Ian und Marvin

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Ein kleiner Ausschnitt aus meiner fiesen Nanonovelle, ‚Kennen Sie Bob?‘.

Ergibt wenig Sinn, nur ein wenig Herzschmerz und Tragik, gemixt mit Homoerotik.

Samanthas Phantasie entspringen zwei Charactere, die tapferen und doch gequälten Agenten Ian und Marvin.

* * * * *

Warum es ausgerechnet diese Figuren waren, die sie erweckt hatte aus den Tiefen ihres Unterbewusstsein, warum ausgerechnet sie und nur sie zu ihr sprachen, blieb ihr ein Rätsel, ein Geheimnis, doch eines, das sie getrost ruhen ließ, das sie nicht quälte, dessen Mysterium ebensoviel Freude machte, wie die Erforschung zweier Männer, die ihrem eigenen Wesen so fern waren, wie es nur irgendwie möglich sein konnte.

Und doch glaubte sie manchmal, dass die Entfernung nur teilweise, nur äußerlich, dass die Nähe, die nur in ihren Nervenbahnen erzeugt wurde, doch Ausdruck einer tieferen Verbindung von Teilaspekten, partiellen Ansichten komplexerer Verbindungen, dass Ian und Marvin nicht nur willentlich und wissentlich aus Bruchstücken zahlloser Bücher, Filme und Phantasien zusammengesetzte Gestalten waren, sondern dass sie in ihnen, mit ihnen lebte, dass sie mehr zu ihnen gehörte, ihnen näher war, als jedem wirklichen Menschen, der jemals in ihrem Leben eine Rolle gespielt hatte.

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Und als sie begannen, zu ihr zu sprechen, versank nach und nach alles um Samantha, versickerte in sich urplötzlich öffnenden Löchern, die sich langsam vergrößerten, die alles verschlangen, bis nichts mehr übrig war, außer der weißen Fläche, in die sie eintauchte, auf der die Buchstaben tanzten, spielten und suchten, auf der Träume und Albträume erschaffen wurden und vergingen, auf der Helden kämpften und litten, verloren und versagten in einem ewigwährenden Taumel, der von ihr erschaffen und zerstört wurde.

* * *

Sie hatten Ian gerettet, sie hatten ihn aus dem Schlachtfeld, auf dem er hätte fallen sollen, gezogen, und dabei ihr eigenes Leben geopfert, ihre Existenz für die Seine und für die Fortdauer ihrer Liebe gegeben.

Verletzt und blutüberströmt lag er in den Ruinen der zerstörten Lagerhalle, gebrochen, doch nicht zerbrochen.

Er war ein Held, ihr Held, der alles gegeben hatte, um zahllose Menschenleben zu retten, und der nun geduldig die Belohnung erwartete, die sie ihm zukommen lassen würde, zukommen lassen musste.

Aus schmerzerfüllten Augen sah er zu seinem Partner auf, die glänzende Waffe entglitt seinen Händen, als er die zitternden Finger nach dem Geliebten ausstreckte.

Sie waren immer diskret gewesen. In einem Job, wie dem Ihren hatten Romanzen nichts verloren, war die gleichgeschlechtliche Liebe noch immer ein Tabu.

Doch all das war nun gleichgültig geworden.

Sie hatten diese Gefahr überstanden, den Feind besiegt, den Frieden gerettet und hätten sich beinahe für immer verloren.

In Marvins für gewöhnlich eisblauen Augen schimmerten Tränen, als wäre die kalte Zurückhaltung mit den Ereignissen der vergangenen Wochen, geschmolzen, hätte Schnee und Eis in Wasser verwandelt und einen grünen Schein entstehen lassen, dessen Bestimmung es sein sollte, die neue Hoffnung, das erwachende Leben in seiner Seele sichtbar zu machen.

Ihre Blicke trafen sich, schwarzer Edelstein versank in meergrünem Tief.

Und dann näherten sich ihre Lippen, fanden sich Hände und Arme, berührten Körper einander, langsam, vorsichtig, und doch ungeachtet der Menschen, die sich dem Explosionsherd näherten, der Kollegen, die es nie geahnt hatten, der neugierigen Zuschauer, die alles erwartet hätten, nur nicht dieses, und ihre Münder trafen sich endlich in dem einen Kuss, der alles aufwog, der allem letztendlich einen Sinn verlieh.

Ians verletzter Arm hob sich ungeachtet der Schmerzen und er schlang ihn um Marvins Hals, der den Dunkelhaarigen näher zu sich zog, um den so lange ersehnten und schmerzlich vermissten Kuss zu vertiefen, den moschusartigen Geschmack des Anderen in sich aufzunehmen, Wiedergutmachung zu fordern, für das, was sie bislang und ob der Prüfungen, die ihnen auferlegt worden waren, versäumt hatten.

Kugelsichere Westen trafen aufeinander, verhinderten die Annäherung, steigerten das Verlangen.

Ians lange Finger gruben sich in das blonde Haar des Agenten, pressen seinen Kopf näher an den des jüngeren Mannes, als wünsche er ihn zu verschlingen, ihn nie wieder loszulassen, ihn für immer bei sich zu behalten, koste es was es wolle.

Er liebte ihn, ganz und gar, mit all seinen Sinnen, und es war ihm egal, was andere sagen würden, es spielte keine Rolle, welche Schwierigkeiten auf sie zukommen, mit welchen Problemen kleingeistiger Opportunisten sie es in Zukunft zu tun bekämen.

Er liebte Ian, und das war das Einzige, was zählte, das Einzige, das wichtig war, das Einzige, das einen Sinn machte.

* * * * *

Ian wirkte bleich zwischen den weißen Laken. Seine ungesunde Blässe wurde noch hervorgehoben durch die sterile Umgebung des Krankenzimmers, die grellen, abwaschbaren Wände, die hell blitzenden Geräte, an die er angeschlossen war, die blinkenden Tasten und Lämpchen, die seine Lebensfunktionen überwachten.

