Rameaus Geburtshaus

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Zur Übersicht für die geneigte Leserin und den geneigten Leser — es gibt ja deren einige, denen meine Geschichten gefallen — hier eine chronologische Übersicht meiner bisherigen Geschichten:

[Der Unterschied]

[Die Grundbegriffe]

Das Obligatorische

[Über einen starken Typ]

EIS Werbung

[Ferienspaß I]

PennälerInnenfeten

Lernen fürs Abitur

[Ferienspaß II]

Erstes Eheleben

Auf Schlingerkurs in den Hafen (mit Ferienspaß III)

Der weltberühmte Pianist hat heute nicht seinen besten Tag

Auf der Durchreise

Der Wanderclub

Die Ernennung

[Hinter unverschlossenen Türen]

Vetternwirtschaft

Vom anderen Ufer

An der Ostsee hellem Strande …

Wenn der Herr außer Haus ist, tanzt das Mäuslein im Bette

Rameaus Geburtshaus

Die mit [] markierten Texte sind nicht in ### zu finden, denn sie handeln von Jugenderlebnissen, bei denen einige der handelnden Personen noch keine achtzehn Jahre alt sind, oder sie sind kürzer als 750 Wörter.

Wer auch diese Texte lesen möchte, melde ich bei mir, möglichst per E-Mail.

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Mit Dieter hatten wir geplant, in den Sommerferien dieses Jahres Urlaub in Südfrankreich zu machen. Ich wollte mir einige Städte und Dörfer ansehen, Arles, Orange/Aurenga, Beaucaire/ Belcaire, den Schauplatz der entzückenden altfranzösischen Novelle von Aucassin et Nicolette, und das genau auf dem gegenüberliegenden Rhône-Ufer liegende Tarascon, wo sich die Heldentaten von Tartarin de Tarascon abgespielt haben, Vaqueiras, den Geburtsort des Troubadours Raimon de Vaqueiras, … Nach ausgiebigem Kulturgenuß wollten wir weiter ins Rhône-Delta fahren und einsame Plätzchen ganz draußen an der Dünenküste suchen, wo wir uns ungestört hüllenlos sonnen konnten, im Mittelmeer baden und vielleicht noch mehr.

Als aber die Ferien gekommen waren, hatte Dieter geschäftlich so viel zu tun, daß es quasi — wenn auch unausgesprochen — einer Urlaubssperre gleichkam. Vielleicht würden wir gegen Ende der Ferien noch eine oder gar zwei Wochen gemeinsam Urlaub machen können, aber für eine so weite Reise wie nach Südfrankreich würde es sich nicht mehr lohnen. Immerhin konnten wir eine ganze Reihe von Tagesausflügen machen und uns — warum in die Ferne schweifen — Städte in Hamburgs Umgebung ansehen: Lübeck, Lüneburg, Stade, auch das jetzt nach der Wende wieder zugängliche Schwerin.

Natürlich mußten wir feststellen, daß wir diese Perlen immer noch viel zu wenig kannten.

Unser eheliches Leben verlief in ruhigen, routinierten Bahnen. Nichts gegen eine schöne Routine, aber nach einer oder zwei oder drei Wochen fehlte mir doch das Prickeln meiner sonntäglichen Ausschweifungen mit Otto, denn dieser war, wie man sich denken kann, mit seiner Eheliebsten verreist, zwei trauernde illegitime „Witwen“ zurücklassend.

Dieter war es, der mir schon bald nach Anfang der Ferien vorschlug, unter den gegebenen Umständen — meinte er immer noch nur die „Urlaubssperre“? — eventuell allein eine Reise zu unternehmen.

Dazu hatte ich anfangs wenig Lust, ich war in den ersten Wochen nach dem Schulstreß zum Ende des Schuljahres einfach zu faul für so etwas, aber als die dritte Ferienwoche ins Land kam, fiel mir etwas ein, was ich schon seit langem mal machen wollte: einen Besuch der Stadt Dijon, der Geburtststadt Rameaus, dem die Musikwelt die Theorie der Tonarten des Quintenzirkels zu verdanken hat. Als Komponist steht er wohl eine oder zwei Stufen unter dem etwas älteren François Couperin, aber schon seit mehreren Jahren hing ein Porträt von ihm über meinem Klavier, nicht der meist abgebildete dröge Kupferstich, sondern ein Gemälde, das ich von einem Platten-Cover abphotographiert und dann gerahmt hatte.

Es zeigt in eigenartiger diagonaler Bildanordnung den alten Rameau in einem roten Gewand sitzend mit einer Geige in der Hand.

Dieter war sofort mit meiner Idee einverstanden, gab mir, wie zu erwarten, grünes Licht, eine solche Städtereise zu organisieren, und so begab ich mich am nächsten Tag in unser Reisebüro. Unter den normalen Städtereiseangeboten von Hamburg aus war Dijon nicht zu finden, aber die Dame im Reisebüro fand schnell heraus, daß es zwei- oder dreimal pro Woche einen Kurswagen Hamburg–Marseille gab, der nicht über Paris fuhr, sondern sich im östlichen Frankreich hielt, in Dijon den Saône-Rhône-Grabenbruch erreichte und in diesem weiter mit nur wenigen Halten nach Marseille donnerte.

Ich wollte nicht allein mit dem Auto fahren. In wenigen Minuten war eine Fahrkarte ausgestellt und ein Zimmer in einem günstigen Hotel in Dijons Stadtkern reserviert — und in drei Tagen konnte es losgehen. Ich rief Dieter gleich im Bureau an, und als er abends nach Hause kam, hatte der Gute mir einen Reiseführer für Burgund gekauft. Am nächsten Tag kaufte ich mir noch ein paar neue Sachen, unter anderem ein Reisekostüm, am übernächsten Tag versuchte ich, die ausgewählten Kleidungsstücke in ein kleines, handliches Köfferchen zu kriegen, was mir nach einigen Kompromissen bezüglich der Auswahl nach mehreren Stunden auch gelang, und am Reisetag brachte mich Dieter trotz Arbeitsüberlastung zum Dammtorbahnhof an den Zug.

Man sollte öfter mal wieder mit der Eisenbahn fahren, in Ruhe ein gutes Buch lesen oder aber sich an der Landschaft erfreuen, im Moment die Ausläufer der Harburger Berge, des Hamburger Skigebietes, und der Lüneburger Heide und etwas später die faszinierenden feuchten Wiesen der Wümmeniederung — wenn man sich vorstellt, wie hier nach der Eiszeit die Wassermassen geflossen sind; welches Urstromtal war das eigentlich hier, das hatten wir doch in der Schule lernen müssen, ich erinnerte mich wieder an die ersten Erdkundestunden auf dem Gymnasium, das Elb-Urstromtal war es wohl nicht mehr und das — wie hieß es nur? — richtig: Das Weser-Aller-Urstromtal war es wohl noch nicht, was also dann? Bis wir nach einer eleganter Kurve in den Bremer Hauptbahnhof am Rande der Altstadt einliefen und nun sicher im Weser-Aller-Urstromtal angelangt waren, hatte ich das Problem nicht gelöst.

Bis Bremen saß in meinem Abteil mir gegenüber am Fenster eine sehr korrekt gekleidete Dame, etwas älter als ich, die auf meinen Gruß beim Betreten des Abteils etwas Unverständliches gemurmelt hatte und seitdem ohne Unterbrechung in der Frankfurter Allgemeinen las. Auf ihrer Seite am Gang saß ein Herr in den Fünfzigern, Typ Geschäftsmann, der immerhin ein halbwegs freundliches „Guten Morgen!“ gesagt und illegal die drei noch freien Plätze mit seinen Schriftstücken belegt hatte, die er fortwährend umsortierte.

In Bremen stieg ein freundlicher Herr zu, ebenfalls etwas älter als ich, ebenfalls Typ Geschäftsmann, der gleich ein freundliches “ Bonjour — Guten Tag!“ sagte und rhetorisch fragte:

„Hier ist doch Platz dreiunddreißig?“

Das war der Platz neben mir. Der Herr verstaute seine Reisetasche in der Ablage, der Herr mit den Papierhaufen machte den Platz frei, und der „Neue“ setzte sich neben mich. Er war offenbar auf Kommunikation aus.

Nach einigen Schweigeminuten stellte er sich als „Gaston Durand“ vor und fragte in die Runde:

„Wo fahren Sie denn hin?“

Die betont korrekt gekleidete Dame murmelte etwas, worin ein x vorkam; wahrscheinlich meinte sie Luxemburg. Der ältere Geschäftsmann sagte deutlich und freundlich: „Köln“ und ich „Dijon“.

Damit war es um die Ruhe im Abteil geschehen. Herr Durand strahlte über das ganze Gesicht und sagte:

„Das ist ja wunderbar! Ich fahre nämlich auch nach Dijon; ich wohne da.

Und weswegen fahren Sie in unsere schöne Stadt?“

„Rameau — Jean-Philippi Rameau, der ist doch in Dijon geboren –?“

„Ja, natürlich — lieben Sie Musik?“

„Sehr sogar — besonders die alte. „

„Das kann ich mir denken, wenn jemand dem alten Rameau nachfährt. „

„Mein Mann kann dieses Jahr keinen Urlaub nehmen, und da hab ich beschlossen, mir mal eine Woche Dijon anzusehen.

„Ein sehr guter Entschluß — Sie werden es bestimmt nicht bereuen. „

„Das hoffe ich — ich fahre gern in die nicht allzu großen Städte — Paris, da versteht man doch gar nichts vom Stadtorganismus, da muß man jahrelang leben, um überhaupt ein Gefühl für die Stadt zu bekommen, nicht nur Museen ansehen. „

„Da haben Sie wohl recht — natürlich sollte man einmal im Leben Paris gesehen haben“, meinte er als französischer Patriot wohl sagen zu müssen, aber er fuhr gleich fort: „Aber natürlich ist Dijon und überhaupt die Bourgogne viel schöner als Paris.

Die ganze lebhafte Unterhaltung — die Dame am Fenster sah in immer kürzeren Zeitabständen indigniert von ihrer FAZ auf — lief fast ohne ein einziges französisches Wort; Herr Durand sprach Deutsch fließend mit sympathischem leichtem französischem Akzent und fast ohne einen Fehler. Ich fragte ihn:

„Herr Durand, woher können Sie denn so prima deutsch?“

„Ach so, ja, das hatte ich ja noch nicht gesagt: Ich bin Lehrer –„

„Wie bitte: Was sind Sie?“

„Lehrer –„

„– und ich hatte gedacht, Sie seien Geschäftsmann –„

„Da haben Sie sich geirrt, liebe Dame [sic!], ich bin wirklich Lehrer für Deutsch und Englisch in Dijon.

Wir arbeiten im Lehrer- und Schüleraustausch mit einer Bremer Schule zusammen; von da komme ich gerade. Aber warum haben Sie gedacht, ich sei Geschäftsmann?“

„So im Anzug — jetzt im Sommer — bei der Hitze –„

„Ja, so bin ich, ich zieh mich gern korrekt an, besonders in der Schule. Bei den heutigen Jugendlichen, wenn man da in Jeans und Jesuslatschen zum Unterricht kommt, nennen die einen doch gleich ,Opa`, beim Vornamen und duzen einen.

Das gefällt mir nicht so, ich halte da lieber erst einmal auf Distanz. Das schließt ja nicht aus, daß man mit manchen Schülern in ernsthafte und persönliche Gespräche kommt. „

„Ja, ich kenne auch solche –„; das Wort „Typen“ konnte ich mir gerade noch verkneifen, und so sagte ich: „Kollegen –„

„– Kollegen: Sind Sie denn auch im Schuldienst?“

„Ja, das bin ich!“

„Sehen Sie“, lachte Herr Durand, „das hätte ich nun wieder nicht gedacht.

„Was haben Sie denn gedacht?“

„Ich habe gedacht, wohl wegen Rameau, Sie seien Musikerin oder Künstlerin. „

„Nein, das bin ich nun leider nicht, ich kann nur etwas klavierspielen. „

„Das ist doch schon eine ganze Menge. Ich hatte auch mal Klavierunterricht, meine Frau als Mädchen auch, dann haben wir unsere beiden Kinder Klavier lernen lassen, mit zweifelhaftem Erfolg, und seit die aus dem Haus sind, steht das Klavier bei uns nur noch da.

„Ein Soda-Klavier. „

„??? — Soda?“

„Ein Klavier, das einfach nur noch ,so da` steht“, sagte ich, und wir mußten beide über diesen uralten Witz herzlich lachen. Ich löcherte Herrn Durand weiter:

„Sie haben schon zwei erwachsene Kinder?“

„Ja, ich bin doch schon siebenundvierzig, die Tochter ist einundzwanzig, der Sohn dreiundzwanzig, sie will wie meine Frau Ärztin werden, er studiert Sprachen, beide in Clermont-Ferrand, um von den Eltern wegzusein, mein Sohn will Diplomat werden.

„Das paßt ja auch mit Französisch als Muttersprache. „

„So ist es wohl. — Und Sie, haben Sie auch Kinder. „

„Nein. „

„Das kann aber doch noch werden, Sie sind doch noch jung –“ Als aber Herr Durand meinen Gesichtsausdruck sah, der sich wohl etwas verfinstert hatte, sagte er ganz leise: „Entschuldigen Sie bitte, daß ich damit angefangen habe. „

„Ist schon gut, Herr Durand“, flüsterte ich zurück.

In unserem Gespräch trat nun eine Pause ein, während derer uns die Dame am Fenster einen Blick zuwarf, der sehr beredt „na endlich!“ bedeutete. Aber schon sehr bald darauf fragte mich Herr Durand:

„Welche Fächer haben Sie denn, Frau –?“

„Knaack, Kerstin Knaack. „

„– Frau Knaack?“

„Deutsch, Latein und Griechisch. „

„Alle Achtung, Frau Kollegin — während des Studiums habe ich auch mehrere Semester Griechisch studiert, einfach weil mich das interessiert hat.

Wir sind aber über etwas Xenophon und Homer nicht hinausgekommen. „

„Ich greife Ihre Worte auf: Das ist doch schon etwas!“

Und über viele Kilometer konnten wir uns über der Lehrer Lieblingsthemata unterhalten: die knappe Besoldung, die Jugend von heute, die blödsinnigen Lehrpläne und und und … Währenddessen wechselten die Mitreisenden in unserem Abteil, irgendwann merkten wir, daß die maulfaule Dame vom Fensterplatz unter Zurücklassung ihrer FAZ verschwunden war, die schnappten wir für uns, kamen aber nicht zum Lesen, weil wir uns über Gott und die Welt unterhielten.

Irgendwann kam das Gespräch zu seinem Ausgangspunkt zurück, und Herr Durand fragte:

„Wie lange wollten Sie denn in Dijon bleiben, Frau — nennen Sie mich doch ,Gaston`, und darf ich ,Frau Kerstin` zu Ihnen sagen?“

„Nein, das dürfen Sie nicht, Herr Gaston — ich habe das Hotel für acht Tage gebucht. „

„Warum denn nicht, Frau Knaack?“, fragte Gaston mit betretener Miene, „und welches Hotel haben Sie gebucht, wenn ich fragen darf?“

„Im Post-Hotel.

Und Sie dürfen mich gern beim Vornamen nennen, dann aber bitte nicht ,Kerstin`, sondern ,Melanie`, denn so nennen mich alle guten Freunde und Freundinnen und Bekannten, seit wir auf dem Gymnasium das Wort ,mélas` schwarz gelernt haben. „

„Das Post-Hotel ist sehr gut, ordentlich, sehr preiswert und zentral gelegen — und danke, Frau Melanie. „

„Das ,Herr` und ,Frau` könnten wir eigentlich auch gleich weglassen, finden Sie nicht, Gaston?“

„Na klar, Melanie! — Darf ich Ihnen dann in den nächsten Tagen Dijon zeigen?“

„Aber haben Sie nichts anderes Wichtigeres zu tun — ach so, nein, bei Ihnen sind ja jetzt auch Ferien.

„Ich will Sie auch nicht den ganzen Tag mit meiner Anwesenheit belästigen; ich schlage vor, ich zeige Ihnen morgen die wichtigsten Sachen, und an den anderen Tagen können Sie dann allein losziehen und sich ansehen, was Sie am meisten interessiert. „

„Das ist ein guter Plan, Gaston!“

Es war etwa eineinhalb Stunden vor der Ankunft in Dijon, und es saß jetzt noch ein sympathisches älteres Ehepaar im Abteil, dem wir unsere Sachen anvertrauen konnten, als Gaston mich zu einem Glas Wein in den Speisewagen einlud.

„Ich würd auch gern was essen — ich bezahl natürlich — ich hab zwar Bröter mit –„

„Bröter? Heißt das nicht ,Brote`?“

„So heißt es, aber in meiner Familie haben wir immer ,Bröter` gesagt, wohl auch, weil mein Vater ein großer Dänenfreund war — das hat er an mich vererbt — und es auf Dänisch ,bröd` heißt. — Also: Ich hab zwar — na gut, unter uns Deutschlehrern: Brote mit, bin aber gar nicht zum Essen gekommen.

