinge. Und mit dem Silikon. Das bin ich dann noch weniger. Ich will nicht vorgeben etwas zu sein, was ich nicht bin. „

„Aber Du bist ziemlich unglücklich mit Deiner momentanen Situation. Der Tod, das Sterben und die Metamorphose.

Das sind alles zentrale Themen in Deinem Buch. „

„Manche Tage sind etwas dunkler, als die anderen. Geht uns das nicht allen irgendwann einmal so? Weißt Du, da kommt einfach mal wieder so ein Tag, da will man einfach nicht mehr. Man will den ganzen Scheiß hinter sich lassen — ganz und für immer. Endgültig!!!“

„So habe ich das auch gelesen und ehrlich gesagt, hatte und habe ich Angst um Dich.

Deswegen der kurze Brief. Deswegen die Zeit, die ich mir gerade für dich nehme. „

Wir schwiegen einen Moment. Ich hatte meinen Arm noch um sie gelegt und nun legte sie ihren Kopf zaghaft an meine Schulter. Ich ließ sie gewähren.

„Weißt Du Markus. Es ist das erste Mal seit einer Ewigkeit, dass ich über das alles gesprochen habe. Ich fühle mich langsam wieder richtig gut und — bitte nicht lachen — ich bekomme gerade Hunger.

„Passt. Wenn Du Lust hast? Ich habe einen Tisch auf Verdacht reserviert. Komm, lass uns langsam zurück laufen. „

„Lust schon, aber es ist der 28. Mein Lehrlingsgehalt ist noch nicht da. „

„Du bist eingeladen. „

„Warum tust Du das Alles?“

„Weil Du mich irgendwie berührt hast. Du hast zwar so völlig andere „Probleme“ als ich, aber in dem was Du gezeichnet hast und in dem was Du geschrieben hast konnte ich mich an einigen Punkten selbst wieder erkennen.

Andi, wenn Du irgendwann einmal die Chance und Möglichkeit hast, einem anderen Menschen etwas Gutes zu tun, dann denk einfach an den heutigen Tag und tue es. „

„Und alles wird gut?“

„Vielleicht nicht alles Andi, aber Einiges schon. „.

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