Nur zur Vorsicht, hatte man Marvin gesagt, nur zur Sicherheit. Man wolle kein Risiko eingehen, nach dem kurzen Herzstillstand, den er auf dem Rücktransport erlitten hatte.

Kein Risiko.

Marvin hätte gelacht, wenn ihm das Herz nicht zu schwer, der Geschmack in seinem Mund nicht zu bitter gewesen wäre.

Tag für Tag gingen sie Risiken ein, ihr Leben war ein Tanz mit dem Tod.

Wie hatte es nur geschehen können, dass der Mann, der für ihn immer der Fels in der Brandung gewesen war, unzerstörbar, ein fester Halt in einem Meer aus Lügen und Qualen, so plötzlich, so unerwartet, zusammenklappen konnte, nachdem sie der Gefahr gerade erst entronnen, nachdem sie sich gerade erst wieder von Neuem füreinander entdeckt hatten.

Marvin biss sich auf die Lippen, rieb nervös seine Finger gegeneinander, bis die Haut schmerzte.

Er trug immer noch die Ausrüstung, die sie für den Einsatz benötigt hatten, Ians Blut klebte immer noch an seinem Ärmel, an seiner Jeans, auch wenn die dunklen Flecken gegen das Schwarz des Stoffes kaum auszumachen waren.

Er hätte sich umziehen, sich waschen sollen, einen Bericht abliefern, die Ärzte checken lassen, ob mit ihm alles in Ordnung war, doch er brachte es nicht fertig, das Gebäude, das Stockwerk, in dem Ian lag, zu verlassen, auch wenn ihm immer und immer wieder versichert worden war, dass er weder etwas zu fürchten habe, noch dass er in der Lage wäre, etwas auszurichten oder irgendeine Art von Hilfe zu leisten.

Zur Hölle, er war noch nicht einmal mit ihm verwandt, ohne seine Marke und sein herrisches Auftreten, hätten sie ihn nicht einmal zu ihm gelassen, hätte er ihn nicht einmal sehen, nicht einmal kurz seine Hand drücken und ihm versprechen dürfen, dass er ihn nicht alleine lassen würde.

Und nun ließ ihn das Bild nicht mehr los, die einzelnen Tropfen, die langsam und regelmäßig aus dem Infusionsbeutel in den durchsichtigen Schlauch tropften, Ian mit Flüssigkeit, Salzen und Medikamenten versorgten, die seinen Zustand stabilisieren sollten, nein… stabilisierten.

Es gab keinen Grund an Ians Stärke zu zweifeln. Ein dummes Blutgerinnsel, ein unglücklicher Zufall, jedoch nichts, das einem Mann wie ihm wirklich gefährlich werden konnte, davon versuchte sich Marvin wieder und wieder zu überzeugen.

Nein, es würde nicht lange dauern, und sie würden gemeinsam darüber lachen, und Ian würde ihm die Sorgenfalten weg küssen, würde ihm versichern, dass er sich nie wieder in Gefahr begeben, dass er ihm nie wieder zumuten würde, an seinem Bett zu sitzen, und zuzusehen, wie die große, aufrechte Gestalt, zusammenschrumpfte, klein und schwach wurde, ihn mit der schrecklichen Wahrheit konfrontierte, dass er ihn eines Tages alleine zurücklassen, ihn zwingen würde, seinen Kampf alleine auszufechten, bis der Tod auch ihn endlich gnädig zu sich nähme.

Und Ian würde das tun, obwohl er wusste, dass es eine Lüge wäre, dass es keine Sicherheit gab und niemals eine solche geben würde, auch wenn es nichts auf der Welt gab, das er sich mehr wünschen, das er stärker ersehnen würde, als die Gewissheit, dass ihm seine Liebe niemals genommen würde.

Es war beinahe lachhaft, nach all den Fragen und den Zweifeln, mit denen er sich Zeit seines Lebens gequält hatte.

Die Klarheit seiner Gefühle erschütterte Marvin tief in seiner Seele. Hätte er es besser, hätte er es früher gewusst, um wie vieles leichter wäre ihnen beiden das Leben geworden.

Die Ironie, dass Ian ihn in diesem Augenblick genommen werden sollte, in dem er sich endgültig und ohne weitere Einschränkungen für ihn entschieden hatte, zerquetschte seine Eingeweide, wühlte in seinem Inneren, bis er die Übelkeit in sich aufsteigen fühlte.

Wieso nur hatte er sich so lange dagegen gewehrt, wieso nur Tag für Tag neue Hindernisse zwischen ihnen errichtet?

Wie oft waren sie schon in Gefahr geraten, waren dem Tode nur knapp entronnen, ohne dass er gefühlt hatte, was er nun fühlte. Im Adrenalinrausch zählte nichts als das Überleben, kam es an auf sekundenschnelle Entscheidungen, auf ihre sicheren Reaktionen und ihr Können.

Einen verletzten Partner auf seinen Schultern aus der Gefahrenzone zu transportieren, war nicht zu vergleichen mit der Hilflosigkeit, im Angesicht des Leidens, das er nicht lindern konnte, eines Risikos, das er außerstande war auch nur abzuwägen, einer Frage, deren Antwort nichts, das er tun würde, beeinflussen oder beschleunigen würde.

Marvin fuhr sich durch das kurze, stoppelige Haar.

Er war machtlos, es gab nichts, das er würde tun können, auch wenn er sich noch so stark danach sehnte.

Marvin presste die Fäuste gegeneinander, bis sie schmerzten.

Wie lange kannten sie sich nun schon, ein halbes Leben, oder länger?

Damals, im Ausbildungscamp waren sie sich zum ersten Mal begegnet, als sie beide noch jung gewesen waren, wenn auch nicht unschuldig.

Jung und voller Illusionen über ihr Leben und ihre Arbeit, über das, was sie taten, dem Zweck, dem sie dienten.