„Sie essen natürlich mit uns zu Abend, ich lade Sie natürlich ein. „

„Das kann ich doch nicht annehmen. „

„Doch, das können Sie; wir würden uns sehr freuen — bitte!“

„Na, wir werden dann ja sehen, gehen wir erstmal einen Wein trinken. „

Als wir im Speisewagen saßen, brachte der Kellner schnell den bestellten Wein, wir stießen auf den schönen Tag an, aber ich merkte, wie Gaston herumdruckste, und nach einiger Zeit half ich ihm aus seiner Verlegenheit:

„Herr Durand, Herr Kollege, Gaston, wollen wir nicht, wie unter Lehrern unseres Alters üblich, ,Du` zueinander sagen?“

„Ja, Melanie, das wollte ich gerade sagen, aber ich wußte nicht, wie man das bei euch so tut — außerdem müßten nach den Etiketten ja Sie — Du –„

„Ist schon gut, Gaston, und du weißt es ja schon: Ich bin die Melanie.

„Ich heiße Gaston und bin Gaston und habe nie einen anderen Namen gehabt. „

Wir stießen noch einmal auf das Du an, und ich mußte doch sagen:

„Gaston, ich mùß jetzt etwas essen, wir fahren ja noch fast eine Stunde –„

„Was möchtest du denn gern essen, Melanie?“

„Was ganz einfaches, ein Käsebrot zum Beispiel. „

Gaston winkte den Kellner herbei, und ich bestellte: „Bitte ein Käsebrot, Brie oder Camembert, wenn es geht!“ Gaston übersetzte dies dem Kellner, fügte noch hinzu: „Für mich bitte dasselbe!“, und fragte mich dann:

„Magst du Brie und Camembert besonders gerne?“

„Ich könnte süchtig danach werden.

„Gut zu wissen“, kommentierte Gaston dies nur.

So schnell es mit dem Wein gegangen war, so lange mußten wir auf unsere Käsebrote warten, und als der Kellner endlich kam, drängte etwas die Zeit bis zur Ankunft in Dijon. Aber heißhungrig, wie wir beide nach diesem Tag waren, schafften wir unsere üppigen Portionen mit Leichtigkeit. Als ich gerade den letzten Bissen in den Mund steckte, bremste der Zug gerade, und ich sprang wie von der Tarantel gestochen auf, denn dieser rasende Schnellzug hatte nach Fahrplan nur drei Minuten Aufenthalt in Dijon und war zudem um einige Minuten verspätet.

Aber Gaston beruhigte mich:

„Hier bremsen die Züge immer, ich weiß nicht warum, wir haben noch fast eine Viertelstunde. „

„Wahrscheinlich bricht hier gerade eine Brücke zusammen. „

„Das wirds sein. „

„Verzeih, aber das ist unser norddeutscher Humor. „

„Weiß ich doch auch: Hast du es vergessen? Ich unterrichte ja auch in Bremen. Ich kenne diese Art Sprüche.

Wir gingen in aller Ruhe zu unserem Abteil zurück, Gaston zog sein Jackett an, ich das Jäckchen meines Reisekostüms — ich weiß gar nicht mehr, wann und wo wir uns bei unserer angeregten Unterhaltung dieser Kleidungsstücke entledigt hatten –, Gaston hob unser Reisegepäck von der Ablage, wir verabschiedeten uns von den netten alten Leuten und begaben uns zum Ausgang.

Als der Zug angehalten hatte, kletterten wir hinaus, und Gaston äugte nach links, nach rechts und wieder nach links, dann sagte er: „Hier!“ und lief im Sturmschritt in selbige Richtung.

Aber nach nur einer Wagenlänge lag er in den Armen einer — wohl seiner — Frau. Als ich japsend dort angekommen war, löste sich Gaston aus der Umarmung, und bevor er ein Wort hätte sagen können, sagte diese Frau auf französisch:

„Du hast noch jemand mitgebracht?“

„Ja, das ist Frau Knaack, Kerstin, Melanie — das ist kompliziert mit ihren Namen –, sie kommt aus Hamburg und will sich eine Woche Dijon ansehen.

Sie war schon im Zug, als ich in Bremen einstieg, und wir haben uns glänzend unterhalten. Ich hab sie zum Abendessen bei uns eingeladen. „

„Sehr gut! Seien Sie willkommen, Frau — Naack!“

„Nennt euch doch auch beim Vornamen und duzt euch — Melanie ist übrigens eine Kollegin. „

„Studienrätin in Hamburg“, sagte ich.

„Ich heiße Auguste“, sagte dieselbe und reichte mir die Hand.

„Ich schlage vor“, ließ sich Gaston vernehmen, „wir setzen Melanie beim Hotel ab — sie wohnt in der ,Post`, wir fahren nach Hause, stellen das Abendessen hin, und wenn Melanie sich fertiggemacht hat, kommt sie mit dem Taxi — Rue Racine Nummer dreiundzwanzig“, fügte er zu mir gewandt fort.

„Du kannst doch Melanie in der fremden Stadt nicht allein gehen oder mit dem Taxi fahren lassen“, sagte Auguste zu Gaston in tadelndem Ton, „nein: Du gehst mit ins Hotel, hilfst Melanie, wenn es was zu helfen gibt, zum Beispiel beim Übersetzen, ich fahr nach Hause, und ihr kommt beide mit dem Taxi nach.

So wurde es gemacht. Auguste hatte für ihr Auto einen Parkplatz nahe am Ausgang des Bahnhofs gefunden, und kaum waren wir eingestiegen und losgefahren, standen wir schon vor dem Post-Hotel. Während ich schon aus dem Auto kletterte, hörte ich noch, wie Gaston Auguste etwas zuflüsterte.

Gaston trug mir den Koffer zur Rezeption, man kannte ihn offenbar und grüßte mich und ihn in ausgemachter Höflichkeit, die Reservierung hatte geklappt, und man wartete schon auf mich, ich füllte das Anmeldeformular aus, erhielt den Schlüssel zu meinem Zimmer im dritten Stock, Gaston setzte sich zum Warten auf einen der Fauteuils, und ich verschwand mit dem Garçon, der meinen Koffer trug, zum Lift.

Im Zimmer angekommen gab ich dem Garçon ein Zweimarkstück als Trinkgeld — französisches Geld hatte ich noch nicht, wofür ich versuchte mich zu entschuldigen — aber der Garçon strahlte und bedankte sich überschwenglich.

Das Hotel hatte wohl schon ein gesegnetes Alter, wofür ja auch der Name spricht: Das Zimmer war für heutigen Hotelstandard riesig, hatte einen Schreibtisch und noch einen kleinen Tisch, insgesamt vier Stühle, zwei Sessel, zwei Kleiderschränke voller Bügel — zwar alt und von vielleicht gar nicht mehr existierenden Modehäusern, aber sicher über dreißig — und ein französisches Bett großen Ausmaßes, obwohl ich ein Einzelzimmer bestellt hatte.

Ich hängte schnell meine Kleider auf, zog mich schnell aus, duschte und zog dann wieder mein Reisekostüm an. Wohl ziemlich unbewußt wollte ich die Durands nicht zu lange warten lassen. Als ich aber wieder in die Hotelhalle kam, war gerade erst der Tee gekommen, den sich Gaston bestellt hatte. Auf meinen fragenden Blick sagte er:

„Wir haben noch etwas Zeit; Auguste ist sicher noch nicht fertig. — Wie ist dein Zimmer?“

„Altväterlich riesig und gemütlich.

„Ja, so ist es hier, das sagte ich ja schon. Wir bringen unsere Gäste auch gern hier unter, es ist auch ganz nahe zu uns. Das Restaurant ist auch sehr gut, wir gehen hierher sogar manchmal essen. „

„Und trotzdem hat es nur zwei Sterne — knapp über der Jugendherberge. „

„Ich glaube, jetzt hat es drei — ich weiß oft auch nicht, nach welchen Kriterien die die Hotels einstufen — da haben die heutigen jungen Leute wohl einen anderen Geschmack as wi olle Lüd.

„Plattdeutsch kannst du auch?“

„Ja, da kommt man in Bremen ja nicht drum rum! Und die ,ollen Lüd` nehme ich zurück, zumindest was dich betrifft. „

„Alter Charmeur! Ich glaube, wir sollten jetzt gehen. „

„Wir nehmen natürlich ein Taxi — hier gegenüber ist ein Stand. „

„Aber du hast doch gesagt, es ist ganz nahe!?“

„So nahe ist es nun auch wieder nicht.

„Wie lange würde man den zu Fuß gehen. „

„Eine Viertelstunde — zwanzig Minuten schon. „

„Dann ist es doch nicht so nahe, sondern einmal quer durch die Stadt. „

„Hast du eine Ahnung, wie groß Dijon ist — einmal quer durch die Stadt, na, du bist gut!“

„Hab ich ja nur zum Spaß gesagt — norddeutscher Humor, du weißt ja.

„Geht das jetzt schon hier los! Also komm!“

Aber bevor wir loszogen, fiel mir noch etwas ein: Ich hatte eine Eingebung und hatte mir auch meine Ausgabe von Rameaus Cembalowerken eingepackt. Sie zu holen huschte ich schnell in den dritten Stock, um nicht erst auf den Garçon warten zu müssen, schnell in mein Zimmer, die Noten aus dem Koffer geholt und wieder in die Halle geflitzt — das alles, bevor Gaston dieses Ganze richtig begriff.

„Du hast doch gesagt, ihr habt ein Klavier“, sagte ich nur zur Erklärung.

Das Taxi fuhr dann auch eine ganze Weile und um mehrere Ecken, bis wir in einem Villenviertel vor einem zweistöckigen, offenbar älteren Haus standen.

„Das ist das Haus von Augustes Eltern“, erklärte Gaston, „wir wohnen oben, unten haben wir an einen amerikanischen Gastprofessor vermietet, der ist jetzt in den Semesterferien drüben, und wir haben das Haus für uns.

Wie stiegen die Treppen hoch, und oben erwartete uns schon Auguste, in schöner Unkompliziertheit noch mit Küchenschürze.

„Entrez, Mesdames, Messieurs!“

„Auguste“, sagte Gaston, „du kannst doch mindestens so gut Deutsch wie ich –„

„M, hm“, machte Auguste.

„– ich würde vorschlagen, wir reden Deutsch mit Melanie. „

„Wenn Sie meinen, Monsieur“, sagte Auguste, ihren Göttergatten spaßhaft siezend; „sei willkommen bei uns, Mélanie.

„Kann ich dir noch was helfen?“, fragte ich.

„Vielen Dank, es steht alles schon auf dem Tisch; Gaston, such uns mal einen Wein aus!“

„Wie magst du es denn, Melanie, lieber trocken oder lieber lieblich?“

„Wie ich es mag, sag ich nicht –„, an dem Blitzen in Gastons Augen merkte ich, daß ich doch etwas vorsichtiger mit meinen Worten hätte sein sollen –, „aber Wein mag ich lieber lieblich.

„Endlich mal ein deutsches Wesen, das nicht nur sec-sec mag“, freute sich Auguste.

„Ich habe hier verschiedene demi-sec — und hier auch einen doux –„

„Probieren wir mal den doux“, sagte ich vorlaut.

„Sehr gut!“, sagte Auguste erfreut.

Als Gaston die Flasche geöffnet hatte, führten mich die beiden ins Eßzimmer mit dem festlich gedeckten Tisch.

Ich sah gleich die Riesen-Käseplatte mit vielen verschiedenen Camembert- und Brie-Sorten. Das war es also, was Gaston Auguste zugeflüstert hatte. Wie immer oder jedenfalls meistens, wenn mir etwas besonders Gutes, Schönes und Liebes widerfuhr, kamen mir die Tränen. Das wiederum bemerkte Auguste sofort und erriet wohl auch den Grund für mein Heulen; sie umarmte mich innig, ich hauchte ein fast unhörbares „Danke!“, und dabei fielen meine Noten zu Boden, die ich unter den Arm geklemmt hatte.

Gaston und Auguste halfen mir die Noten aufzuheben, und Auguste fragte:

„Was hast du denn da mitgebracht, Mélanie?“

„Das sind die Cembalostücke von Rameau. Ich hab sie auf alle Fälle von Hamburg mitgebracht, und Gaston hat im Zug gesagt, ihr hättet ein Klavier. “ Und richtig: An einer der Wände sah ich ein Pianino.

„Willst du uns was spielen? Ich hoffe, es ist nicht zu verstimmt.

„Gerne, wenn ich darf –„

„Natürlich darfst du — wir sind ja auch allein im Haus, und der Prof würde uns das bestimmt auch nicht verbieten. „

Meine Tränen, mein „Dankeschön“ und jetzt die mitgebrachten Noten hatten das Eis gebrochen. Die zunächst mir gegenüber doch recht reservierte Auguste umarmte mich ein zweites Mal, noch inniger als zuvor; dann umarmte sie auch Gaston mit den Worten:

„Was du uns da ins Haus geholt hast — merci, mon cher! — Nun aber bitte zu Tisch!“

Beim Essen langten wir alle herzhaft zu, ich wurde quasi dazu genötigt, möglichst alle Käse-Herrlichkeiten wenigstens zu probieren, es schmeckte herrlich, wir unterhielten uns großartig, wie stets fielen mit zunehmendem Weingenuß die einen oder anderen Hemmungen: das hieß in unserem Fall, daß Auguste und Gaston immer mehr französische Worte in ihre Rede einfließen ließen und nun auch im Deutschen immer mehr Fehler machten, und bei mir war es umgekehrt: Immer mehr französische Wörter und Wendungen fielen mir ein, wohl mit manchem Fehler.

Dies alles tat aber natürlich unserer Stimmung keinen Abbruch, wir hatten uns auch noch so weit unter Kontrolle, daß wir zu gegebener Zeit mit dem Essen und Trinken aufhörten und ich gebeten wurde, einige Stücke von Rameau zu spielen. Ich wählte die Allemande und die Courante in a-moll, die mit dem ungewöhnlichen Quarten-Thema, den Rappel des oiseaux, als Rausschmeißer die Niais de Sologne mit ihrem gewollt krassen Gegensatz von primitiver Melodie, eben den niais, und der virtuosen Begleitung, die ich dank wegfallender Hemmungen und deshalb wegfallendem zu vielem Nachdenken recht gut hinbekam.

„Da hat es doch noch La Poule“, erinnerte sich Auguste.

Ja, richtig, und so spielte ich als letzten Rausschmeißer noch das gackernde Huhn.

Als Dank erntete ich wieder eine herzliche Umarmung. Dann erinnerte sich Gaston:

„Im Zug hattest du gesagt, dir gefiele Couperin noch besser –?“

„Ja, das stimmt, aber den hab ich nicht mitgebracht, das wären noch vier solcher Bände.

„Ich glaube nicht, daß Couperin unter den Noten von den Kindern ist“, meinte Gaston, „die haben sich mehr für Klassik und Romantik interessiert, wenn überhaupt, nicht für so Altes. Wir können ja morgen eine Couperin-Ausgabe im Musikgeschäft kaufen. „

„Das ist doch nicht nötig“, sagte ich, „und Noten sind heute ja auch so teuer –„

„Couperin sollte man als Musikliebhaber eigentlich sowieso im Haus haben“, sagte Gaston darauf, „hoffentlich haben die das vorrätig.

Wir tranken noch ein letztes Glas Wein, dann wollte mich Gaston per Taxi zu meinem Hotel bringen.

„Aber, Gaston“, sagte ich, „das ist doch nicht nötig. Ich kann doch jetzt auch selbst und allein mit einem Taxi zum Hotel fahren. „

„Es ist aber doch besser, ich komme mit, es ist doch schon spät und die Straßen ganz leer. Ich hol dich dann morgen so um neun Uhr im Hotel ab — ist das okay?“

„Völlig okay, aber sagen wir neun bis halb zehn — also gut, wenn du unbedingt mitkommen willst — dann kannst du mir ja helfen, meinen Schlüssel vom Nachtportier zu verlangen.

„,Schlüssel` heißt clef“, sagte Gaston nur cool.

„Dat weet ik ook. Wir sollten dann wohl mal gehen!“

Zum Abschied noch einmal eine rührende Umarmungsszene mit Auguste, schon standen wir auf der Straße und ein von Gaston herbeigewinktes Taxi hielt neben uns. In wenigen Minuten waren wir beim Post-Hotel, und ich sagte zu Gaston:

„Du brauchst doch nicht mit reinzukommen; ich schaff das schon alleine.

So half mir Gaston nur noch beim Aussteigen, dann verabschiedeten wir uns mit keuschen Küßchen links und rechts, ich ging in die Halle, Gaston überzeugte sich noch davon, daß ich wohlbehalten im Hotel verschwunden war, dann ließ er den Taxifahrer losfahren. Der Portier, obwohl er am Abend noch nicht Dienst hatte, erkannte mich doch irgendwie, hielt mir schon meinen Schlüssel entgegen, wünschte mir eine gute Nacht, und ich nahm die Treppe in den dritten Stock, um nicht den eingeschlummerten Liftboy zu wecken.

Im Zimmer sank ich erst einmal erschöpft in einen der Sessel, sprang aber bald wieder auf und rief den Portier an, um mir eine Außenleitung geben zu lassen. Ich rief Dieter an, um ihm zu sagen, daß ich heil angekommen war, und ich erzählte ihm von Gaston, daß er mir morgen die wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Dijon zeigen wollte, und von dem Abend bei Durands.

„Das ist ja wunderbar und so ein Glücksfall“, meinte Dieter, „daß du im Zug so einen netten Dijonner getroffen hast.

Dann wünsch ich dir viel Spaß morgen — rufst du morgen wieder an?“

„Mach ich! Dann tschüs und gute Nacht. „

Nach dieser gar nicht so lästigen Pflichterfüllung zog ich mich aus, hängte das Kostüm sorgfältig hoch, wusch Hemd und Slip aus, von denen ich wohl zugunsten der Noten zu wenig eingepackt hatte, hängte die feuchten Fetzen auf ein immerhin vorhandenes Trockengestell, ließ Wasser in die außer der Duschecke immerhin vorhandene Badewanne und legte mich ins warme Wasser.