Er hatte ihn angesehen, das feuchte Haar, dass an den Schläfen klebte, das ärmellose Shirt, unter dem sich die harten Muskeln deutlich abzeichneten, das dunkle Schweißflecken aufwies, die von der Hingabe sprachen, die er sogar während eines freundschaftlichen Basket Ball Matches aufbrachte.

Seine Bewegungen waren elegant, beinahe katzenartig, wenn er mit dem Ball tanzte.

Niemand konnte ihn daran hindern, das Ziel zu erreichen, die Punkte zu holen, die er sich vorgenommen hatte, zu erkämpfen.

Und Marvin hatte bereits in diesem ersten Augenblick gewusst, dass er ihn haben wollte, dass er ihm gehören wollte, trotz seiner jungen Frau, die allein und schwanger zu Hause auf ihn wartete, trotzdem sich die Frage für ihn niemals gestellt hatte, er immer gewusst hatte, dass es nur Experimente gewesen waren, dass er nur getan hatte, was jeder Teenager in diesem Alter tat, dass er fraglos hetero war, dass seine Heirat es letztendlich allen bewiesen hatte.

Und trotzdem waren diese verbotenen Gefühle in ihm täglich gewachsen, und als ein Blick in Ians Augen, die zufällige Berührung ihrer Hände auf dem Spielfeld, die eine Explosion von Nervenbahnen in seinem Inneren, zur Folge hatte, bewies, dass der andere diese unsichtbare, unerklärliche Anziehung auch spürte, in diesem Augenblick hatte er gewusst, dass es unvermeidlich sein würde, dass ihre Verbindung über ein gelegentlich aufflackerndes, sexuelles Interesse, das jedes Auftreten einer attraktiven Erscheinung begleiten konnte, hinausginge.

Und doch hatte er nicht erwartet, dass die Verschmelzung ihrer Körper ein derart unauslöschliches Feuer in ihm entfachen, ihm so viel bedeuten würde, dass er immer und immer wieder, über Jahre, beinahe über Jahrzehnte hinweg, alles in Bewegung gesetzt hatte, damit sich ihre Wege von Neuem kreuzten, dass sie sich zufällig begegnen mussten, oder sich heimlich trafen für kurze Momente, angefüllt mit glühender Leidenschaft, während derer es war, als würden sie Zugang zu den verborgensten Tiefen ihrer Seelen finden, als hätten sie den Teil ihrer Selbst gefunden, den sie zu lange verloren geglaubt hatten.

Ohne dass es notwendig gewesen wäre, darüber zu sprechen, hatte Marvin gewusst, dass es Ian ebenso erging, dass seine Liebe vielleicht sogar noch stärker, noch verzehrender war, als die Seine.

Überraschend war er aufgetaucht, hatte sich unangekündigt in Marvins Einheit versetzen lassen, ihm abends aufgelauert, und ihm gezeigt, was die Trennung ihm bedeutet, wie sehr er seine Nähe vermisst hatte, und doch erfolgte der plötzliche Rückzug aus seinem Leben ebenso unerwartet und unvorbereitet, als wäre er gezwungen gewesen die Flucht zu ergreifen, in der Ferne nach dem zu suchen, was Marvin nicht imstande war, ihm zu geben.

Das er damals nicht imstande gewesen war zu geben, all diese langen, verschenkten Jahre, in denen er gedacht hatte, es wären Momente der Schwäche gewesen, die ihn in Ians Arme getrieben hätten, in denen er mit sich gerungen, gekämpft hatte, um der Versuchung Herr zu werden, das Verlangen zu unterdrücken, sich dem anzupassen, was von ihm erwartet wurde, was dem Sprössling einer Soldatenfamilie in die Wiege gelegt worden war.

Wieso war es ihm erst jetzt vergönnt zu erkennen, wie falsch diese Erwartungen, diese leeren Floskeln gewesen waren, deren antiquierten Grundregeln sie sich ungefragt unterwarfen, die das abtöteten, das ihr Wesen in seiner Tiefe ausmachte, ihnen die innere Schönheit und Erfüllung zugestand, die sich selbst verboten hatten, die verknüpft blieb mit Schuld und Sünde, egal wie stark und überzeugt sie gegen diese, sich in die morschen Pfeiler der Gesellschaft über Jahrhunderte eingefressenen Vorurteile zu wehren bemühten.

Warum sah er ihre Liebe erst jetzt als das, was sie wirklich war, erkannte sie in ihrer ganzen Vollkommenheit und der Reinheit, die ihr innewohnte.

Warum hatte er sich so lange dagegen gewehrt, sie zu akzeptieren, warum so viele Jahre verschenkt, warum sich selbst und ihn gequält, für nichts und wieder nichts mit dem Verzicht auf etwas gefoltert, das sie beide doch mehr gebraucht hätten, als die Luft zum Atmen, obwohl das Ergebnis doch von Anfang an feststand, das einzig unverrückbar wahrhaftige Resultat, auf das alles in der Welt hinauslief, die eine Wahrheit, die besagte, dass nur eine Sache zählte, nur eine einzige Sache von Bedeutung war, zu lieben und geliebt zu werden.

* * *

* * *

Und Ian schlief, das schöne Gesicht immer noch bleich auf den Kissen, die dunklen Augen geschlossen, bedeckt von zitternden, langen Wimpern.

Marvin näherte sich dem Krankenbett, lautlos und beinahe ehrfürchtig.

War die Krise überstanden? Hatten die Mächte, die alles bestimmten, seine Bitten erhört?

Bebenden Herzens beugte er sich über den Mann den er liebte, der so verletzlich, so verwundbar, so alleine darniederlag, dass es ihm sein Herz aufbrechen und blutige Tränen sich daraus ergießen wollte.

Vergessen die Zeit, die er jenseits des Krankenzimmers verbracht hatte, getrennt durch eine dünne, kalte Glasscheibe, gegen die er seine tauben Finger gepresst hatte, als würde er versuchen, sie zu durchdringen, als könnten seine Gedanken die Trennung aufheben, und die erzwungene Entfernung zwischen ihnen nichtig werden lassen.

Zumindest eines fernen Tages, wenn schließlich auch Ian, wenn sie beide verstehen würden, dass sie endgültig eins geworden waren, dass nichts, keine Materie, weder sichtbare noch unsichtbare, weder reale, noch imaginäre, zwischen ihnen stand oder stehen würde, von diesem Tage an, bis zu dem Tag, an dem einer von ihnen verginge, stürbe, doch nicht ohne den anderen mit sich zu nehmen, welcher von nun an unfähig wäre, alleine fort zu existieren.

Niemand hatte ihn überreden können, von seinem Platz zu weichen, obwohl er verstand, dass er nichts ausrichten, dass er gezwungen war, nur noch als tatenloser Zuschauer, dem Geschehen beizuwohnen, zu beobachten und zu hoffen, zu beten und zu bitten, dass ihrer Liebe eine weitere Chance gegönnt werden würde.

Sein Geist war durch das Glas gegangen, hatte sich zu den Gedanken und Wünschen gesellt, welche die reglose Gestalt umschwebt und beschützt, gestreichelt und gerufen hatte, als wäre der tonlose Ruf von Marvins Seele in der Lage, eine Änderung hervorzurufen, ihn zu erwecken, ihn vor der Gefahr zu beschützen, die sie dieses Mal nicht von außen bedrohten, sondern die in Ians Innerem bohrten, der keiner von ihnen mit den Mitteln, die sie kannten, begegnen konnte, die grub und nagte, aus der Mitte heraus zerstörte, dem Bösen ein Gesicht gab, das kein Böses war, sondern der unvermeidliche Lauf der Natur, dem auch nicht der stärkste oder mutigste Krieger Einhalt gebieten konnte, der keine Verhandlungen erlaubte, der konsequent seiner Bahn folgte, so wie es seit jeher vorherbestimmt sein musste, mitleidlos, unbarmherzig, achtlos gegenüber den unerträglichen Schmerzen, die ihm wie eine dunkle Schleppe folgten.

Unbeweglich an diesem Ort verblieben war Marvin Stunde um Stunde, als wäre seine pure Anwesenheit, sein Beistand, eine Notwendigkeit, Ians Chance, und nicht nur ihm selbst ein essentielles Bedürfnis.

Kollegen, Vorgesetzte hatten versucht auf ihn einzureden, ihn fortzuziehen, zu einer Aussage zu bewegen, einer Pause, einem Moment der Ruhe.

Doch er hatte sie nicht wahrgenommen, sie waren ihm nicht mehr gewesen, als Fruchtfliegen, die neben ihm schwebten, zu klein, zu leise, als dass es ihnen möglich gewesen wäre, einen, wie immer gearteten Einfluss auszuüben.

Stimmen von Ärzten, Helfern, Schwestern wanderten an ihm vorüber, vermochten es nicht, sein Bewusstsein zu erreichen, seine Aufmerksamkeit von dem einzigen Fixpunkt in seinem Leben, von der einzigen Sache, die wirklich für ihn zählte, abzulenken.

Bis schließlich das Einzige geschehen war, das ihn aus seiner Paralyse hatte aufwecken können, die einzigen Worte, die es ihm ermöglicht hatten, sich aus seiner emotionalen und physischen Stasis zu befreien, die Erlaubnis, die Barrieren zwischen ihnen niederzureißen, die Trennung abzuwenden, die körperliche Nähe wieder herzustellen, die Luft zu atmen, die Ian atmete, die Hand zu berühren, die matt auf der blanken, kühlen Decke lag, die durchstochen von der Infusionsnadel einen erbärmlichen, blutbefleckten Anblick bot, und von der er sich dennoch ersehnte, liebkost und gestreichelt zu werden.

Marvin näherte sich dem bewusstlosen Menschen leise und sachte, bemüht, ihn nicht zu verstören, obwohl alles in ihm danach schrie, sich auf ihn zu werfen, ihn hochzureißen und wachzurütteln, bis er endlich seine Augen wieder aufschlagen, und ihm eines seiner seltenen, und gerade darum so unendlich kostbaren Lächeln zu schenken.

„Ian“, wisperte er unhörbar und legte all seine Empfindungen, seine Bitten in diesen Laut, in diesen Namen.

„Ian, verzeih mir. „

Tränen stiegen in ihm hoch, wollten sich an die Oberfläche eines Mannes kämpfen, der härter war, als der abgebrühteste Elitesoldat, der alles gesehen, alles getan hatte, der nicht mehr darauf hoffen konnte, dass ein Gott, unabhängig davon wie unendlich seine Barmherzigkeit erscheinen mochte, ihm jemals seine Taten vergeben würde.

Er kämpfte sie hinunter, so wie er gewohnt war, alles niederzukämpfen, das nicht in das Bild passte, das er vor sich her trug, dessen Fassade schon lange angekratzt und beschädigt, und das nun davor stand, in sich selbst zusammenzustürzen, die Läge, die den Rahmen zusammen gehalten hatte, als den brüchigen Kleber zu entlarven, der er war.

Er berührte die bleiche Hand, aus der jeder bronzene Ton gewichen war, welcher Ians Haut den samtenen Schimmer, den weichen, strahlenden Zauber verliehen hatte, fühlte die Kälte der Finger, das Schweigen in dem schlafenden Körper.

Und als eine einzige Träne hervorquoll, über sein zerfurchtes Gesicht perlte, durch die Luft schwebte, bevor sie auf den weißen Stoff, der Ian bedeckte, aufschlug, und in ihn einsickerte, da war es nicht mehr Marvin, der die Entscheidungen traf, da war es eine andere Macht, die ihn sich niederbeugen, und die blassen Lippen mit den Seinen bedecken ließ, die beide Männer mit einem Kuss verband, der alles sagte, in dessen Konsequenz keine Frage mehr existieren konnte.