Wie so oft bei solchen Gelegenheiten kamen mir wieder meine Gedanken. Es war mir ziemlich klar, daß ich dieses schöne breite Bett nicht während der ganzen Dijon-Reise nur allein benützen würde, und mir war auch ziemlich klar, daß mein Bettgenosse Gaston sein würde, gerade weil er all die Stunden, die wir uns nun schon kannten, nie versucht hatte, mich am Knie oder am Busen zu streicheln. Ich hatte ihm nun allerdings mit meinem kleinen unbedachten Halbsatz etwas Feuer gegeben.

Soviel Deutsch konnte er sicher, daß er verstand, was man oft mit „es so oder so mögen“ meint. „Melanie, du bist wieder drauf und dran, etwas mit einem verheirateten Herrn anzufangen. “ „Aber ich bin es doch auch. “ „Eben drum, und außerdem ist der Betreffende offensichtlich auch noch sehr glücklich verheiratet. “ „Lassen wir's drauf ankommen, wenn was wird, wird's, wenn nicht, nicht. „

Soweit beruhigt, entstieg ich der Wanne, trocknete mich ab und legte mich in der warmen Sommernacht nackt ins Bett, um nicht unnötig einen Pyjama vollzuschwitzen.

Ich schlief wie ein Murmeltier und wachte erst kurz vor neun Uhr auf. Nun ja, ich hatte ja eine Gnadenfrist bis halb zehn herausgeschlagen, und so hatte ich noch Zeit für ein Bad in der Wanne zum Nachdenken. Ich kam zu keinen anderen Schlüssen als am Abend zuvor — aber ein anderes Problem war: Was sollte ich heute anziehen. Ja, was denn an so einem Ferien-Sommertag: T-Shirt „mit ohne“ BH, kurzer Rock, natürlich keine Strümpfe, Sandalen.

Das war ja schnell angezogen — aber da fiel mir ein: In manchen katholischen Kirchen sollen ja immer noch leicht bekleidete Damen unerwünscht sein. Blöd, daß ich Auguste nicht von Frau zu Frau gefragt hatte! Sicherheitshalber wählte ich doch eine weiße Bluse „mit mit“ BH und einen ziemlich langen weiten Rock, natürlich auch ohne Strümpfe. So konnte mir kühlende Luft um die Beine fächeln. Natürlich gerade in dem Moment, als ich nur im Slip dastand und mir den BH zuhakte, klopfte es zum Glück nicht an der Tür, sondern es läutete das Telephon, und Gaston sagte:

„Guten Morgen, Melanie, es ist halb zehn, ich sitze im Restaurant.

„Ich komm gleich runter“, flötete ich in die Muschel.

„Wunderbar — kann ich dir schon was zum Frühstück bestellen?“

„Schwarzbrot, wenn hat, und ein hartgekochtes Ei. „

„Wird gemacht!“

In wenigen Minuten war auch ich fertig, nahm mein Handtäschen — war auch alles drin? Ja, es war, inklusive eines Päckchens eines blauen Herstellers.

Ich hatte am Abend nicht darauf geachtet, ob man vom Restaurant die Treppe sehen konnte, und so stolzierte ich auf alle Fälle betont graziös die Treppe hinunter.

Das war aber umsonst, denn in das Restaurant mußte man durch eine Tür treten. In dem verwinkelten Raum, dessen Decke von mehreren Säulen getragen wurde, dauerte es ungraziös lange, bis ich Gaston an einem der Tische in der hintersten Ecke bemerkte. Eigentlich wollte ich Gaston aus Protest gegen diese schummerige Ecke bitten, zu einem der Tische am Fenster umzuziehen, von wo man so schön das Treiben auf der Straße beobachten konnte, da aber nicht nur Schwarzbrot und ein Ei, sondern auch eine große Käseplatte mit Brie- und Camembert-Spezialitäten gedeckt war, unterließ ich dies und bat Gaston nur, nächstens bei entsprechender Gelegenheit einen Fensterplatz zu wählen.

Dies brachte den armen Gaston etwas aus dem Konzept, so daß er sein Kompliment ob meines Aussehens nur leicht gestottert herausbrachte, aber er taute beim Genuß der Herrlichkeiten bald auf, und er fragte:

„Weißt du, was wir Jungs auf der Schule zu solchen Röcken, wie du sie heute anhast, gesagt haben?“

„Ich kann's mir denken: sicher was unanständiges. „

„Überhaupt nicht! Sie seien gut ,pour camoufler des cuisses dodues`.

„– dodues –?“

„Cuisses sind –„

„Ich weiß, was cuisses sind! Aber dodues? Ich will hier ja auch etwas besser Französisch lernen. „

„,Dodu` heißt ,dick` –„

„Ich hätte es mir denken können, du Frechdachs!“

„Aber damit hast du ja keine Probleme –„

„Ich wüßte nicht, was dich meine ,cuisses dodues ou maigres` angingen!“

„Natürlich, Melanie“, sagte Gaston kleinlaut und wurde puterrot.

„Du hast wahrscheinlich gestern im Zug, als ich das enge Kostüm anhatte, meine Formen abgemessen — ich kenne doch euch Männer“, sagte ich freundlich, und Gaston, wieder etwas munterer, bemerkte ganz richtig:

„Auch gestern hast du hinreißend ausgesehen. „

„Nun nimm du alter Deutschlehrer das ,hinreißen` mal nicht zu wörtlich!“

Wieder wurde Gaston rot und wechselte schnell das Thema:

„Ich schlage vor, wir gehen zum Hauptplatz, werfen einen Blick ins Rathaus und in die Kathedrale, ich zeige dir, wo einst Rameaus Geburtshaus stand — das originale gibt es nicht mehr, aber an dem Haus, das jetzt da steht, ist eine Plakette –, ich zeige dir das Konservatorium, das nach Jean-Philippe Rameau heißt, da sind oft schöne Konzerte, wenn dann noch Zeit ist und wir noch können, zeige ich dir am Rande des Altstadtkerns noch zwei wenig bekannte romanische Kirchen — und dann sehen wir mal weiter.

Abends bist du natürlich wieder bei uns eingeladen. „

„Das kann ich doch nicht annehmen — jeden Tag –„

„Bitte keine Widerrede — wer soll uns denn sonst Musik machen? — Du hast ja auch deine Noten bei uns gelassen. „

„Ach ja — na denn — danke für die Einladung!“

Wir steckten uns die noch verbliebenen Käsestücke in den Mund, ich wollte mein Frühstück bezahlen, aber Gaston klärte mich auf: „Die Rechnung fürs Frühstück steht nachher auf der Gesamtrechnung, wenn du wegfährst; du brauchst nicht jede Rechnung einzeln zu bezahlen.

„Dann los und Aufbruch!

Gaston zog das Besichtigungsprogramm durch, wie er es am Frühstückstisch entwickelt hatte, wir erfrischten uns hier mit einem Saft, dort mit einer Limonade, Gaston ließ sich nicht lumpen und kaufte im wohl ersten Musikgeschäft Dijons die vierbändige Couperin-Ausgabe von Chrysander und Brahms — zwar schlechter gedruckt als die moderne Ausgabe, aber für mich als Hamburger Patriotin eine Selbstverständlichkeit! — gegen zwei Uhr aßen wir in einem Straßenrestaurant etwas Leichtes, und um vier Uhr hatten wir auch die beiden wirklich sehr schönen „Vorstadtkirchen“ erledigt.

„Ja, was machen wir jetzt?“, fragte ich.

„Ja, was machen wir? Auguste kommt erst gegen halb acht vom Dienst, und um acht essen wir. Wir könnten zu uns fahren, und du ruhst dich im Gästezimmer aus oder spielt auf dem Klavier oder TV –„

„Ich hab eine andere Idee: Hier fangen ja schon die Villenstraßen an — gibt es hier nicht ein Schwimmbad, wo man sich abkühlen und in der Abendsonne auch etwas sonnen kann? Ich hab Badesachen mitgebracht.

„Das ist eine sehr gute Idee! Dann nehmen wir ein Taxi — hier um die Ecke stehen meistens welche –, fahren zu deinem Hotel, du nimmst dein Badezeug und ziehst dich vielleicht um, ich fahre in unsere Wohnung, hole meine Sachen, ich hole dich im Hotel ab, und wir fahren zur ,piscine`, die liegt dort raus, nicht hier“, und zeigte dabei in eine Richtung.

Gesagt, getan.

Ich zog mir das noch auf dem Bett liegende T-Shirt und den kurzen Rock an, den Bikini schon darunter. Ich war schnell fertig, aber kaum hatte ich im Restaurant Platz genommen und mir noch eine Limonade bestellt, war Gaston schon zur Stelle. Ich stürzte die Limonade hinunter, um das Taxi nicht unnötig lange warten zu lassen, und wir ließen uns zum Schwimmbad fahren.

Man sah gleich: Es waren angenehm wenig Leute da, viele Franzosen waren in den Ferien verreist.

Wir zogen uns in Männlein- und Weiblein-Kabinen um und trafen uns wieder bei den Tischtennistischen. Gaston sah mich als Bikini-Schönheit bewundert an, und als er noch nach fünfzehn Sekunden nichts von sich gab, sagte ich neckisch:

„Du mußt jetzt wieder sagen, ich sehe hinreißend aus oder etwas Ähnliches. „

Gaston antwortete schlagfertig:

„Als Deutschlehrer wiederholt man sich nicht gern — wenn wir unseren Schülern sagen: keine Wortwiederholungen, dann kann ich doch nicht wieder –„

„– ,hinreißend` sagen, nein, das geht wirklich nicht!“

Leer, wie das Schwimmbad war, fanden wir einen guten Platz an einer großen Kastanie, wo wir uns sowohl sonnen als auch im Schatten liegen konnten.

Irgendwann erklärte mir Gaston:

„Dies ist das alte traditionelle Schwimmbad. Wir haben hier noch ein moderneres, das hat all so was wie eine Wasserrutsche, Whirlpool, auch ein Restaurant, nicht nur wie hier einen Eisstand, da sind auch viele junge Leute, die Mädchen oben ohne –„

„Da wärest du wohl lieber hingegangen!?“

„Nein, Melanie, da passe ich nicht mehr hin, die zu fünfundneunzig Prozent nackten Mädchen sind zwar ein leckerer Anblick, aber die laute Dudelmusik, die die da immer spielen — nein, das ist nichts für mich — oder wärest du lieber dahin gegangen?“

„Damit du auch meinen Busen siehst?“

„Natürlich braucht auch da niemand barbusig zu gehen.

„Nein, was du über die blöde Musik gesagt hast — ich kann mir denken welche — da gefällt es auch mir hier besser — wunderbar, diese alten Bäume. „

„Dieses Bad ist, glaube ich, achtzig oder schon hundert Jahre alt. „

„Wir können als sportliche Übung mal einen der Bäume durchsägen und die Jahresringe zählen! — So, ich geh jetzt eine Runde schwimmen, dann sollten wir langsam aufbrechen.

Ich bin ja sonst nicht sehr sportlich, aber in dem Jahr, in dem in meiner Schulzeit das Schwimmen dran war, hatte ich eine Note besser als sonst. Zur maßlosen Verblüffung von Gaston schwamm ich in beachtlich kurzer Zeit vier Fünfzig-Meter-Bahnen mit auf den ersten Blick professionell aussehenden Wenden, entstieg dem Schwimmbecken, rief dem vor sich hinspaddelnden Gaston zu: „Nachmachen!“, begab mich in die Kabine und zog mich wieder an. Nicht viel später war auch Gaston wieder vorzeigbar, und wir schlenderten durch Villenstraßen und einen Park zum Haus der Durands.

Auf diesem Weg erzählte mir Gaston:

„Du bist ja eine tolle Schwimmerin, aber mein Sport in der Jugend war das Radfahren. Ich bin sogar bei den Jugendmeisterschaften im Département Haute-Saône mal Dritter geworden. „

„Ich kann zwar ganz gut schwimmen, aber so etwas habe ich nie erreicht — hab aber auch nie an Meisterschaften teilgenommen. „

„Dann kannst du natürlich auch nichts gewinnen!

„Wie recht du hast — vielleicht wäre ich in Hamburg auf Platz dreiundvierzig gekommen.

„Mindestens — wahrscheinlich sogar auf einundvierzig — ich wollte vorschlagen, ob wir nicht an einem der Tage ein Radfahrt in die Umgebung machen sollen?

„Oh ja, das wäre eine prima Idee — hast du Räder?“

„Natürlich — aber nur Herrenräder — Auguste fährt auch nur auf solchen, sie sind ja auch viel stabiler. „

„Dann zieh ich natürlich Hosen an — nur beim Ab- und Aufsteigen muß ich daran denken, das Bein hinten rüberzuschwenken.

Wir kamen zugleich mit Auguste zu Hause an, und während wir alle gemeinsam in der Küche das Abendbrot vorbereiteten, erzählten wir ihr unsere heutigen Erlebnisse.

„Im alten Schwimmbad wart ihr“, sagte Auguste, „da gehen wir auch gern hin, das ist ja auch ganz nahe. „

Und als Gaston mit einem Tablett im Eßzimmer verschwunden war, fragte Auguste verschmitzt lächelnd:

„Hat er dir auch von dem modernen Bad erzählt?“

„Ja, das hat er.

„Da geht er mit seinen Kollegen manchmal hin –„

„Wegen der zu fünfundneunzig Prozent nackten Mädchen, wie er gesagt hat –„

„– nicht selten hundert Prozent — gönnen wir den Herren ihren Spaß!“

Bei Tisch berichtete Gaston als Nachtrag noch von meiner Dreihundert-Meter-Leistung, die ich auf zweihundert Meter korrigieren mußte, und nach dem Essen gab ich ein richtiges Couperin-Konzert mit meinen Lieblings- Ordres, dem sechsundzwanzigsten, vorletzten, in fis-moll, den letzten in h-moll, wo Couperins Cembalowerk im Springtanz „Saillie “ in so zwielichtich-makabrer Stimmung abschließt, dann den fröhlichen achten Ordre in B-Dur mit dem ,Moucheron`, der Brummfliege, und als Rausschmeißer den ,Tic-Toc-Choc`, für den man eigentlich ein zweites Manual gebracht hätte, das sich aber auch gut auf einem Klavier spielt, wenn man die rechte Hand eine Oktave höher nimmt als notiert.

Als Belohnung wieder kein Rosenstrauß, sondern innige Umarmungen.

Am nächsten Tag sollte ich also allein meine Kenntnisse der Dijoner Sehenswürdigkeiten vertiefen. Aber ganz so kam es nicht. Morgens um zehn wollten sich die nicht in die Ferien entschwundenen Kollegen von Gastons Schule zu einer inoffiziellen Konferenz treffen, zu der mich Gaston einlud, und abends um sieben gab es ein Konzert junger Künstler im Konservatorium, zu dem auch Auguste kommen wollte.

Also zog ich am Morgen das Kostüm an; Gaston frühstückte wieder mit mir und ging dann mit mir zu seiner nicht weit entfernten Schule. Er stellte mich vor, ich wurde mit Hallo als ausländische, sehr willkommene Kollegin begrüßt, Gaston sagte etwas kleinlaut:

„Wir duzen uns hier alle –„

„Très bien, Mesdames Messieurs, ich heiße Mélanie. „

Bei der Konferenz ging es um mir so sattsam bekannte Themen wie die mangelnde Finanzierung der Schule, die mageren Gehälter, die blödsinnigen, völlig weltfremden Lehrpläne, den Sexualkundeunterricht, …, alles in sehr scharfen Reden, und schließlich — dies nun für Deutschland, jedenfalls damals noch, völlig undenkbar — wurde die Organisation eines Lehrerstreiks spätestens im November beschlossen.

Es wurde natürlich nur französisch gesprochen, aber es waren außer Gaston noch genügend viele Kollegen darunter, die Deutsch verstanden, und so konnte ich meine Diskussionsbeiträge auf Deutsch sagen. Aber man hört sich ein auf die fremde Sprache, und gegen Ende der Konferenz verstand ich fast alles.

Danach gingen die Kollegen in ein gutes Restaurant essen, und ich wurde dazu eingeladen. Mir das Essen bezahlen zu lassen konnte ich mit Hinweis auf die besprochenen mageren Gehälter zum Glück abwehren.

Es war ein gemütliches Beisammensein, man hatte darauf geachtet, daß ich neben Tischnachbarn saß, die beide Deutsch verstanden, und es wurde meiner Beobachtung zugestimmt, daß mittlerweile viel mehr Franzosen Deutsch können als umgekehrt Deutsche Französisch.

Als das Gelage nach mehreren Gängen zu Ende war, lohnte sich für Gaston und mich vor dem Konzert kaum noch ein Gang in die Stadt, so schlenderten wir nur in Richtung Konservatorium, setzten uns in eine Bistro, von wo wir Auguste kommen sehen mußten, und genehmigten uns ein Glas Rotwein.

Langsam wurde ich nervös, weil Auguste nicht kam und nicht kam und ich ungern zu spät zu Konzerten komme und mich durch die schon Sitzenden drängele. Gaston beruhigte mich, bestellte für sich noch ein Glas Rotwein, und als er es drei Minuten nach dem offiziellen Beginn des Konzertes halb ausgetrunkebn hatte, kam Auguste um die Ecke gerast. Gaston winkte ihr zu, Auguste hastete zu unserem Tisch, trank das Weinglas leer, sagte: „Wir sind doch noch nicht zu spät?“, was Gaston mit einem Lächeln und einem Kopfschütteln beantwortete, bevor ich so etwas wie „Doch!“ sagen konnte.