* * *

* * *

„Ian, verlass mich nicht!“

Marvin umklammerte die bläulich kühlen Finger Ians, als könne er die Wärme davon abhalten, ihnen zu entweichen.

„Ich weiß, dass du mich liebst“, flüsterte er.

„Wir gehören doch zusammen, wir sind eins. Ich… ich hab es immer gewusst. “

Heiße Tränen brannten in seinen Augen, malten schmerzende Spuren auf ihrem Weg, sein zerfurchtes Gesicht hinab.

„Du bist die Liebe meines Lebens, du warst es immer, wirst es immer sein. Alles andere, alles andere war mein Fehler, meine Dummheit, meine…“

Ein Schluchzen entrang sich seiner Kehle.

„Wir haben so viel Zeit verschenkt, so viel verpasst, so viel vertan…“

Seine Nase tropfte, doch er merkte es nicht.

Die Momente, die vergangen, die entschwunden waren, sie kehrten zurück, wuchsen und stiegen in seinem Bewusstsein, färbten sich bunt und wild, in Formen und Farben, die er niemals hätte erwartet, die er niemals sich vorzustellen erlaubt hätte.

Erste Blicke, erstaunt und voller Wunder.

Erste Berührungen, zart, leicht und unschuldig. Vorsichtig und unsicher, zögernd und liebevoll, neu und verboten, geheim, versteckt und ungeplant, vergleichbar am ehesten mit versehentlichen Verstößen gegen ungeschriebene Vorschriften, die nirgends existierten, denn in den Köpfen derer, die aus keinen ersichtlichen und nachvollziehbaren Gründen das Sagen hatten, und die dennoch in riesigen, unübersehbaren Lettern über ihre Stirnen gezeichnet waren, unverrückbar, und hinderlich, zerstörerisch, tödlich für jedes aufflammende Begehren nach Freiheit, nach einem offenen Erleben ihrer Leidenschaften.

Die erste Begegnung ihrer Lippen, der erste Kuss, erfüllt von Hunger und Durst, spontan und plötzlich, beinahe brutal in der Plötzlichkeit des Angriffes, in dem unvermittelten Aufbegehren gegen die selbst auferlegte Abstinenz von dem Ersehnten, in dem überfallartigen, gegenseitigen Bedürfnis nach Nähe, nach dem ersten, körperlichen Ausdruck eines Gefühls, eines Verlangens, dem sich keiner von ihnen entziehen konnte, so sehr auch sie beide es versucht hatten.

Es war in einer dunklen Ecke gewesen, einem finsteren Winkel, geschützt vor den Blicken und den Beobachtungen der Kameraden, die betrunken in Richtung ihrer Schlafstätten torkelten.

Auch sie hatten getrunken, und das war wohl auch der Grund dafür gewesen, dass sie das getan hatten, wovon sie beide geträumt, doch das sie im nüchternen Zustand niemals ausgeführt hätten.

Ians Blick war mit dem seinen Verschmolzen, als sie wie Raubkatzen in die Dunkelheit entschlüpften, sich den anderen entzogen, eine Nische für sich entdeckt hatten, ohne zu wissen, was sie dort taten.

Und bevor er hatte in den schwarzen Augen ertrinken können, war er von starken Armen gegen die Wand gestoßen, mit einem warmen Körper an die harten Bretter gepresst, mit gierigen Lippen, deren Zurückhaltung mit dem Verschwinden des Lichtes, ebenfalls verschwunden war, gekostet worden, verschlungen, unter seinen Händen zu weicher Butter geworden, die harten, durchtrainierten Muskeln, sanft und nachgiebig, weich und empfangend, zu einer empfindsamen Masse, die sich danach sehnte, den anderen in sich aufzunehmen, zu erfassen, zu lieben, sich mit Haut und Haaren an ihn zu verschreiben, ihm zu gehören, ohne Einschränkungen, ohne Hindernisse, ohne Trennung oder Missverständnisse.

Und doch war es nur bei diesem Kuss geblieben, diesem einen heißen, alles verzehrenden Kuss, der noch Tage später auf seinen Lippen aufflammte, wann immer er Ians dunkle Locken, in die er seine Finger vergraben hatte, unter den anderen Haarschöpfen entdeckte, wann immer er seines hochgewachsenen Körpers ansichtig wurde, wann immer er den Kupferton seiner Haut im Sonnenlicht bemerkte, dessen Anblick ihn von innen heraus wärmte, dessen Weichheit im Gegensatz zu dem Spiel der harten Muskeln, die unter der samtenen Haut verborgen blieben, seine Sinne lähmte, sein Herz stocken ließ, seine Gedanken bannte, zurückbrachte zu diesem kostbaren Moment, an dem sich Körper gegen Körper, Glieder gegen Glieder, ungestilltes Verlangen gegen bedingungslose Leidenschaft gepresst hatten.

Er wollte ihn, wollte ihn mehr als alles andere, und Marvin wusste, dass Ian ihn auch wollte, die Erregung, die in ihnen beiden kochte, deren Aufsteigen unmissverständlich gewesen war, sprach deutlicher, als jede Äußerung ihrer Münder es hätte tun können.

„Ich liebe dich“, wisperte er wieder, und platzierte einen sanften Kuss auf die Hand, die er immer noch fest in der Seinen hielt.

„Ich liebe dich“, wiederholte er, als könnte es jetzt noch einen Sinn machen, als würde es noch etwas bedeuten, dass er ihm versicherte, wie sehr er ihn brauchte, wie nutzlos seine Existenz ohne ihn, ohne Ian, ohne den anderen Teil seiner Seele sein würde.

Über alle Gegensätze, über alle Hindernisse, über jeden trennenden Ozean hinweg, hatten sie sich gefunden, hatten sich erkannt, hatten sich geliebt, und jeder von ihnen hatte gewusst, dass es wahrhaftig war, dass es das war, das sie beide brauchten, dass dagegen anzukämpfen vielleicht ein Ausdruck der Zeit in der sie lebten, jedoch ein Unterfangen gegen jede Natur, gegen die Bestimmung ihrer Selbst war.