Gaston legte ein paar Münzen auf den Tisch, und wir gingen über den Platz zum Konservatorium.

Dort war der Saal noch fast leer, und wir fanden gute Plätze. Das Konzert begann pünktlich zum akademischen Viertel. Es war ein reiner Klavierabend, die Zwischenprüfung einer Studierenden des Konservatoriums. Im ersten Teil spielte sie Rachmaninov, mit dem ich noch nie viel anfangen konnte, aber als sie im zweiten Teil eine Auswahl von Brahms‘ späten Klavierstücken spielte, kamen mir wieder die Tränen.

Auguste umarmte mich vom Nachbarplatz und fragte mich flüsternd:

„Hast du Heimweh?“

„Nein, aber mir kommen schnell die Tränen bei so schöner Musik. „

Auguste ließ mich von ihrer Umarmung frei, hielt aber während des ganzen Brahms-Teils meine Hand.

Beim Abendessen, wieder bei Durands, verkündete Auguste, daß sie die nächsten drei Tage den Abend- und Nachtdienst für einen erkrankten Kollegen übernommen hatte:

„Dann müßt ihr also ohne mich auskommen.

„Das ist aber schade!“, ließ ich mich vernehmen.

„Ihr werdet es schon schaffen. Gaston kann schon ein Tiefkühlessen aufmachen und aufwärmen, oder du machst was, Mélanie, oder ihr geht in ein Restaurant, jeder für sich oder zusammen, wie ihr wollt, ihr seid ja freie Menschen. „

Nach dem Essen spielte ich den ganzen Ordre mit seinen abgründigen f-moll-Stücken, zu dem der ,Tic-Toc-Choc` gehört.

Nach dem Klavierspiel brachte mich Gaston wieder zum Hotel, wir tranken noch ein Glas Beaujolais und besprachen den nächsten Tag: Ich würde allein durch die Stadt bummeln, Gaston hatte Erledigungen zu erledigen, und wir würden uns am Nachmittag auf dem Hauptplatz treffen und sehen, wo wir zu Abend äßen. Beschwingt vom Wein ging ich auf mein Zimmer, badete, legte mich nieder und schlief in einer Viertelsekunde ein.

Am nächsten Morgen konnte ich selig so lange schlafen, wie ich wollte, mich um zehn Uhr morgens gemütlich in die Wanne legen, danach mich endlich ferienmäßig mit T-Shirt ohne BH und dreiviertellangen Hosen anziehen, um halb zwölf Uhr frühstücken und dann in die Stadt gehen.

Niemand wartete ungeduldig auf mich, auch nicht das Museum der Schönen Künste, das als eines der reichsten in Frankreich gilt. Damit war am Nachmittag mein Bedarf an Sehenswürdigkeiten für heute gedeckt, und ich flanierte „nur so“ durch die Straßen. Ich kam an den Rand der Altstadt, erkannte die Straße zum Schwimmbad wieder und legte mich dort in die Sonne, nachdem ich herausgefunden hatte, daß man sich einen Badeanzug leihen konnte. Zu gegebener Zeit trottete ich in die Stadt zurück und zu meinem Hotel, wo Gaston schon im Restaurant auf mich wartete.

Wir aßen dem Stil des Hauses entsprechend, wie es schon Gaston gesagt hatte, fürstlich, nicht ganz billig, aber preiswert. Auf meine nachdrückliche, zum Schluß gar recht laut ausgesprochene Bitte ließ mich Gaston meine Zeche bezahlen. Dann aber beschlossen wir, an diesem Abend nicht noch zum Haus der Durands hinauszufahren, um Musik zu machen oder noch etwas fernzusehen, sondern wir blieben im Restaurant, bestellten einen Roten von der gegenüberliegenden Seite Frankreichs, nämlich einen Bordeaux, und aßen nach angemessener Pause noch eine Portion Crèpes.

Ohne die Enthemmung durch den Wein hätte Gaston vielleicht nicht gefragt:

„Irgendwie siehst du nicht fröhlich aus — hast du Ärger zu Hause?“

„Nicht daß ich wüßte. „

„Aber irgendetwas beschäftigt dich doch — das sieht man dir doch an!?“

„Irgendetwas beschäftigt einen denkenden Menschen doch immer — dich nicht?“

„Natürlich — klar — aber bei dir — ist was mit Dieter?“

„Woher weißt du, daß mein Mann Dieter heißt?“, gab ich in einem unbewußt etwas schärferen Ton zurück, der Gaston anzeigen mußte, daß er den richtigen Nerv getroffen hatte.

Dabei hatte ich den ganzen Tag und auch jetzt im Restaurant nicht eine Sekunde lang an Dieter gedacht; zuletzt hatte ich überlegt, was ich am Samstag auf der Radtour anziehen sollte und ob ich mir noch was kaufen müßte.

„Das hast du schon im Zug in einem Nebenssatz, glaube ich, erwähnt. „

„Mit Dieter ist alles in Ordnung, er hat nur in der Firma so viel zu tun, daß wir dieses Jahr wahrscheinlich nicht zusammen werden verreisen können.

Deshalb bin ich ja jetzt eine Woche allein hier. „

„Und mit dir und Dieter ist auch alles in Ordnung?“

„Was sollen diese Fragen? In jeder Ehe gibt es mal 'ne Krise, und dann versöhnt man sich, gibt sich ein Küßchen und macht weiter. „

„Ich habe aber den Eindruck, ihr habt im Augenblick eine ernstere Krise, und deshalb bist du allein hier. „

„Quatsch! Wir stecken nicht mehr in einer Krise als vor einem Jahr, und das geht dich eigentlich ebenso wenig an wie meine ,cuisses` — oder noch weniger.

„Ich meine ja nur — du hast ja recht — nicht weniger als vor einem Jahr — dann seid ihr entweder wunschlos glücklich oder steckt in einer Dauerkrise –„

„Ich möchte jetzt in meinen wenigen Ferientagen nicht darüber sprechen — punctum. — Wie steht es überhaupt mit Auguste und dir?“

„Danke — ohne Probleme — ohne ernste Probleme. Seit die Kinder aus dem Haus sind, nehmen wir uns mehr Freiheit –„

„– aha! –„

„Nichts ,aha`! Wir verreisen zum Beispiel manchmal allein.

Ich zum Beispiel fahre gern auf meinem Mountain Bike über die Höhen der Cévennen, und das ist Auguste zu langweilig immer mit den Schafen und den Schäfern, sie fährt dann lieber an die See. Und wenn wir wieder zu Hause sind, freuen wir uns, daß wir uns wiederhaben, erzählen, was wir erlebt haben, sind ausgehungert … ,et couchons ensemble`. „

Bei dieser naheliegenden, aber doch unerwarteten Wendung wurde ich rot, was Gaston wohl bemerkte und mit einem feinen Lächeln quittierte; er murmelte so etwas wie „das sagt man eigentlich nicht in Gegenwart einer Dame.

„– in Gegenwart einer fremden Dame“, sagte ich lachend, „,vous faites amour`, das ist doch normal, das werden Dieter und ich wohl auch machen, wenn ich wieder zu Hause bin. „

„Es heißt ,vous faites l'amour`. — Dann ist zwischen euch also doch alles in Ordnung!?“

„Im Großen und Ganzen ja, das sagte ich ja bereits. „

„Was machen wir morgen? Ich habe morgen nichts vor — frühstücken wir hier zusammen — und dann können wir ins ,Musée des Beaux Arts` gehen –„

„Da war ich heute, aber ich hab längst nicht alles gesehen.

„Das wäre dann eine Idee — es soll ja morgen nicht mehr so schön sein. „

„Wirklich?“

„Ja, hat man im ,Méteo` gesagt. „

„Dann gute Nacht — sieh mir nicht beim Schlafengehen zu!“

„Hatte ich auch nicht vor — Salut, Mélanie!“

„Salut, Gaston!“

Gaston gegangen, hing ich in der Badewanne wieder meinen Gedanken nach.

Wann würde Gaston mit seinem Angriff beginnen, etwa schon morgen, es war ja der zweite, aber auch der vorletzte Tag, an dem unser nun schon traditionelles gemeinsames Abendessen wegen Augustes Dienstplan ausfallen mußte — allerdings: Wenn er Augustes Abwesenheit hätte ausnutzen wollen, warum hatte er nicht schon heute mit nachdrücklicheren Avancen begonnen? Daß er es gar nicht versuchen würde, mich zu seiner Feriengeliebten zu machen, konnte ich mir nur schwer vorstellen, einige lockere Bemerkungen waren ja schon gefallen.

Würde er versuchen, mich bei sich zu Hause zu verführen und sein heiliges Ehebett zu besudeln, oder würde „es“ hier im eigentlich recht gemütlichen Hotelzimmer passieren oder gar modern und pornohaft auf dem Klo im ,Musée des Beaux Arts`? Nun, dieses wohl nicht. Sollte ich ihm so was Intimes verraten, daß ich die Pille nahm, oder sollte ich ihn lassen brav ein Kondom benutzen? Fragen über Fragen — und erfahrungsgemäß kommt es meistens doch noch ganz anders.

Am Morgen wachte ich erst fünf Minuten vor der mit Gaston verabredeten Frühstückszeit auf und drehte mich gleich auf die andere Seite, denn draußen rauschte der Regen, was ich, besonders am Morgen nach dem Aufwachen, als besonders gemütlich liebe. Kaum hatte ich mich zurechtgeräkelt, da klopfte es an der Tür. Der Frechdachs wird doch nicht hoffentlich schon jetzt … Aber nein, es war das Zimmermädchen, das gleich mit einem „Excusez, madame!“ wieder entschwand, als ich verschlafen die Tür öffnete.

Ich hatte mich gerade wieder langgelegt, da ging das Telephon, und Gaston teilte mir das völlig überraschende Factum mit, daß er im Restaurant sitze und auf mich warte.

„Heute dauert es noch ein bißchen länger“, sagte ich nur und fügte gnädigerweise noch hinzu: „Lies doch auch die Pariser Zeitungen!“

Ich ließ ihn ruhig warten, nahm ein Bad, dachte dabei nach, was ich heute anziehen sollte, entschloß mich dann zu einem engen T-Shirt ohne BH und Jeans, um die war es mir am wenigsten leid, wenn sie im Regen etwas naß würden, zog mich an, wählte dann doch ein etwas weiteres T-Shirt und begab mich ins Restaurant.

Dort las Gaston im „Figaro“, der ausgelesene „Monde“ lag noch auf dem Tisch.

Obwohl ich ihn so schäbig hatte warten lassen, war Gaston noch höflicher als zwei Tage zuvor, sprang auf, sobald er meiner ansichtig wurde, rückte mir den Stuhl zurecht und verkündete, daß für mich ein hartgekochtes Ei und für uns beide eine Käseplatte und frische Croissants im Anmarsch seien.

„Entschuldige, Gaston, daß ich dich hab so lange warten lassen, aber ich finde das so gemütlich, im Bett zu liegen, wenn es so regnet, aber als ich eben aufgewacht war, kam das blöde Zimmermädchen — das wollte wohl möglichst schnell mit der Arbeit fertig sein, und dann hast du angerufen — da bin ich in Windeseile aufgestanden — aber es hat dann doch ziemlich lange gedauert — ich mußte erstmal richtig wach werden.

„Aber dann hättest du doch bloß zu sagen brauchen, du willst noch liegen bleiben, und dann hätten wir später gefrühstückt!“

„Wäre denn dafür überhaupt genug Lesestoff vorhanden gewesen — den „Monde“ hast du doch schon durchgelesen. „

„,Den` „Monde“ hab ich noch nie von einem Deutschen gehört — aber es ist ja eigentlich richtig. Und es ist noch genug da, sogar die „Humanité“ von den Kommunisten.

Wir genossen das Frühstück in aller Ruhe, so in etwa eineinhalb Stunden, dann meinten wir doch, mit dem Studium der Kunst beginnen zu sollen. Unter Gastons Riesenregenschirm eng aneinander gedrückt, um nicht zu sagen geschmiegt, gingen wir den kurzen Weg zu den ,Beaux Arts` und ließen es auch dort ruhig angehen. Wir hasteten nicht von Saal zu Saal, sondern ließen wenige Bilder auf uns wirken und setzten uns öfter auf die Bänke.

Als sich aber Gaston von einer nackten Schönen eines französischen Barockmalers gar nicht trennen wollte, nahm ich zart seine Hand und bat ihn, der Heiligkeit der Hallen angemessen, im Flüsterton:

„Ich würde auch gern wenigstens kürz noch zu den Sälen mit den Modernen. „

„Natürlich, Mélanie, komm, ich zeig's dir!“

Obwohl Kunst nicht zu Gastons Fächern gehörte, war er wohl schon einige Male mit Schulklassen in diesem Museum gewesen, und er fand den Weg durch das Labyrinth der Gänge zu den Sälen mit den modernen Malern auf Anhieb.

Hier gingen wir etwas schneller durch, Gaston blieb nicht ganz so lange vor einer nackten Schönen von Picasso stehen — da sah ich im nächsten Saal ein Bild, das mich elektrisierte: ein Bild von Paul Klee, meinem Lieblingsmaler unter den Modernen.

Ich mußte mich setzen und dieses Bild betrachten. Ein originaler Paul Klee! Hatte ich so etwas schon einmal gesehen? In der Hamburger Kunsthalle? Vielleicht. Aber in jüngeren Jahren hatte ich Klees Kunst noch nicht für mich entdeckt.

Wie immer bei erhabener Musik, bei einem erhabenem Kunstwerk, bei sonst etwas Erhabenem — der Leser möge die kitschige Ausdrucksweise entschuldigen, und er weiß wohl schon: Mir kamen die Tränen. Dies bemerkte der liebe Gaston, setzte sich neben mich und umfaßte zart meine Schultern. Ich neigte wohl unbewußt meinen Kopf zu seiner Hand, und er drehte sie herum, so daß eine Schale entstand, in die ich meinen Kopf betten konnte. Im Nachhinein betrachtet war dieser Moment der Durchbruch, Gastons Durchbruch, obwohl dieses von „brechen“ abgeleutete Wort gar nicht paßte und dieser Moment nur wenige Sekunden dauerte: Ich richtete mich alsbald wieder auf, denn mit zur Seite gelegtem Kopf ist es ein schlechtes Bilderbetrachten.

Wir blieben wohl eine Dreiviertelstunde vor dem Bild von Klee sitzen, betrachteten zwischendurch auch die anderen Bilder im Saal, aber der Klee stach sie alle aus.

Als wir uns endlich sattgesehen hatten, war es schon nach vier Uhr nachmittags. Wir verließen die ,Beaux Arts`, um diesen Eindruck nicht durch die Betrachtung weiterer Bilder abzuschwächen, und aus demselben Grunde fanden wir, daß wir nichts weiter besichtigen wollten, zumal es noch etwas regnete.

Wir fanden, es sei nun Zeit zum Mittagessen, und weil Gaston keine gesteigerte Lust verspürte, bei sich zu Hause für uns etwas zu bruzzeln, beschlossen wir, im Hotelrestaurant zu essen. Während des Essens rekapitulierten wir, welch schöne Gemälde wir in den ,Beaux Arts` gesehen hatten, vor allem, aber nicht nur, den Paul Klee; auch der barocken nackten Schönen wurde gebührend gedacht (der modernen nackten Schönen von Picasso etwas weniger), und Gaston ließ sich vernehmen:

„Du mußt nicht glauben, daß mir dies Bild nur wegen dem nackten Weib –„

„– wegen des nackten Weibes –„

„Du hast ja recht, Mélanie, wir Deutschlehrer! — nicht nur wegen dem — wegen des — weil mir das nackte Weib gefällt, –„

„Das Bild gefällt dir, weil dir das nackte Weib gefällt — du wirst immer besser, echt!“

„Das Bild ist auch von einem berühmten Maler, vielleicht außerhalb Frankreichs nicht so bekannt, aber er gehört zu unserem Olymp.

„Zu eurem Olymp — toll — doch, ja, ich hab auch schon von ihm gehört. „

Das stimmte damals, inzwischen aber habe ich den Namen vergessen. Ich müßte nochmal hinfahren und nachsehen — wenn die ,Beaux Arts` nicht inzwischen umgehängt haben. — Ich sagte dann aber doch:

„Entschuldige bitte, Gaston, mein Reden — ich stoße dabei manchmal die Leute vor den Kopf. „

„Mir gefällt, wie du redest, das Bild ist ja wirklich zweit- oder drittklassig, wenn man an den Klee denkt.

“ Dabei streichelte er meine Hand. „Nehmen wir noch einen Kaffee?“

„Gern! Ich glaub, sonst schlaf ich gleich ein. „

„Ja: Museumsbesuche machen müde; das glaubt man als junger Mensch immer gar nicht. „

Und nach einer kleinen Pause fuhr er fort:

„Ich schlage vor, wir lassen uns den Kaffee in dein Zimmer bringen. Von da oben haben wir einen so schönen Blick auf die Stadt.

Aha, auf meinem Zimmer! Mit dem schönen Blick hatte Gaston allerdings recht, und jetzt, nach dem Regen und mit der reingewaschenen Luft, war die Aussicht von meinem Zimmer sicher ein Erlebnis.