Sie waren auseinander gerissen worden durch ein Geräusch, die plötzliche Drohung einer Entdeckung, deren Ausmaß sie damals nicht wagten zu erfassen, und das dennoch ausreichte, um sie mit pochendem Herzen, schmerzender Sehnsucht zusammenzucken, voneinander lösen und erschrocken in die kalte Einsamkeit ihrer eigenen Welten, zurückkehren zu lassen.

Sie hatten nicht mehr gewagt, sich anzusehen, blieben getrennt und allein, nur für einen Augenblick, bis sie sich endgültig auseinander bewegt und schließlich stumm und rasch voneinander entfernt hatten, für diese Nacht und für die folgenden Nächte, während derer das Verlangen wuchs, die Begierde anstieg und an Macht über sie gewann, über ihre Körper, so wie über ihre Seelen, bis sie es nicht mehr hatten ertragen können, bis jede zufällige Begegnung einer unmenschlichen Qual gleichgekommen war, bis jede Sekunde durch den Schmerz der Sehnsucht regiert, von purem Verlangen erfüllt und gesättigt, sich in unerträgliche Ewigkeiten ausdehnte, die keine Erlösung, kein Heilmittel, keine Erleichterung versprach.

Solange hatten sie gelitten, bis es schließlich stärker gewesen war, als alles, das sie noch voneinander trennen wollte, ihnen die Steine in den Weg warf, die sie, in diesem Moment, beflügelt von ihrer Entschlusskraft, ergriffen und gepackt von der Wahrhaftigkeit ihrer Empfindungen, der Klarheit, die es ihnen ermöglichte, diese zu erkennen, dem zu folgen, das ihnen bestimmt war, die Bindung einzugehen, auf die sie immer gewartet hatten, nicht mehr als Barrieren hatten akzeptieren können.

Sie hatten die Felsen aus dem Weg geräumt, als wären sie Watte gewesen. Einst, als die Erkenntnis sie erschütterte, konnten die rohen Klippen ihrer Leidenschaft nichts mehr entgegensetzen, waren die Hindernisse keine mehr gewesen, zumindest in den Augenblicken, in denen sie nichts und niemandem mehr erlaubt hatten, zwischen sie zu kommen, in diesem Rausch der Vollendung, der Erfüllung, der stärker und mitreißender über sie hinweg strömte, als jede Ekstase, der sie sich bisher unterworfen hatten, die bisher Einlass in ihr von Stolz und Selbstdisziplin beherrschtes Leben gefunden hatte.

Der Grund für ihre beiderseitige Niederlage war die Kälte gewesen, die unerbittliche, eisige, nordische Kälte, der sie sich ausgesetzt sahen und die doch letztendlich nichts anderes als ein Vorwand, als die längst fällige Entschuldigung für ihr Aufgeben, für ihre Kapitulation gegenüber den Kräften waren, die sich als stärker erwiesen hatten, als jede Selbstbeherrschung es jemals sein konnte.

Auf den Einsatz zu warten war die eine Sache, der Gefahr zu trotzen, der ständigen Bedrohung ins Auge zu sehen, die andere, doch sie hatten nicht damit gerechnet, nicht damit rechnen können, sich schließlich alleine wiederzufinden, auf verlassener Ebene, ohne die Hoffnung auf Errettung, ohne das Wissen oder die Sicherheit eines morgendlichen Erwachens.

Unerwartet, plötzlich auf sich gestellt, mit keiner lebender Seele in Reichweite, mit keiner lebenden Seele, die ihren Standort würde erahnen können, die überhaupt imstande wäre zu erraten, dass sie sich auf verlorenem Posten im arktischen Eis wiedergefunden hatten, auf der Flucht und ohne Hilfe, mit nichts als den eigenen Körpern, dem technischen Wissen, das Überleben sichern sollte und mit der verborgenen Leidenschaft in den Herzen, die durch das ständige Ankämpfen gegen ihre alles durchdringende Wucht, die mühsam aufrecht erhaltenen Schutzpanzer durchdrungen, durchlöchert und schließlich den Sieg über ihre Angst, die nicht zu vergleichen war, mit der nackten Angst ums Überleben mit der sie sich tagtäglich konfrontiert sahen, sondern die, ganz im Gegenteil zu ihrem ständigen Begleiter, dem ständigen nagenden Getier, das sich an ihre Seelen klammerte, geworden war, das ihnen immer wieder, mit sanfter Stimme versuchte die endgültige Wahrheit einzuflüstern, an ihrer Rüstung knabberte, hoffte, und doch nicht geahnt hätte, dass es dort, auf der schneebedeckten Ebene, unter dem Firmament funkelnder Sterne geschehen wäre.

Auf einmal hatte es keine Zögern mehr zwischen ihnen gegeben, keine Verlegenheit, keine falsche Scham, keine Zurückhaltung.

Wärme zu suchen war eine Frage des Überlebens geworden, Erfüllung zu finden jedoch nicht minder.

Die Kälte war verdampft im Angesicht der Hitze ihrer glühenden Leiber, die sich in dem ewigen Tanz der Leidenschaften vereinigten, die sich in dem nie enden wollenden Rhythmus des Lebens und der Liebe bewegten, verschmolzen, die Welt um sie herum zum Versinken brachten, das Universum, dessen kleinster Teil sie waren, in ihnen zur letzten und endgültigen Explosion.

Nichts danach hatte noch irgendeine Bedeutung, nichts anderes zählte, als die Hingabe an den anderen Körper, als die heiße Haut, über die suchende, schlanke Finger fordernd glitten, der dünne Schweißfilm, der es erlaubte, dass Körper sanft gegeneinander rieben, ihre Säfte verschmierten, ihren Tanz zu einer eleganten, fließenden Perfektion führten, die besser war, richtiger, als jede andere Vereinigung, die Marvin jemals erlebt hatte.