Weil kein Liftboy zu sehen war, schickte ich mich an, die Treppe hochzusteigen, was Gaston zu einem sauren Kommentar veranlaßte. Als wir aber mein Zimmer betraten, war Gastons Ärger verflogen. Der Ausblick war wirklich überwältigend.

Erst von hier oben sahen wir, daß sich die Regenwolken hoben und am Horizont schon ein blauer Streifen zu sehen war. Wegen dieses herrlichen Ausblicks setzten wir uns nicht wie normale Menschen gegenüber an den kleinen Tisch, sondern nebeneinander auf dieselbe Seite mit Blick aus dem Fenster.

Der Kaffee kam und mit ihm zwei von Gaston ohne mein Wissen bestellte Stücke Torte. Während wir Kaffee und Kuchen genossen, nannte mir Gaston die verschiedenen Gebäude und Kirchtürme einschließlich der hohen spitzen Dächer der turmlosen gotischen Kirchen der Bettelorden.

Dann ging er über zu einigen in der Ferne sichtbaren Kirchen von Dörfern, die wir auf unserer geplanten Radtour besuchen wollten. Weil ich nicht jede dieser Kirchen gleich erspähte, stand Gaston auf und trat hinter mich, um mir die Richtung ohne parallaktische Verschiebung zu zeigen.

Dabei ergab es sich, daß mir Gaston zart seine Hände auf die Schulter legte. Wieder neigte ich den Kopf nach einer Seite, wieder formte mir Gaston mit der Hand eine Schale, wieder richtete ich mich gleich wieder auf, aber was tat Gaston? Er begann, seine Hände zu bewegen.

Aus dieser Haltung ergeben sich ja im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: nach innen an meinen Hals, um mich zu erwürgen, oder abwärts zu meinem Busen. Gaston fand noch ein Drittes: Er streichelte meine Arme etwas abwärts, dann aber nahm der die Richtung von schräg oben zu meinem Busen. Spätestens jetzt wäre der Zeitpunkt gewesen, ihm ein entschlossenes „Halt!“ entgegenzuschleudern, aber ich konnte ihm nichts entgegenschleudern, denn er stand ja hinter mir. Stattdessen sagte ich mit zaghafter Stimme:

„,Qu'est ce que vous faites, Monsieur?`“, das letzte Wort altertümlich aussprechend, so wie man es schreibt, „,je suis une pucelle innocente!`“

„Gratuliere: dann wärst du die erste ,pucelle mariée`!“

„Da wäre ich nicht so sicher, daß ich die erste wäre.

— ,Non, Monsieur, je suis une demoiselle — tombée — chute –`“

„– ,déchue`, man sagt ,déchue`–„

„– ,et je ne suis digne de votre amour` — „

„Die ,demoiselles déchues` sind immer die interessantesten“, sagte Gaston cool, aber zärtlich und setzte sein Tun fort.

Mit unendlicher Zartheit erforschte er Zentimeter um Zentimeter, ertastete den Übergang von den harten Muskeln zur weichen Brust, arbeitete sich vor zu den Nippeln, die sich alsbald aufrichteten, und umrundete sie ich weiß nicht wieviele Male.

Dabei bettete er seinen Kopf in mein Wuschelhaar. Ich drehte meinen Kopf weg, nicht um ihm diese Ruhestätte zu entziehen, nein: Unsere Münder suchten und fanden sich zu einem langen Zungenkuß. Dabei glitten Gastons Hände tiefer, fanden den Saum meines T-Shirts, schoben ihn hoch, und so konnte er meine Äpfelchen, eigentlich Kreuzungen zwischen Äpfeln und Melonen, nach Herzenslust in natura kneten.

Die nächste Phase durchliefen wir sehr schnell. Ich stand auf, drehte mich Gaston zu, wir umarmten uns, herzten und küßten uns und entledigten uns dabei unserer wenigen Sommmer-Kleidungsstücke, im Wesentlichen jeder sich selbst — aber unsere Slips ließen wir aus natürlicher Scham noch an.

Vor mir stand ein nicht allzu groß gewachsener Mann (das wußte ich ja schon) mit athletischer Figur (das hatte ich geahnt), ohne jedes Härchen auf Brust und Bauch, auf demselben ein kaum zu erahnender Ansatz von Embonpoint, mit für einen Mann verhältnismäßig breiten Hüften und einem für einen Mann recht ausladenden Gesäß. Was gegenüber dem Gesäß an Gaston angebracht war, zeichnete sich normal durch den Slip ab.

Wir verlagerten unser Herzen und Küssen in die Horizontale aufs Bett, ohne bei seiner Größe auf eine den Rändern parallele Ausrichtung achten zu müssen.

Wir lagen schräg auf der Riesenfläche und knutschten nach Herzenslust. Gaston lieferte eine Vorführung ab, die einem Berufsmasseur zur Ehre gereicht hätte — bis daß mir die Muskeln, vor allem der Schenkel, wehtaten, ich versuchte es ihm nachzutun, konnte aber mit meinen schwachen Frauenhänden an seinen eisenharten Muskeln, vor allem an den Schenkeln — er war ja fast Radprofi! — wenig ausrichten. Bei dieser ganzen schönen, „ewig“ dauernden Prozedur ließen wir immer noch schamhaft die Schamgegend des/der Anderen aus, bei Gaston aber ließ sich eine gewisse Wirkung auf dieselbe nicht verbergen — bei mir wohl auch nicht, wenn man genau hinsah.

Ich war die erste, die sich in des Gegners Höschen vorwagte, den Bund etwas lupfte, einen Blick auf die rote Spitze warf, meine Hand sofort wieder wegnahm und sagte:

„,Que machine!`“

„,La machine des joies d'amour!`“

„Nun red mal nicht so geschwollen von deinem ,vit`!“

„Heute sagt man ,queue`, wie im Deutschen“, klärte mich Gaston auf, „aber da gibt es noch eine ganze Menge anderer Wörter –„

„Das kann ich mir denken — zum Beispiel?“

„Das kann man einer Dame nicht sagen, die sind zu ordinär.

„,Orginär` hab ich als kleines Mädchen immer gesagt, weil ich dieses Wort nicht richtig verstanden hab, und Mama gebrauchte es häufig, um mir schmutzige Wörter zu verbieten, die ich in der Schule gehört hatte — und eine Dame bin ich auch nicht — eine solche würde wohl nicht so mit dir hier rumliegen — nun sag schon!“

„,Bite` zum Beispiel –„

„Das ist doch nur eine Variante von ,vit` –„

„– weiß nicht — vielleicht — oder ,pine` oder ,chibre` oder ,zizi` oder ,quéquette` oder –„

„Laß es gut sein!“

Wir knutschen noch etwas weiter, dann brach Gaston diese Phase ziemlich abrubt ab und sah mich fragend an.

Ich sah ihn auch verwundert und fragend an. Es dauerte eine Weile, bis sich Gaston ein Herz nahm und kaum hörbar fragte:

„Machen wir weiter?“

Ich küßte ihn auf den Mund und sagte ebenfalls flüsternd:

„Ja, wenn du willst. „

Und ob er wollte! Sein Gesicht strahlte, er intensivierte seine Karessen, griff jetzt auch mir schamlos in den Slip, tastete sich vor, wanderte durch den Wald bis zur Furche, die wohl schon während der Bahnfahrt sein eigentliches Ziel war.

Ich zupfte immer stärker am Bund von Gastons Slip, um ihn dazu zu bewegen, endlich diese letzte Hinderung auszuziehen. Endlich begriff er, zog den Schlüpfer aus, schmiß ihn in eine Ecke und zeigte mir sein nicht sehr langes, aber recht dickes Stück. Es war ringsherum und auch am Säckchen rasiert und glatt wie ein Kinderpopo — nein: wie das Gießkännchen eines kleinen Jungen. Diese Minipause benutzte ich, um auch meinen Slip auszuziehen und in die gegenüberliegende Ecke zu schmeißen, damit es später keine Verwechselungen geben sollte.

Wir setzten unser wildes Schmusen jetzt in ganz nacktem Zustand fort, dabei verirrten sich auch unsere Hände an indezente Körperstellen, und zu gegebenem Moment versuchte Gaston zu penetrieren, um mich mal wissenschaftlich und damit um so obszöner auszudrücken. Gaston mußte ein Zauberer sein: Während unserer letzten Kuscheleinheiten mußte er sich ein Kondom übergestreift haben, ohne daß ich etwas davon gemerkt hätte. Ich sollte ihm „danach“ sagen, er solle es im wirklichen Leben mal als Zauberer mit weißen Kugeln und Kaninchen versuchen.

Er nahm mich in einer Mischung aus Seitenlage und Missionar schräg von oben, und ich mußte staunen, was für ausladende Kolbenhübe er mit seinem recht kurzen Organ machen konnte, ohne mehr als einmal rauszuflutschen. Ich half ihm als gute Kameradin mit der Hand beim Wiederfinden seiner Lustgrotte, und diese Berührung durch meine Hand gab ihm wohl den Rest, den er stieß nur nach einmal zu und spritzte dann, laut aufstöhnend, seinen Liebessaft ins Tütchen.

Ich kam heftig und auch stöhnend während seiner Nachspritzer.

Gleich nach diesem Höhepunkt wollte Gaston sein Schwert aus der Scheide ziehen — wie es die Männer wohl bei Freudenmädchen oder überhaupt beim Gebrauch von Verhüterli gewohnt sind, damit beim Zusammenschrumpeln nicht ein Tropfen des Zeugungssaftes ausfließe — ich aber schloß fest die Schenkel und flüsterte ihm zu:

„Bleib noch — ,stiff and erect`!“

„???“

„Das ist ein Zitat aus „Lady Chatterley's Lover“.

Das hat auf uns Mädchen einen wahnsinnigen Eindruck gemacht, als wir das lasen — das hat eine Kameradin aus dem Bücherschrank ihres Vaters geklaut, und es kursierte unter uns Mädchen — noch bevor mich ein Mann erkannt hat –„

„– erkannt?“

„– das ist ein sehr gehobener Ausdruck, den versteht heute kaum noch einer — also, bevor ich mit einem –„

„– ,avant que tu aies couché avec un garçon`.

„Exakt — ,coucher avec quelqu'un` kenne ich aus einem Text von Sartre — das hat, wie Sarte das schrieb, auch großen Eindruck auf mich gemacht, da kannte ich das aber schon einige Male. „

„Sag: Wie war das bei dir am Anfang?“

„Das wollt ihr Männer immer wissen! Na, wie soll's gewesen sein: rein — raus — fertig. „

„Bitte –„

„Aber du mußt auch von dir erzählen — wie ist das mit einem französischen Jung‘?“

„,Bien entendu!`“

„Na, weil du's bist: Ich hatte einen Freund, Rolf, wir haben schon wild gepettet, aber das Letzte wollten wir uns für die Ferien aufsparen, da ist ihm auf einer Schülerfete einer zuvorgekommen, so, wie ich es ja schon gesagt hab — und Rolf wollte nichts mehr von mir.

„Dumme Geschichte –„

„Du sagst es — das haben auch schon andere gesagt, denen ich das erzählt hab — aber mit Rolf war es trotzdem aus. — Was sagt eigentlich Auguste zu deinem Tun hier?“

„Na ja — und was sagt dein Dieter?“

„Erst du! Ich hab dir von meiner Initiierung ins Sexleben erzählt, und jetzt bist du dran!“

„Ja — Auguste — die weiß — die hat ja auch –„

„Nun stotter nicht so rum, red in ganzen Sätzen, wie wir es unseren Rabauken immer sagen!“

„Rabauke — ,c'est un loubard`?“

„Weiß ich nicht — kenn das Wort nicht — lenk bitte nicht ab!“

„Also — Auguste weiß, daß ich — ,elle sait que je` — „

„– daß du manchmal fremdgehst –„

„Da habt ihr im Deutschen ein schönes Wort — ,elle sai que je parfois suis infidèle — mais elle aussi a un amant.

`“

„Und ich bin jetzt ,ton amante` –?“

„Man sagt nicht ,amante`, man sagt ,maîtresse — mais j'espère que nous serons ami et amie` — „

„– ,et amant et maîtresse` — „

„,Oui — j'espère — si tu veux` –?“

Ich gab ihm einen Kuß und sagte:

„Ich hätte nichts dagegen. — Aber sag: hast du noch eine ,richtige` ,maîtresse`?“

„Ja, Nadine, aber die ist jetzt mit ihrer Mutter am Meer.

„– und steht damit nicht zur Verfügung, und ausgehungert wie du bist schnappst du dir mich. „

„Ach, so ist es nicht — du hättest natürlich auch ,Nein` sagen können. „

„Hättest — hättest — hätte ich aber nun mal nicht — du, ich glaube –„

„Ja, ich glaube auch!“

Damit sah Gaston besorgt zum Schauplatz unseres unsittlichen Tuns, wo sein nun kleines Schwänzchen unter Zurücklassung des Kondoms und einiger Tropfen weißer Flüssigkeit aus meiner Lustgrotte herausgerutscht war.

„Keine Angst“, beruhigte ich ihn —

„,Pilule?`“

„Ja, und und du unbedingt ein andermal nochmal willst, können wir ohne ,Condom`.

„,Capote — capote anglaise`. „

„Aber wie ist das nun bei einem französischen Jung?“

„Ja, wie soll es gewesen sein — auch rein — raus — fertig. „

„Wie phantasielos — ich dachte — wir deutschen Mädchen dachten immer, ihr Franzosen seid die tollsten Liebhaber.

„Sind wir auch — das hast du ja gemerkt –„

„– nun gib mal nicht so an!“

„Es war doch schön — oder?“, fragte Gaston mit ängstlicher Miene.

„Ja, das war es, das muß ich zugeben“, sagte ich ehrlich, um ihn zu beruhigen, „aber nun erzähl mal richtig: War es wirklich nur so ein Rein-Raus?“

„Ja, das war es, aber es war nicht mit meiner damaligen Freundin, sondern im Etablissement von Madame Chouchou, wie sie sich nannte.

Ich bin dahingegangen, um zu üben und mich bei Ernestine nicht zu blamieren. Das ist mir dann trotzdem passiert, wir hatten dann noch ein paarmal ganz passablen Sex, dann hat sie mir ein anderer ,garçon` weggeschnappt. „

„Erster Sex im Puff — immer noch eine der klassischen Varianten. „

„Bitte, Mélanie: bei Madame Chouchou, das war kein Puff, das war ein ,Salon d'amour`; den gibt es übrigens immer noch, er heißt jetzt ,Le Chat Noir` –„

„– wie in vielen anderen Städten –„

„Du sagst es –„

„Und du gehst immer noch manchmal dahin?“

„Ja“, sagte Gaston kaum hörbar und mit hochrotem Kopf, „ein- zweimal im Jahr.

Ich glaube, es gibt nirgendwo auf der Welt noch so schönen dicken roten Plüsch. „

„– und so schöne üppige griffige Freudenmädchen — so nach dem Geschmack von vor hundert Jahren –„

„– in der Beziehung ist der ,Chat noir` ganz auf der Höhe der Zeit — die meisten der Mädchen sind mir zu knochig. „

„Tja, so ist es wohl überall in solchen Häusern.

— Und was machen wir jetzt — vielleicht einen Beischlaf?“

„Aber wir haben doch gerade –?“

„Ich meinte es wörtlich: ,dormons ensemble un peu`. „

Damit warf ich mich halb auf Gaston, meine eine Brust hing zu seiner Seit herunter, die andere schwabbelte auf seiner Heldenbrust, ich legte einen Schenkel auf seinen, bettete meinen Kopf auf sein Brusthaar und war bald eingeschlafen. Aber wohl nicht allzu tief, denn im Halbschlaf registrierte ich selig, wie mich Gaston zart und hingebungsvoll an den ihm in dieser Lage zugänglichen Körperteilen streichelte: meinen Rücken und meine rechte Seite von der Schulter bis zum Knie.

Nach einiger Zeit spürte ich unter meinem Schenkel etwas wachsen und streckte mein Bein etwas, um diesem Dingen Platz zu lassen. Als mir völlig klargeworden war, was das sei, führte ich meine freie Hand dorthin, streichelte den länglichen, glitschigen Gegenstand etwas und führte ihn an die Stelle seiner Bestimmung. Gaston bäumte auf, drehte uns in die klassische Missionarsstellung, drang dank den riesigen Mengen an natürlichen Gleitmitteln fast unbemerkt ein, bewegte sich dann aber nicht weiter, sondern küßte mich wohl tausendmal auf Gesicht und Busen, dann aber legte er los, wieder überraschend weit ausholend, nicht ein einziges Mal hinausgleitend, ich spürte, wie sein Glied noch immer dicker wurde, seine Länge war genau passend, es streichelte, wenn es ganz eingedrungen war, gerade meinen Muttermund, er fickte und fickte, man hätte es auch schon „nageln“ nennen können, er war ja nicht mehr der Allerjüngste, und so dauerte es jetzt beim zweiten Mal so kurz hintereinander eine ziemliche Weile, die mir Gelegenheit zu zwei Orgasmen gab, nicht sehr starken, aber immerhin, schließlich plazierte er sein Weißes Bestes genau an die richtige Stelle an den Eingang zum Innersten, vielleicht hatte er auch ein wenig hineingespritzt, und mir kam der Gedanke: Wenn jetzt mal die Pille nicht funktioniert hatte, dann würde ich vielleicht ein Kind von Gaston bekommen.

Dieser Gedanke war mir überhaupt nicht unangenehm, im Gegenteil, und aus diesem Gefühl heraus küßte ich nun meinerseits Gaston wie wild.

Wir blieben eine ganze Weile so aufeinander liegen, dösten etwas und sagten wohl eine halbe Stunde oder länger kein Wort. Dann rollte sich Gaston von mir hinunter, und wir — ja, was taten wir? Als, immerhin, Menschen der Wissenschaft analysierten wir das Erlebte und landeten schnell bei der Erkenntnis und dem gegenseitigen Eingeständnis, daß dies für jeden von uns eines der schönsten Liebeserlebnisse war.

Wir lagen jetzt händchenhaltend nebeneinander und schliefen so ein. Als wir aufwachten, war es kurz nach zehn, und weil wir noch etwas essen wollten und das Hotelresraurant um elf Uhr schloss, duschten wir in Windeseile, zogen uns an und aßen noch etwas Leichtes. Das Personal, das sicher beobachtet hatte, daß Gaston nach stundenlanger Abwesenheit mit mir „von oben“ und nicht „von draußen“ gekommen war, bediente uns mit vollendeter Höflichkeit und ließ sich nicht das Allergeringste anmerken.

Schon hierfür hätte die „Post“ fünf statt drei Sterne verdient.

Während des Abendessens waren wir nicht sehr gesprächig, erst gegen Ende, als es schon ans Abschied-Nahmen für die Nacht ging, kam Gaston damit heraus, daß das Wetter ab Samstag wieder besser werden sollte, daß wir also für Samstag unsere Radtour planen sollten. Außerdem schlug er vor, am Sonntag mit dem Auto nach Langres zu fahren, eine besonders schöne Stadt mit mittelalterlichem Ambiente.

Dann allerdings müßte ich meinen Aufenthalt in Dijon etwas verlängern, um nicht am Montag schon abreisen zu müssen. Ich war voll mit diesen Vorschlägen einverstanden, und noch am Abend gelang uns an der Rezeption die Verlängerung meines Zimmers um zwei bis drei Tage.

Gaston verabschiedete sich alsbald nach dieser schönen Regelung, und ich begab mich auf mein Zimmer. Als erstes rief ich Dieter an, erzählte ihm von meinen schönen Eindrücken von Dijon, ohne allzusehr in die Einzelheiten zu gehen, und teilte ihm mit, daß ich zwei oder drei Tage länger wegbleiben würde als zunächst geplant.

„Das ist gut, Melanie“, meinte Dieter, „erhol dich mal und genieß die Ferien!“

„Du auch, Dieter!“

Wie er das wohl verstanden haben mochte!? Auf der Sachebene verabredeten wir noch, daß ich rechtzeitig anrufen sollte, wann und mit welchem Zug ich in Hamburg eintreffen würde.

Ich nahm mein geliebtes Wannenbad und freute mich über meinen schönen Urlaub „mit Zugabe“. Es gelang mir mühsam, nicht schon in der Wanne einzuschlafen.

Ich trocknete mich notdürftig ab, schmiß mich auf das zerwühlte Bett und schlief nach wenigen Sekunden wie ein Stein.

Am folgenden Tag, einem Donnerstag, war wieder Regen aufgezogen. Gaston weckte mich unverschämterweise schon um Viertel vor elf auf und fragte, ob ich schon gefrühstückt hätte. Als ich verschlafen verneinte, schlug er vor, zum Hotel zu kommen und mit mir gemeinsam zu frühstücken; dann würden wir sehen, was wir an dem verregneten Tag wohl unternähmen.

Ich war zu keinem Widerstand fähig, es war mir auch, ehrlich gesagt, nicht nach Widerstand zumute — aber was Gaston wohl gern unternähme, war ja nicht schwer zu erraten.

Aber nicht dieses stand nach dem Frühstück auf Gastons Programm, sondern er schlug vor, entweder weitere Besichtigungen — „oder soll ich dir mal unsere Schule zeigen?“

„Oh ja, das würde mich interessieren!“

Also gingen wir, wieder unter Gastons Regenschirm, diesmal aber bewußt aneinandergeschmiegt, zu Gastons Schule, einem klotzigen Bau aus der wilhelminischen Zeit.

Nun ja, „wilhelminisch“ paßt nicht recht für eine französische Schule, wohl aber „aus den Gründerjahren“. Sie sah innen entsprechend aus, außer dem Mobiliar war wohl in hundert Jahren wenig verändert worden.

„Doch“, sagte Gaston, „vor fünf oder sechs Jahren sind der Physik- und der Chemiesaal komplett erneuert worden. „

Na, immerhin. Aber diese Räume wollte mir Gaston nicht zeigen, von diesem Fächern verstehe er weniger als nichts, „und du, Mélanie?“

„Ein kleines bißchen mehr als nichts — aber du brauchst mir diese Räume nicht zu zeigen.

Mich würde mehr euer Musikzimmer und die Bibliothek interessieren. „

Im Musikzimmer stand ein sehr abgespielter Flügel von Erard, auf der Bühne der Aula aber ein neueres Instrument dieser Marke, die für die Impressionisten besonders geeignet sein soll. Gaston holte von irgendwo den Schlüssel für diesen Flügel und fand auch Noten von Debussy und Ravel. Ich versuchte mich an Debussys „Hommage à Rameau“ und an dem „Prélude“ und der „Forlane“ aus Ravels „Tombeau de Couperin“, Stücke, die ich vor Jahren mal geübt hatte und damals recht gut spielen konnte.

Jetzt aber hatte ich diese schweren Brocken nicht mehr in den Fingern, und ich gab es bald auf. Immerhin hatte ich einen überwältigenden Eindruck davon, wie schön diese Stücke auf einem Erard klingen würden, und wie immer, wenn mich etwas überwältigte, — der Leser weiß schon, was jetzt kommt. Gaston legte mir sanft die Hände auf die Schultern, diesmal ohne ausfällig zu werden. Er brachte die Situation geschickt wieder ins Nüchterne, indem er andeutungsweise erzählte, wie schwierig es gewesen sei, die Finanzierung dieses Instrumentes beim Unterrichtsministerium durchzukriegen.

In der Bibliothek fand ich nichts allzu Besonderes, aber der gute Gaston schenkte mir einfach so aus dem Regal die vier Bände eines Lehrbuchs der deutschen Sprache für französische Schüler, und als ich ihn fragte: „Du kannst doch nicht die Bücher so aus Regal wegnehmen!?“, meinte er, er regele das schon mit dem Sekretariat, sicher würde mich dieser Lehrgang interessieren. Damit allerdings hatte er recht.

Mittagessen, Kaffee und Kuchen, Liebesspiel und Abendessen verliefen ähnlich wie am Vortag.

Der wesentlichste Unterschied war wohl, daß sich an diesem Tag die Regenwolken zur Kaffeezeit noch nicht gehoben hatten. Wenn man so gut zueinander paßt wie wir, dann ist man beim dritten Mal ja schon ein eingespieltes Liebespaar, und so hatten wir zweieinhalbmal unsere Lust miteinander. Das letzte halbe Mal half ich Gaston mit meinen zarten Fingern, noch einmal einige Tropfen (sicherlich nicht seine letzten) loszuwerden. Bei dieser masturbierenden Prozedur geilte er sich und mich mit seinen zarten Fingern in meiner Muschi auf, und so stand es, genau genommen, zum Schluß bei dreieinhalb.

Nach einer Ruhepause zeigte ein Blick auf die Uhr, daß wir heute sogar noch früher dran waren als gestern und noch Zeit für ein kulinarisch ausgefeiltes Abendessen hatten. Gastons Vorschlag, unsere nun schon recht tiefgehende Bekanntschaft mit Hummern oder Austern zu feiern, lehnte ich mit der wahrheitsgemäßen Begründung ab, daß mir diese Meeresviecher nicht schmecken, und so wählten wir eine burgundische Spezialität, deren Namen ich vergessen habe, aber, um ganz ehrlich zu sein, ein guter Rinds- oder Schweinebraten hätte mir wahrscheinlich noch besser geschmeckt.

Für den folgenden Tag entschuldigte sich Gaston vielmals, daß er keime Zeit für mich haben würde, denn es komme eine Delegation aus dem Pariser Unterrichtsministerium und alle Lehrer, die nicht verreist waren, seien in die Schule beordert worden — aber wir könnten wohl uns wohl um vier Uhr Nachmittags bei den Drei Fasanen am Freiheitsplatz zum Essen treffen, er lade mich ein.

So schlief ich am Morgen lange und ausgiebig, badete, frühstückte in aller Ruhe und begab mich so genau um zwölf auf einen Stadtbummel.

Es regnete nicht mehr, die Sonne kam zeitweise durch, es begann warm zu werden, aber ich hatte auf alle Fälle mein Reisekostüm angezogen. Irgendwann fiel mir ein, daß ich ja für meine Lieben daheim auch einige Mitbringsel kaufen sollte. In der Musikalienhandlung fand ich für meine Mutter einige Schallplatten mit Aufnahmen französischer Interpreten, die man in Deutschland wohl kaum finden würde, für Dieter kaufte ich in einem Warenhaus eine Garnitur äußerst knapper Slips: wir waren zu Beginn der warmen Jahreszeit übereingekommen, auf dem Unterwäschesektor mal etwas Gewagteres zu wagen, und Dieter würde sich nicht trauen, sich selbst solche Fummel zu kaufen.

Tragen würde er sie sicher, wohl auch bei seinen gewissen Besuchen.

Und für Otto? Ein Buch! Ich stöberte in einer großen Buchhandlung, an der ich in den letzten Tagen schon oft vorübergegangen war, und fand bald etwas Interessantes: ein Buch über Umweltschutz in Frankreich. Das war genau das Richtige für Otto. Aber schon in der nächsten Sekunde fiel mir siedendheiß ein, daß ich von Otto ja so manches wußte, ihn auch schon mal — man sollte es nicht glauben — nackt gesehen hatte, aber so etwas Intimes wie, ob er Französisch könne, das wußte ich nicht.

Aber ein Herr seines Alters, studiert, Beamter in hoher Position: wahrscheinlich konnte er auch Französisch, und so kaufte ich dieses Buch. Wenn Otto es nicht verstünde, würde ich es selbst lesen.

Darauf machte ich noch einen Abstecher in die Außenbezirke des mittelalterlichen Stadtkerns, entdeckte eine turmlose gotische Kapelle, die mir Gaston bisher vorenthalten hatte — oder wahrscheinlich war es eines der Kirchlein, die er mir an jenem denkwürdigen Nachmittag vorgestern aus meinem Hotelzimmer gezeigt hatte.

Ich spiralte allmählich zum Freiheitsplatz und erreichte ihn fünf nach vier von der den Drei Fasanen gegenüberliegenden Seite. Alsbald begann ein Herr an einem der draußen auf dem Platz stehenden Tische wild zu gestikulieren, und ich erkannte, daß es Gaston war. Es saß aber noch ein weiterer Herr an dem Tisch, und so winkte ich nur damenhaft mit abgezirkelten, kaum sichtbaren Bewegungen zurück, ging aber auf gerader Linie auf die Drei Fasanen zu. Das hätte ich vielleicht nicht tun, sondern lieber an den Hausfassaden entlanggehen sollen, aber ich hatte Glück: Keine der Tauben, die ich aufscheuchte, ließ etwas auf mich fallen.

Als ich an Gastons Tisch angekommen war, begrüßte mich dieser landesüblich mit Küßchen links — rechts — links und stellte mir seinen Begleiter vor: Es war Herr Lamazère, ein Dezernent aus dem Pariser Ministerium, den Gaston schon seit längerem kannte. Nachdem Gaston als „Madame Dr. Kerstin Knaack de Hambourg“ vorgestellt und ich den „Doktor“ wegkorrigiert hatte, sagte Herr Lamazère:

„,Excusez, Madame, je ne parle pas l'Allemand. `“

Die Unterhaltung während des Essens kreiste, wie zu erwarten, um Schul- und Unterrichtsprobleme und verlief auf Deutsch, wovon der gebildete Herr Lamazère gar nicht so wenig verstand, auf Englisch, Italienisch, natürlich Französisch — und Latein.

Gaston kriegte von Herrn Lamazère einen Rüffel, daß er mich nicht zu den Besprechungen in der Schule eingeladen hatte, und ich nahm ihn in Schutz, ich sei ja schließlich auf eine Ferienwoche hier und wolle nicht unbedingt auch bei dieser Gelegenheit von solchen Problemen hören.

Bei dieser Unterhaltung war übrigens ich es, die mit Fragen nach dem deutschen Schulwesen gelöchert wurde. Meistens antwortete ich auf Deutsch, und Gaston übersetzte. Herr Lamazère konnte es nicht fassen, daß jedes Bundesland seine eigenen Lehrpläne habe, und ich konnte es nicht fassen, daß man in Paris beim Ministerium betteln mußte, wenn man Mittel für eine Klassenreise beantragen wollte.

Gaston steuerte den tiefschürfenden Gedanken bei, daß es im Endeffekt egal sei, ob man das beantragte Geld von der drei Kilometer entfernten Schulbehörde oder von dem dreihundert Kilometer entfernten Ministerium nicht bekäme.

Das Essen war vorzüglich, das Gespräch ein wenig langweilig, dauerte aber über zwei Stunden, bis sich der hohe Herr aus Paris entschuldigte und in sein Hotel gehen wollte. Ich sollte wohl nicht, aber ich verstand einiges von dem, was Gaston Herrn Lamazère zuflüsterte, nämlich die augenblickliche Rangfolge der ,maisons closes` in Dijon.

Darauf gingen wir zu Fuß nach Hause, wo wir wohl schon Auguste antreffen und in den „normalen“ Tagesablauf eintreten würden. „Normal“ bedeutete für mich: so wie in den ersten Tagen bei den Durands. Und wirklich: Auguste fuhr vor, als Gaston und ich auf das Haus zusteuerten. Es gab ein stürmische Begrüßung und eine hektische Diskussion, wer welche von Augustes Einkaufstüten aus dem Auto ins Haus schleppen sollte. Wir Frauen kriegten es hin, daß Gaston fast alles zu tragen bekam, was er gutmütig lächelnd bewerkstelligte.

Uns einander auf die Füße tretend verstauten wir die Sachen im Eisschrank und in der Speisekammer, und nach wenigen Minuten saßen wir in den Sesseln, mit Saftgläsern bewaffnet, und begannen, unsere Erlebnisse zu erzählen. Auguste hatte mehrere Notfälle in der Klinik, und wir beiden erzählten von unseren Besichtigungen, unseren Mahlzeiten, einiges von unseren Gesprächen und — nein, davon nichts. Auguste hakte nicht nach, obwohl große zeitliche Lücken in unserem Bericht ja offensichtlich waren.

Mir rutsche es dann noch heraus, daß ich heute auch Geschenke gekauft hatte, und natürlich wollten die lieben Durands gleich sehen, was das war.

Es gelang mir, die Slips für Dieter in den Tiefen meiner sackartigen Tasche vor den beiden zu verbergen, und so „bekam“ Dieter das Buch über den Umweltschutz.

„Kann Dieter denn Französisch?“

„Ja, das kann er“, sagte ich wahrheitsgemäß.

„Dann mußt du ihn mal mitbringen, wenn du nochmalherkommst!“

„Wird gemacht, Chef!“

Als letztes zeigte ich die Platten für Mama, und als Auguste bald darauf aufstand, um in der Küche das Abendessen vorzubereiten, umarmte sie mich und sagte leise etwas, das ich als „,Tu es une bonne fille, une très bonne fille!`,“ verstand.

Um so mehr fiel ich aus allen Wolken, als in der Küche — ich half Auguste beim Putzen des Salats, und Gaston kämpfte im Wohnzimmer mit einer zu öffnenden Weinflasche — Auguste in leisem, aber sehr scharfem Ton zu mir sagte:

„,Tu as couché avec Gaston, n'est-ce pas!?`“

Ich wurde puterrot, versuchte etwas zu stammeln, aber bevor ich ein Wort herausbekam, fuhr Auguste fort:

„,Surtout, que tu saches: Gaston ne m'abandonnera jamais de la vie, jamais! Ne te berce pas d'illusions!`“

Es gelang mir nicht, auch nur ein sinnvolles Wort herauszubringen, aber meine Gestik sagte wohl klar genug, daß ich nicht die Absicht hatte, Auguste ihren Gaston wegzunehmen, denn als sie mit dem Arrangement der Käseplatte fertig war und diese ins Wohnzimmer tragen wollte, berührte sie sanft und wieder mit einem Lächeln meinen Arm.

Und das Abendessen verlief wieder in herzlicher und gemütlicher Atmosphäre. In nichts, aber auch gar nichts wurde auf Gastons und meine ,liaison` Bezug genommen, von der nun alle wußten. Nur ich hatte mich von dem Angriff in der Küche — war es überhaupt ein Angriff oder nur eine Warnung? — noch nicht erholt, aß wenig und wurde gerade von Auguste immer wieder freundlichst dazu aufgefordert, kräftig zuzulangen.

Nach dem Essen spielte ich wieder einen ,ordre` von François Couperin, aber schon beim Spielen kam mir der Gedanke, meine aufgewühlten Gefühle mit einem anderen Stück auszudrücken.

Ich fragte:

„Habt ich nicht vielleicht auch Noten von Bach — die Englischen Suiten oder das Wohltemperierte Klavier?“

„Ja, das müßte hier irgendwo sein“, sagte Gaston und begann im Notenregal zu kramen. Bald wandte er sich mit einem Notenstapel auf dem Arm wieder mir zu und sagte:

„Hier ist, glaub ich, alles: Suiten, Toccaten, Inventionen — und hier das Wohltemperierte Klavier. „

Ich wählte eines meiner Lieblingsstücke, ja: eigentlich mein Lieblingsstück: Präludium und Fuge in fis-moll aus dem zweiten Teil.