Sobald die Situation klar gewesen war, hatte Ian umgehend gehandelt, die Initiative ergriffen, die Vorbereitungen getroffen, die hatten getroffen werden müssen.

Er hatte den kleineren Mann umfasst, noch ehe er Zeit gehabt hätte zu reagieren, noch ehe er irgendeinen Einwand hätte erheben können, hatte rasch und doch mit unendlicher Sanftheit die Knöpfe, die Verschlüsse seiner Kleidung gelöst, die unter dem klammen Sternenlicht bleich schimmernde Haut von ihrem Gefängnis befreit, ihn nur für den Bruchteil eines Momentes der gnadenlosen Arktis offenbart.

Nicht einmal die Zeit dazu, erschrocken zusammenzuschrecken, war ihm geblieben, bevor der Dunkelhaarige seine eigene Kleidung abgestreift, ihn in die festen Arme genommen, ihn zärtlich umschlungen, mit seinem Körper beschützt und in einer einzigen, fließenden Bewegung hinab und unter den Schutz der Decken gezogen hatte.

Die Hitze hatte Flammen geschlagen, die weißen Atemwolken verwandelten sich in Feuerstöße, in Rauchzeichen, die nur einen Inhalt, einen Sinn enthielten.

Körper schmiegten sich aneinander, passten perfekt, ergänzten sich in ultimativer Perfektion, in endgültiger Ekstase.

* * *

* * *

‚Nur noch ein eine einzige Sekunde, nur noch einen Moment, in dem sie sich lieben konnten‘, flehte Marvin stumm, vergrub seinen Kopf in den Händen und schluchzte erbärmlich.

Was würde er darum geben nur noch ein einziges Mal in seinen Armen liegen zu können, nur noch ein einziges Mal seine Stimme zu hören, die ihm süße Belanglosigkeiten sanft in sein Ohr flüsterten. Nur noch einmal das Gefühl seiner glatten Finger auf der Haut, die jeden Millimeter seines Körpers erforschten, jeden Spalt, jede Ritze, jede Narbe, jede Falte, die von dem Leben berichtete, das er geführt hatte, liebkoste und streichelte, als wäre sie das Kostbarste, das auf der Welt existierte.

Wie hatte er es geliebt, wenn sich der Druck seiner Hände verstärkt, wenn sein Atem sich beschleunigt, sein Herzschlag dem dumpfen Trommeln der Erregung, die in seinem Blut anwuchs, Ausdruck verlieh, wenn die mühsam aufrechterhaltene Selbstbeherrschung, auf die Ian stets so viel Wert gelegt hatte, zerfiel, zerbröckelte im Angesicht der aufkochenden Leidenschaften.

Nie hatte er ihm mehr bedeutet, als in diesem Augenblick, in dem der dunkelhaarige Agent, den sonst nichts hatte aus der Ruhe bringen können, vor ihm kapituliert hatte, in welchem er der Macht gewahr wurde, die sein Körper über den anderen ausüben konnte, in welchem er gleichzeitig Sieg und Niederlage erlebte.

Er hatte es geliebt von ihm genommen zu werden, hart und grob, als hätte Ian ihm beweisen wollen, dass die Entscheidung immer die Seine gewesen war, als hätte er ihn strafen wollen für seine Auflehnung, für seine Versuche zu fliehen, ihm und seiner Liebe zu entkommen.

Und dann wieder zärtlich und weich, so sanft und behutsam, dass es ihm die Tränen in die Augen getrieben hatte.

Er hatte ihn auf Tausende verschiedener Weisen geliebt, jedesmal neu, jedesmal wieder wie das erste Mal.

Er war in seine Wohnung gekommen, hatte ihn roh gegen die Wand gedrängt, sein hungriger Kuss eine erste Warnung für das, was unweigerlich kommen würde, hatte ihm die Kleidung vom Leib gerissen, und war an Ort und Stelle, ohne weitere Vorbereitung in seinen willigen Körper eingedrungen, bis trotz der harten Lippen, die seinen Mund verschlossen hatten, schrie, ohne zu wissen ob es die Leidenschaft oder der Schmerz war, der ihm die Laute entlockte.

Marvin hatte es geliebt, wenn Ian die Kontrolle über sich verloren, wenn er der Wildheit in sich Raum gegeben und ihm keine Wahl, keine Entscheidung mehr überlassen hatte, wenn er die Erfüllung seiner geheimen Sehnsüchte tief in sich explodieren fühlte, wenn der animalische Laut, den der andere ausstieß herrlicher und melodischer in seinen Ohren klang, als die schönste Musik es hätte tun können.

Und er hatte es geliebt, wenn Ian seine Begierden beherrscht hatte, wenn er ihn langsam und geduldig erforscht, seine Haut mit Küssen bedeckt, feuchte Spuren entlang seines Körpers gemalt, jede Öffnung, die er ihm bot, geneckt und gereizt hatte, bis Marvin glaubte, den Verstand zu verlieren.

Zunge und Lippen liebkosten die empfindlichsten Stellen, die dünne, empfindliche Haut an Hals und Achseln, den kleinen Ort hinter dem Ohr, der, einmal stimuliert, seine Brustwarzen erigierte, noch bevor Ian sich ihrer widmen konnte.

Leichte Bisse zwischen Hals und Schulter, zu zärtlich und hingebungsvoll, um Spuren hinterlassen zu können, wurden zur geduldigen Wanderung über Brust und Leib, bis sie sich dem Zentrum seines Seins näherten, seine pochenden Lenden umkreisten, seine Hüften umspielten, bis er den Gipfel der Ekstase bereits erklommen hatte, ohne dass sein Geschlecht auch nur berührt worden wäre.

Doch war das erst der Beginn des Tanzes, nur der Auftakt zu einer Reise, die seine Sinne in unbekannte Höhen, in unfassbare, erderschütternde Feuerwerke verwandelte, die ihn in weitere Fernen und doch in tiefere Einsichten katapultierte, als er jemals für möglich gehalten hätte.