Das Präludium mit seinen schier unendlich langen Melodiezügen spielte ich in verhaltenem Tempo, aber bei der Fuge legte ich ein teuflisches Tempo vor, brauchte es nach der Hälfte des Stückes beim Einsatz des dritten Themas mit seiner Sechzehntelbewegung kaum zurückzunehmen, spielte das Stück auch — vom Wein enthemmt und angefeuert — ohne gravierende Fehler zu Ende, sah schon bei einem Blick von den Noten, wie die Durands fasziniert mein Spiel verfolgten und erntete schließlich frenetischen Beifall.

Diese Fuge hat aber auch einen ,drive`.

„So haben wir dieses Stück noch nie gehört“, meinte Gaston.

„Habt ihr das Stück überhaupt schon einmal gehört? Diese Präludien und Fugen werden ja selten gespielt, die in den schwierigen Tonarten schon gar nicht. „

„Ja, du hast recht, eigentlich kennen wir das Wohltemperierte Klavier nur von den Platten von Glen Gould. Er spielt diese Fuge nicht so schnell, wenn ich mich richtig erinnere.

Bevor mich Gaston wieder zum Hotel brachte, erntete ich von Auguste noch eine innige Umarmung und ein „,merci pour le concert!`“

Wir gingen den mir jetzt schon wohlbekannten Weg zu Fuß, da kein Taxi in der Nähe zu sehen war, und als wir vor dem Hotel standen, verständigten wir uns mit einem minimalen Kopfnicken, daß Gaston noch kurz zu mir raufkäme. Also hinderte Augustes Wiederauftreten in unserem Tagesablauf nicht eine Vertiefung unserer intimen Bekanntschaft.

Wir konnten uns nicht an der Rezeption vorbeischleichen, denn ich mußte meinen Schlüssel entgegennehmen. Der Portier reichte ihn mir mit absolut unbewegter Miene, obwohl ich ersichtlich zu nachtschlafener Zeit mit einem offensichtlich fremden, ja, hierorts als verheiratet bekannten Mann auf mein Zimmer verschwand. Allerdings war dieser Mann hierorts wohl schon von ähnlichen Gelegenheiten her bekannt, ging es mir durch den Kopf. Ich müßte ihn doch mal darauf ansprechen.

Aber nicht heute abend.

Heute abend genoß ich, nachdem die Zimmertür hinter uns ins Schloß gefallen war, seine Wärme in einer innigen Umarmung, während der er mich aufs Bett schmiß und sich auf mich. Aber nur für eine Sekunde. Dann setzte er sich neben mich — unsere Beine baumelten noch über die Bettkante — und tat etwas, von dem wohl jeder pubertierende Junge träumt, was man aber in späteren Liebesjahren als Mann nicht mehr so oft tut, da man auch andere Methoden der Annäherung aufs Intime kennt: Er griff mir herzhaft unter den Rock.

Zwar lag das erste Ziel dieses klassischen Griffs, die zu früheren Modezeiten noch nicht sichtbaren Knie, bei meinem modisch kurzen Kostüm Gastons begehrlichen Blicken und Händen frei, aber meine Schenkel erforschte er schnell, aber gründlich bis zum Anschlag. Er lächelte mich selig und voller Stolz auf seine Liebeskünste an, als er die Feuchtigkeit dort spürte.

Schnell entledigten wir uns unserer Kleider, schnell fielen wir nackt übereinander her, schnell befriedigten wir unsere nun schon seit über vierundzwanzig Stunden aufgestaute Lust, und doch kosteten wie dieses Quickie bis auf die Neige aus.

Ein Widerspruch? Nicht für uns!

Zu dieser Neige gehörten doch auch einige Kuschel-Minuten „danach“. Während ich spürte, wie Gastons reichliche Hinteralassenschaften das bis dato makellose Bettuch befleckten, sagte ich:

„Auguste weiß von uns. „

„Ja, das war kaum zu vermeiden; ich bin für sie ein offenes Buch — sie für mich aber auch. „

„Wie meinst du das?“

„Na, wie wohl? Ich hab den deutlichen Eindruck, sie hatte dieser Tage auch Besuch von ihrem Galan.

„Arbeitet er auch in der Klinik? Kennst du ihn?“

„So viele Fragen auf einmal! Er ist Elektro-Ingenieur und hatte die Installationen in der Klinik unter sich. Später hat er sich mit einer Elektro-Firma selbständig gemacht. Er betreut immer noch die Klinik und hat auch bei uns schon Reparaturen gemacht. Ja, ich kenne ihn; er heißt Serge. „

„Auguste hat mir gesagt, du verläßt sie nie und ich soll mir keinerlei Hoffnungen machen.

Sag ihr bitte auch nochmal, daß ich keinerlei Absichten habe, dich ihr wegzunehmen. „

„Ich hab gehört, daß Auguste in der Küche leise mit dir gesprochen hat, ich konnte aber nichts verstehen, hab mir aber so was gedacht. Na klar, es bleibt eine Ferienaffäre — du bist doch nicht traurig darüber?“

„Ich? Nö! Das ist doch schon viel mehr, als ich vor der Reise hoffen konnte. — So, jetzt solltest du dich aber anziehen und nach Hause entschweben — sonst denkt Auguste noch, du testest die ,maisons closes`!“

„Das hast du auch gehört?“

„Und verstanden, du Schlawiner! — Und morgen früh?“

„Ich komme so gegen zehn, dann frühstücken wir und fahren los.

„Und wie machst du das mit den Rädern?“

„Ganz einfach: Ich fahre auf einem und schiebe das andere dabei neben mir her. „

„Aber wäre es nicht einfacher, ich käme zu euch raus?“

„Ja, das wäre auch schön. Dann komm um zehn, wir frühstücken alle zusammen, und vielleicht können wir ja Auguste doch noch dazu überreden mitzukommen. „

Hmm — Auguste — ja — ja, warum eigentlich nicht?

Gaston hatte wohl meine Gedanken erraten und beeilte sich zu sagen:

„Ich glaube nicht, daß Auguste mitkommen will, schon gar nicht nach einer so anstrengenden Woche wie dieser.

Mit diesen letzten Worten war Gaston wieder fertig angezogen und ich ließ ihn, selbst „unsichtbar“ nackt hinter der Tür stehend, aus dem Zimmer.

Obwohl es spät war, nahm ich noch ein Bad und legte meine Sachen für den nächsten Morgen bereit: bauchfrei mit hurzem T-Shirt und knappen Jeans-Shorts, dazu einen Jeans-Rock, den ich umnehmen konnte, wenn mein sonstiger Dress für eine Kirchenbesichtigung vielleicht nicht schicklich genug sein sollte.

Nachdem ich am Morgen etwas spät aufgewacht war, machte ich mich in Windeseile fertig, suchte noch ein etwas längeres T-Shirt heraus, überhaupt und wenn das erste zu sehr verschwitzt sein sollte, packte dies alles in meine sackartige Tasche und machte mich auf den Weg zu dem Haus der Durands. Das Wetter war sonnig, aber nach den Regentagen noch nicht zu heiß: ideales Ausflugswetter.

Der Frühstückstisch war auf der Terrasse in der Sonne gedeckt, Gaston auch schon reisefertig in einem khaki Hemd und knielangen khaki Shorts, dazu eine Baseballmütze, mit der er putzig aussah.

Ich mußte ihn doch necken:

„Willst du nicht doch noch eine Krawatte umbinden?“

Auguste, angetan in einem fest zusammengeschnürten, aber recht durchsichtigen Négligé, mußte lachen und sagte:

„Du hast auch schon gemerkt, daß sich Gaston gern hyperkorrekt anzieht! Mir gefällt das. „

„Mir auch. „

„Ach, ihr beiden hübschen, dann sehe ich doch wie ein Offizier in den Kolonien aus!“

„Fehlt nur noch der Tropenhelm“, sagte Auguste und fuhr an mich gewendet fort: „Nimmst du nichts auf den Kopf?“

„Das tu ich nie.

„Es wäre aber doch besser, es könnte ja recht warm werden. Komm, ich geb dir hier noch eine weiße Kappe. „

Wir ließen uns das Frühstück in aller Ruhe schmecken. Gaston entwickelte seine geplante Fahrtroute; die Namen der Dörfer sagten mir nichts, aber in dreien von ihnen würden wir romanische Kirchen besichtigen können und in einem sei ein Vier-Sterne-Restaurant, das im Michelin leider nur zwei Sterne habe und deshalb zum Glück nicht so überlaufen sei: Dort könnten wir essen und überlegen, ob wir noch weiterfahren oder umkehren wollten.

Beim Sitzen war Augustes Morgenmantel etwas auseinandergefallen und gab den Blicken ihre etwas fleischige Kniepartie preis. Gaston verteilte seine Männerblicke gerecht auf diesen schönen Anblick und meine fast ganz nackten herrlichen Wanderbeine. Ja, diesen Ausdruck, der bei fast allen meinen bisherigen Liebhabern auf verläßliche Weise zunächst Unverständnis verursacht hatte, den mußte ich bei Gaston auch noch ausprobieren. Gelegenheit dafür würde noch sein.

Wie erwartet, hatte Auguste heute keine Lust auf sportliche Betätigung, sondern wollte den freien Tag lieber zu Hause genießen, vielleicht sogar noch etwas Schlaf nachholen, „der ist auch in der Nacht etwas kurz gekommen“ — aha!

Gaston gab seiner Auguste einen lieben Kuß, dann holte er zwei Räder aus dem Schuppen, zwei achtundzwanziger, also große, Herrenräder.

Er schraubte mir den Sattel etwas niedriger, weil ich sonst mit meinen zwar herrlichen, aber nicht allzu langen Beinen nicht bis an den tiefsten Punkt der Pedale gelangt hätte, erklärte mit die Zwanzig- oder Dreißig-Gang-Schaltung, ließ mich auf der stillen Villenstraße etwas üben, und dann ging's mit einem „Viel Spaß!“ seitens Augustes los.

Wir fuhren ein Stück auf der vielbefahrenen Nationalstraße, aber bald zweigte eine kleine Seitenstraße zu dem ersten Dorf mit der ersten romanischen Kirche ab.

Da weit und breit niemand zu sehen war, holte ich meinen Rock nicht raus und ging „so“ in die Kirche. Als wir wieder ins Freie traten, kam uns der Priester entgegen, grüßte uns freundlich, verlor kein Wort über meine Aufmachung, fragte uns, wie uns die Kirche gefallen habe — und gab uns zum Schluß doch Ratschläge, welche Priester der Nachbardörfer sich an meinem Dress vielleicht ein wenig stoßen könnten. Schließlich entließ er uns mit guten Wünschen auf die Weiterfahrt.

Wir fuhren auf stillen Straßen und Wegen von Dorf zu Dorf, besichtigten hier eine Kirche, dort eine alte Mühle, tranken einen Saft, genehmigten uns ein Eis, wir konnten fast immer nebeneinander fahren, und ich mußte Gaston des öfteren mahnen: Sieh doch auf den Weg und nicht auf meine Beine!“ Wir landeten bei dem Zwei- oder Vier-Sterne-Restaurant, das nur wenig besucht war, und aßen fürstlich.

Als sich das Mahl dem Ende zuneigte, fragte Gaston:

„Sollen wir nun noch zum nächsten Dorf fahren — dort wäre eine besonders schöne gotische Kirche und daneben ein Restaurant, da konnten wir unter den Linden Kaffee trinken –, oder sollen wir umkehren?“

„Wie weit ist es denn zu diesem Dorf, und wie weit ist es nach Hause?“

„Zum Dorf noch sechs oder sieben Kilometer, nach Dijon von hier zwanzig oder zweiundzwanzig.

„Dann würde ich sagen: Kehren wir um. Ich bin zwar von zu Hause längere Wanderungen gewohnt, aber nicht mehr das Radfahren. Können wir uns aber nicht auf dem Rückweg irgendwo noch etwas sonnen?“

„Doch — doch — das können wir: Dann nehmen wir den Weg durch die Apfelplantagen, der ist nur um zwei oder drei Kilometer weiter, aber da können wir uns unter den Bäumen oder in der Sonne — sonnen — schönes Deutsch das!“

„Wie recht du hast, so machen wir's!“

„Und das nächste Dorf können wir vielleicht auch morgen anlaufen, wenn wir vielleicht alle zusammen, auch mit Auguste, nach Langres fahren.

„Ach ja, das steht ja auch noch auf dem Programm — ich freu mich schon!“

So wählte Gaston am Dorfausgang nicht den Weg links, sondern den Weg rechts, der leider nicht nur drei Kilometer länger, sondern auch erheblich bergiger war, aber uns durch die Obstplantagen führen sollte. Von der zweiten Höhe schon sah man in der Ferne die vielen Bäume, aber ich jammerte und jammerte und quälte mich die Steigungen rauf, bis mich Gaston freundlich, aber bestimmt zurechtwies:

„Nimm doch einen niedrigeren Gang, und im Übrigen sind bei euch in Holstein mindestens solche Berge wie hier am Rand des Saône-Tals.

„Vielleicht hast du recht, aber ich glaub das nicht, und da fahre ich ja nicht rad. „

Dann aber sagte Gaston, als wir gerade wieder am ersten Anstieg einer mir schier unüberwindlich scheinenden Steigung waren:

„Dies ist der letzte Berg vor Dijon, Ich würde sagen: Wir nehmen diesen Feldweg in die Plantagen und suchen uns einen Platz zum Sonnen. „

„Hättest du Sadist nicht schon zwei Berge vorher sagen können: ,Jetzt haben wir nur noch drei Steigungen`?“

„Hätte ich vielleicht, aber nun sind wir ja hier.

Der Weg in die Obstwiesen war noch steiler, aber ich hatte den Ehrgeiz, auch diese Steigung in einem ganz niedrigen Gang zu schaffen, und ich schaffte sie mit hektischem Strampeln; dabei genoß Gaston wieder den Anblick sich natürlich bewegender Frauenbeine. Nach einem knappen Kilometer stiegen wir endlich ab, schoben die Räder seitwärts durch das hohe Gras und fanden schließlich eine Stelle, wo wir unsere Decke ausbreiten und uns auf ihr ins Gras legen konnten.

Während Gaston aus seinem Rucksack die Sachen für ein kleines Pique-nique einschließlich einer kleinen Flasche Wein hervorzauberte, zog ich mich zum Sonnen aus, zu Gastons Verblüffung ganz aus. Als ich schon Hand an meinen Slip legte, sagte er:

„Hier kann doch immer jemand vorbeikommen!“

„Hier kommt bis zur Apfelernte kein Mensch vorbei, höchstens Leute, die sich hier auch verkrümeln wollen. „

Damit schmiß ich meinen Slip auf meinen kleinen Kleiderhaufen und legte mich lang.

Die Sonne stand nicht mehr sehr hoch, und ein Eincremen war wohl nicht mehr nötig.

Gaston deckte den „Tisch“ fürs Pique-nique, bestehend aus Wurstbroten, Kuchen und der kleinen Flasche Wein, und ich sagte zu ihm:

„Du willst doch nicht in deiner Tropen-Uniform bleiben?“

Aber erst einmal blieb er so; er meinte wohl, zu der festlichen Tafel gehöre es sich nicht anders. Die Szene war göttlich und erinnerte mich an ein Bild eines der Impressionisten: Der Maler beim Pique-nique mit seinem dreiviertel nackten Modell.

Nach der anstrengenden Fahrt mundete uns das einfache Mahl herrlich. Nachdem bald alles verputzt und ausgetrunken und wieder im Rucksack verstaut war, sagte ich noch einmal:

„Komm doch, zieh dich auch aus, leg dich zu mir und genieß noch etwas die warme Nachmittagssonne!“

Gaston zog sein Hemd aus, auch sein Unterhemd, das er wie immer anhatte, und als er am Gürtel seiner Shorts nestelte, sagte er:

„Ich hab aber keine Badehose mitgenommen.

„Und was hättest du gemacht, wenn wir in ein Schwimmbad hätten gehen wollen. „

„Da kann man sich doch überall Badehosen leihen. „

„Aber du brauchst hier vor mir doch wohl keine Badehose mehr — komm, hier kommt bestimmt niemand vorbei, und wenn schon!“

Schließlich ließ sich Gaston dazu breitschlagen, auch seinen Slip auszuziehen, ängstlich nach allen Seiten sichernd. Als er neben mir lag, mußte er zugeben: Das Gras war so hoch, daß man auf drei Meter herankommen mußte, um uns im Gras liegen zu sehen.

Den Aber-Gedanken, daß unsere Räder von weiten sichtbar an einem Baum standen, äußerte ich wohlweislich nicht. Denn ich wollte mehr. Ich wollte mit diesem Mann neben mir schlafen, hier im Gras, unter freiem Himmel, mit ihm schlafen. Bisher hatte er mich nur im unpersönlichen Hotelzimmer erkannt, und bei ihm zu Hause ging es ja wohl nicht, aber dies hier, das war mein Zuhause. Hier wollte ich seine Geliebte werden — na, schön, das war ich schon — also: hier wollte ich seine Geliebte sein, und wenn es ein Kind werden sollte, dann sollte es hier gezeugt sein.