Wenn seine Lippen, die fähig waren, die unbarmherzigsten Befehle, die schonungslosesten Kommandos auszuteilen, sich endlich um seinen Penis schlossen, wenn die weißen Zähne ihn wohlig erschauern ließen, wenn die Zunge seine Spitze zärtlich umspielte, wenn er langsam und geduldig an ihm saugte, ihm seinen Rhythmus aufzwang, und ihn schließlich ganz in sich aufnahm, ihn wieder und wieder dazu brachte, in die weiche und doch fordernde Höhlung seines Mundes hineinzustoßen, ohne auszuweichen, ohne ihm entgehen zu wollen, im Gegenteil, mit jedem Stoß nur noch hungriger, noch gieriger sog, dann gab es keinen Zweifel mehr, dann war alles wahr und richtig.

In diesen Augenblicken wusste Marvin, dass es nicht falsch sein konnte, dass sie das taten, wofür sie geschaffen worden waren, dass ihre verschmelzenden Körper weiter waren, als ihre zögerlichen Gedanken, die immer wieder von neuem Wälle und Hindernisse erfanden und sie damit zu ersticken drohten.

Doch wenn die weißen Blitze ihn durchzuckten, wenn Ian die bittere, cremige Flüssigkeit, die seine Erlösung bedeutete, bis zum letzten Tropfen trank, und wenn er ihm dann seine Beine spreizte, mit heißen Fingern und Lippen Zugang zu seinem Innersten, zu dem verborgenen Geheimnis tief in ihm, das er geschworen hatte, niemandem zu offenbaren, wenn er ihn öffnete und befeuchtete, wenn er mit Zunge und Händen den schmalen Eingang weitete, bis Marvin aus seiner Erschöpfung erwacht vor Verlangen und Erwartung zu zucken begann, sich nach nichts anderem mehr sehnend, als nach dem langen, harten Schaft, der ihn ganz ausfüllen sollte, dann erstarben auch diese Gedanken, dann existierten nur noch ihre Körper die sich vereinigen, die gemeinsam den Gipfel der Leidenschaften erklommen, deren Bewegungen perfekt ineinander griffen, deren Körper sich ergänzten, keine Frage zu stellen ermöglichten, ob sie je füreinander geschaffen worden.

Nichts zählte mehr, als die pilzförmige, heiße, leckende Spitze, die nur für einen kurzen Moment an dem Ring der Muskeln bremste, doch die endlich kein Warten mehr kannte, wenn Marvin die Leere in sich nicht mehr ertragen konnte, und das pochende Glied des anderen an seiner Wurzel umfasste, und bestimmt und gierig in sich einführte.

Ians Stöhnen vermählte sich mit dem Seinen, wenn er ihn ganz und gar in sich fühlte, wenn sie eins waren, ein Körper und eine Seele, untrennbar verbunden in Perfektion.

Und dann, wenn der Tanz begann, wenn Ian begann sich in ihm zu bewegen, wenn er tiefer und tiefer in ihn hineinstieß, sich wieder zurückzog, seinen Schaft wieder und wieder über Marvins Prostata gleiten ließ, bis dieser zitterte, wenn er dann das Tempo erhöhte, ihre Leiber erschauerten, schweißbedeckt glänzend übereinander, ineinander hinweg fuhren, wenn ihr Blut brodelte, ihre Herzen rasten, und sie sich bebend ineinander verkeilten, die langen, tiefen Stöße abgelöst wurden von den letzten kurzen Feuern der Batterien, dann sahen sie beide das Licht und die Wahrhaftigkeit klarer, denn jemals zuvor oder jemals danach.

Und wenn Ian dann kollabierte, nachdem er tief in ihm gekommen, ihn mit seinem heißen, stickigen Samen gefüllt hatte, wenn er ihn festhielt, und sich wünschte, dass er sich niemals würde aus ihm zurückziehen müssen, spätestens dann flutete die Wirklichkeit wie ein Orkan zurück zu ihm und durchfuhr ihn mit seiner Gewalt.

Die alten, doch verflogenen Zweifel tauchten wieder aus ihren Winkeln auf, er spürte, wie sie ihm auflauerten, er spürte es an der plötzlichen Kälte, die Ian erfasste, dass sie auch auf ihn gewartet hatten, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als ihn fester und fester zu halten, so lange, und so stark, wie es ihm nur möglich war, den Moment auszudehnen, und damit den Augenblick, der mit dem Schmerz in ihren Augen nur der Vorbote ihrer baldigen Trennung sein sollte, herauszuzögern, solange es irgend möglich sein sollte.

Marvin weinte. Wie sollte er weiterleben können in dem Wissen, dass der andere Teil seiner Seele, die Ergänzung seines Leibes, nicht mehr existierte. Wie sollte er in der Lage sein, den Verlust, die Trauer, den Schmerz zu ertragen, konnte er doch nicht einmal den Gedanken daran aushalten ohne wahnsinnig vor Verzweiflung zu werden.

Wie konnte Ian ihn verlassen, wie konnte er ihn alleine lassen inmitten all dieser Grausamkeiten.

Die Tränen flossen ohne Unterlass.

So etwas hätte nicht passieren dürfen. So etwas dürfte niemals passieren. Welches Schicksal, welcher Gott konnte es zulassen, dass ihm der einzige Grund zu leben, genommen würde.

Er sank nach vorne, umfasste den erkaltenden Leib auf dem weißen Laken mit seinen Armen, versuchte ihn zu wärmen, die Wärme in ihn zurück zu rufen, ohne Rücksicht, ohne Hinblick auf die Menschen, die um ihn herum waren, die ihn sehen konnten.

„Ian, nimm mich mit dir“, stöhnte er erstickt gegen die fremd gewordene Brust.

„Ich werde mit dir gehen, werde dir folgen, wo immer du auch bist. “

Und er wusste, dass er es tun würde, dass er es tun musste, dass sein Weg mit dem des Geliebten endete.

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