— ,Melanie, was redest du da wieder für Stuß mit dir selbst? Es ist doch nur eine kurze Urlaubsaffäre, zugegebenermaßen mit einem besonders sympathischen Zeitgenossen. ` — Natürlich war es nur eine Urlaubsaffäre, die nach längstens drei Tagen zu Ende war, aber hier sollte ihr Höhepunkt sein. Es fällt mir schwer, es auch mir selbst einzugestehen: Kaum jemals in meinem Leben habe ich einen Mann so sehr begehrt wie jetzt diesen ein wenig leichtlebigen Gaston neben mir — vielleicht noch Rolf, als er für mich schon nicht mehr erreichbar war, ebenso wenig wie Gaston jetzt für mich erreichbar war — wie sich die Dinge wiederholen, auch der ,tópos` „Wiese“.

Während ich noch so dachte, drehte ich mich zur Seite und hauchte:

„Komm!“

Gaston hauchte mit ungläubiger Miene: „Hier?“

„Ja, hier, genau hier“, hauchte ich mit schlafzimmermäßigem Augenaufschlag, „warum, erklär ich dir später. „

Endlich drehte sich Gaston zu mir und begann mich zu streicheln. In Windeseile stand sein Stehaufmännchen, aber das hielt ihn nicht davon ab, mich im hellen Sonnenlicht mit Augen und Händen überall zu erforschen.

An seinem Gesichtsausdruck merkte ich, wie er meinen ziemlich kleinen Kitzler registrierte, aber unterließ jede Bemerkung darüber. Viel Zeit brauchte er für meine Knie. Ja, wie ich so mit gestreckten Beinen dalag, zeigten sie viele feine, von jahrzehntelangem Beugen und Strecken herrührende Rillen und Fältchen. Zählte er die etwa? Waren die so etwas wie Jahresringe? Aber dann ging sein Forschungszentrum wieder zurück, ich ließ mich widerstandslos in eine für ihn bequeme Lage drehen, und Gaston versenkte zart und für mich fast unmerklich seinen Zauberstab in die feuchte Scheide.

Diesmal wählte er ein Zeitlupentempo, das mich — welch Widerspruch — in kürzester Zeit zum Höhepunkt brachte.

Ich kuschelte mich noch während seiner auch gegen Schluß nur wenig beschleunigten Tätigkeit eng an ihn, ich maximierte die Haut-Berührungsfläche, und wes das Herze voll ist, dem geht der Mund über, und so sagte ich, was man einem Mann, einem Geliebten, eigentlich nicht so klar sagen sollte:

„Ich will dich ja deiner Auguste nicht wegnehmen, aber heute wollte ich dich haben, dich in mir spüren, von dir empfangen –„

„Empfangen?“

„Ich denke, die Pille funktioniert, aber du hinterläßt dein Bestes so genau an der richtigen Stelle, da weiß ich ja nicht — aber es wird schon gut gehen — oder schlecht, ich werd wohl wieder kein Kind bekommen.

„Mach keine Witze — ein Kind von mir irgendwo, das würde Auguste nicht gern sehen und mich wahrscheinlich rausschmeißen — so was hat sie mal gesagt. „

„Aber folgenlos mit fremden Weibern schlafen, das geht?“

„Ja, das erlauben wir uns — beide — wir haben ja unsere Freun …“

„– ,amants et maîtresses` –„

„– ja, und wir wissen, daß wir ,amis et amies` haben.

„Wie schön im Französischen, daß man nicht hört, ob es einer oder mehrere sind. „

„Bei uns sind es eins Komma null eins. „

„Eins Komma null eins?“

„Ja, will sagen, nur ein Freund oder ein Freundin, aber ganz selten ergibt sich noch mal was anderes, wie jetzt mit dir. Ich bin ja so dankbar, daß ich dich im Zug getroffen hab, das sollte ich dir doch sagen, bevor du wieder abreist und ich es vielleicht vergesse.

„Ich dir auch! Aber ich sollte dir nun vielleicht doch etwas sagen –„

„– daß du eigentlich verheiratet bist — das hast du doch schon längst gesagt. „

„Was meinst du mit ,eigentlich verheiratet`? Ich bìn verheiratet! Aus der Ferne betrachtet auch gar nicht so unglücklich mit meinem Dieter. Nein, was ganz anderes: Ich hab auch einen ,amant` zu Hause. „

„Was? Du hast –? Wie schön für dich, das freut mich“, sagte Gaston, aber sein Gesichtsausdruck sagte etwas anderes.

„Er heißt ,wie bitte`, das solltest du als Deutschlehrer eigentlich wissen. Du betrügst also nicht nur meinen Dieter, sondern auch meinen Otto, der jetzt sehen muß, wie er das Wochenende ohne mich durchsteht. „

„Weiß Dieter davon? Wie lange kennst du Otto schon?“

„Wieder so viele Fragen auf einmal! Ihr Männer wollt immer alles von euren Geliebten wissen, wie oft sie früher mit wem im Bett waren.

— Ich weiß nicht, ob Dieter das weiß, vielleicht ahnt er etwas; wir sprechen nicht darüber. Das mit Otto läuft seit fünf Jahren in schöner Regelmäßigkeit fast jeden Sonntag, bei gutem Wetter auf einer Waldwiese, sonst in einem verschwiegenen Jagdhaus, das einem Freund von Otto gehört, aber von dem nicht benutzt wird oder auch nur bei ähnlichen Gelegenheiten. „

„Und Dieter –?“

„Dieter hab ich erzählt, ich bin in einem Wanderclub — das stimmt, da hab ich Otto auch kennengelernt — und wandere mit den Clubkameraden jedes Wochenende bei gutem, und wenn es irgend möglich ist, auch bei schlechtem Wetter.

Er hat mir nie nachgeforscht. „

„Wie alt ist denn dieser Otto?“

„Mittlerweile vierundsechzig –„

„– wa … — wie bitte: vierundsechzig?“

„Ja, vierundsechzig. Als wir uns kennengelernt hatten, war er neunundfünfzig. Ihm kannst du nacheifern: durch fortwährende Übung jung geblieben — in jeder Hinsicht. „

„Wie hat der dich denn rumgekriegt?“

„Bitte nicht diese Töne! Ja, ich hab mich von ihm verführen lassen, ich war damals ziemlich ,down`.

„Und warum das?“

„Das war kurz nachdem ich rausgefunden hab, daß mich Dieter mit Puffbesuchen und sogar mit Freundinnen betrügt. Über diesen Aspekt hatten mich meine Eltern nicht aufgeklärt, und ich dachte immer, meine Ehe sei so perfekt wie ihre. „

„Armes Mädchen!“

„Gar nicht so arm in der Rückschau! Otto ist ein wunderbar zarter Liebhaber –„

„– bin ich das nicht auch?“

„– bist du auch! Aber Otto ist gar nicht der erste.

Meinen ersten Fremdgeh-Liebhaber habe ich selbst eigenhändig verführt — als Rache an Dieter. „

„Erzählst du mir davon?“

„Neugieriger Fratz! Ich kannte ihn vom Sehen bei Konzerten, und einmal, als ich allein im Konzert war, hab ich es so gedreht, daß wir uns in der Pause kennengelernt haben, ich ihn nach dem Konzert nach Hause gebracht habe, ich mich auf noch ein Glas Wein hab einladen lassen, und bald saßen wir auf der Couch, er mit seinen zarten Fingern in meiner Bluse und so weiter — mit einigen Zwischenschritten.

Mit Theo ging das fast ein Jahr, dann hat er geheiratet und ist weggezogen. Wir telephonieren noch manchmal; seine Frau hab ich auch kennengelernt, sie weiß von unserer vorehelichen Affäre. „

„Du bist ja gar nicht so unschuldig, wie ich dachte. „

„Ich hab nie gesagt, daß ich ein unschuldiges Mädchen wäre. — Aber nun erzähl du mal, wie bist du in dieses Vielweiber-Lotterleben reingekommen. „

„Ganz einfach: vorbelastet von meinen Eltern.

Papa ,ging manchmal aus`, und als wir Kinder — mein älterer Bruder und meine beiden jüngeren Schwestern — älter wurden, haben wir allmählich häppchenweise herausgefunden, daß Papa sich mit jemand traf, mit einer Frau traf, dieser Frau einen etwa zweistündigen Besuch abstattete, in dieser Zeit vielleicht doch nicht mit dieser Dame nur eine Schachpartie spielte, wie man uns Kindern mal gesagt hatte, als wir noch klein waren. Und Mama hatte ihren Gesanglehrer. Ja: wirklich: Sie sang in Kammerkonzerten und hatte jahrzehntelang zweimal wöchentlich Gesangsunterricht bei einem Sänger der Dijonner Oper.

Meistens kam er zu uns, aber manchmal ging Mama auch zu ihm. Daß es im letzteren Falle nicht zu hundert Prozent, sondern vielleicht nur um siebzig Prozent um Musik ging, ahnten wir Kinder, seit wir in das entsprechende Alter gekommen waren. Die Bestätigung bekamen wir viel später bei Mamas achtzigsten Geburtstag. Als wir vier Kinder mit Anhang nach der großen Feier noch mit Mama zusammensaßen, konnte sich die eine von meinen Schwestern nach mehreren Glas Wein nicht mehr zurückhalten und fragte:

,Mama, du hast doch mit Herrn Anglade nicht nur Gesang geübt?`

,Na und, was geht euch junges Gemüse das an? Gönnt eurer Mutter den kleinen Spaß nicht! War ich euch nicht eine gute Mutter und Papa eine gute Frau? Und wie ihr euer Leben führt, will ich gar nicht weiter wissen!`

Wir waren dann recht kleinlaut.

Mama grollte dann noch hinterher:

,Il aussi avait ses chéries. `

,Nicht nur sa chérie?`, fragte mein neugieriges Schwesterlein.

,Du hättest ihn rechtzeitig selbst fragen sollen. `

In Augustes Familie soll es ähnlich gewesen sein. Und dann war da noch Augustes Großvater, ein Wunder an Liebeskraft. Er war früh verwitwet — die Großmutter hat Auguste nicht mehr gekannt –, er war Englischlehrer und wohnte im selben Haus wir Augustes Eltern.

Sie einnert sich seit ihrer frühesten Kindheit an Opas Damenbesuche. Als Kind war es schön: die netten Frauen, die den im Garten spielenden Kindern immer mal wieder Süßigkeiten zusteckten. Allmählich wurde es Auguste und ihrer Schwester klar, was in Opas Zimmer ablief. Und noch mit achtzig Jahren hatte er regelmäßig Besuch von einer inzwischen über vierzig Jahre alten ehemaligen Schülerin. Man hörte die beiden seriöse englische Konversation üben, aber manchmal hörte man stundenlang gar nichts aus dem Zimmer, und hinterher war das Bett zerwühlt und Opa am Abendbrottisch besonders aufgekratzt.

Auch Auguste hat ihr gutes Englisch bei ihm gelernt, aber ohne solch Intermezzi. — So, jetzt, glaub ich, sind wir quitt mit erzählen. „

„Das glaub ich auch. Jetzt an die Arbeit –„

„Ja, wir sollten allmählich aufbrechen. „

„Ich meinte Arbeit hier. “ Damit umschlang ich ihn mit Armen und Beinen, daß der Arme nicht entwischen konnte. „Ich sollte es dir vielleicht nicht so offen sagen, aber heute will ich dich.

War Gaston nicht mehr auf eine Reprise eingestellt, war es ihm kühl geworden oder dachte er reuevoll an sein Eheweib, ich weiß es nicht, jedenfalls fühlte ich nichts und ertastete „nur“ einen zusammengeschrumpelten Zipfel, aber bei ihm als einem gesunden Mann gab sich dieser Zustand bald, und weil es nun wirklich schon spät und etwas kühl war, ließ ich ihn ohne großes Vorspiel eindringen. Gaston begann mit den Millionen Jahre alten instinktiven Bewegungen, ich machte diesmal gegenläufig dieselben Bewegungen, in der Addition wurde es ein heftiger Fick, um nicht zu sagen: ein Nageln.

Oft wurde es zu auslandend, und Gaston war draußen; bei der manuellen Hilfe, den Eingang wieder zu finden, merkte ich, wie seine rote Spitze immer dicker und praller wurde, und er kam schließlich bei einer solchen Aktion in meine Hand, nur die vielen Nachspritzer applizierte er an seine Lieblingsstelle tief im Inneren.

Erst als er fertig war, merkte ich, wie mich inzwischen fror. Ich unterließ ,stiff and erect`, gab Gaston ein knappes Küßchen und gab in hurenmäßiger Eile seinen Schwanz frei.

Noch groß, schon etwas schlaff und glitschig fiel er zur Seite. Ich schmiß ihm ein Tempotaschentuch zu, tupfte mich selbst ab, so gut es ging, und zog mich an. Ich würde wohl auf der letzten Etappe bis nach Hause Flecken in meinen Slip machen, hoffentlich nicht auch von außen sichtbare in meine Jeans-Shorts. Gaston konnte sich, seiner Anatomie gemäß, natürlich perfekt säubern. Auch er zog sich in Windeseile an, packte die Pique-nique-Sachen zusammen, und wir gingen zu unseren Rädern.

Dabei sahen wir nicht weit von unserer Stelle an einem anderen Baum auch zwei Fahrräder stehen und hörten aus der Richtung kichernde Geräusche. Das hohe Gras aber verdeckte das dortige Geschehen vor allen eventuellen Voyeur-Blicken.

Putzmunter nach unseren herrlichen Liebesstunden merkte ich auch selbst kaum den letzten Anstieg. Von der Höhe hatte man einen wunderschönen Blick auf die Stadt, und das allerletzte Stück war nur noch ein sanftes Gefälle bis zum Haus der Durands.

Unsere gehobene Stimmung hielt an, wir stellten die Fahrräder an die Hausmauer und gingen ins Haus. Dort empfing Auguste „die zwei Weltreisenden“ mit herzhaften Küssen und wollte natürlich „alles“ erzählt bekommen. Wir erzählten frisch heraus, abwechselnd und uns oft ins Wort fallend, von unseren Besichtigungen, vom Eis, vom Essen, von den guten und weniger guten Wegen, vom schönen Blick auf Dijon kurz vor unserer Heimkehr, aber nichts vom Pique-nique. Und Auguste fragte auch nicht nach, wo die viele Zeit zwischen unserem Mahl im Zwei-bis-Vier-Sterne-Restaurant und unserer Ankunft zu Hause geblieben war.

Obwohl ich jetzt merkte, daß ich hundemüde war und meine Beine wie Gummi, half ich Auguste in der Küche beim Vorbereiten des Abendessens und hatte Angst davor, auch heute wieder Ermahnungen hören zu müssen. ,Das kommt davon, Melanie, wenn man nicht artig ist und nicht seine Finger von fremden Männern läßt. ` Auguste aber war heute gleichbleibend herzlich, machte spitze Bemerkungen nur über unseren zu erwartenden Heißhunger und sagte, aber erst, als alles, meist von mir hereingetragen, auf dem festlich gedeckten Tisch stand:

„Ich weiß auch, Melanie, wie man sich nach einer Fünfzig-Kilometer-Radtour fühlt!“

Meinte sie das etwa wieder doppeldeutig? Wahrscheinlich ja.

Das Abendessen verlief wie an allen anderen Abenden in herzlicher Atmosphäre, heute war mir festlich zumute, und ich spielte als „Konzert“ Präludium und Fuge in E-Dur aus dem zweiten Teil des Wohltemperierten Klaviers. Vor über zehn Jahren hatte ich diese Stücke eingehend geübt, die Fuge verträgt ein sehr getragenes Tempo, und so spielte ich ohne Fehler und erntete wieder enthusiastischen Beifall. Als „Zugabe“ spielte ich die viel längere Französische Suite in E-dur, die ich ebenfalls einmal intensiv geübt hatte.

Hier allerdings wählte ich bei manchen der Sätze, besonders beim letzten, der Gigue, ein mörderisches Tempo, verspielte mich trotzdem nicht allzu oft, und sah zum Schluß die beiden Durands quasi mit offenem Mund dasitzen und dann in Beifall ausbrechen.

Augustes Frage kam für mich etwas unerwartet:

„Spielst du auch manchmal für deine Mutter?“

„Ja“, antwortete ich wahrheitsgemäß, „manchmal — gar nicht so selten — und genau diese Stücke, von ihr und meinem Vater habe ich ja die Liebe zur alten und ganz alten Musik.

„,Tu es une très, très bonne fille. Je suis heureuse d'avoir fait ta connaissance!`“

Mir kamen dir Tränen, wir lagen uns in den Armen, und ich stammelte:

„,Tu es si gentille avec moi. Je ne mérite pas ta amitié. `“

„,Tu en mérites. `“

Als wir uns wieder gefangen hatten, fragte Gaston:

„Machen wir nun morgen den Ausflug nach Langres?“

„Ja, sicher, so hatten wir doch gesagt, und das Wetter soll doch noch schöner werden.

„Sehr schön. Treffen wir uns dann hier um zehn zum Frühstück?“

Alle waren einverstanden. Ich bat darauf:

„Ich bin hundemüde. Bestellt mir doch bitte ein Taxi. „

„Gaston bringt dich doch natürlich zum Hotel. „

„Das ist aber doch wirklich nicht nötig!“

„Aber es gehört sich so!“

Na ja, ob sich das „so“ gehörte?

Es kam ein Taxi, in wenigen Minuten waren wir beim Hotel — und richtig, wie ich es gefürchtet oder doch gehofft hatte, waren Gastons Kräfte wieder erwacht, und er begleitete mich auf mein Zimmer.

Ich war zu müde mich auszuziehen, das besorgte Gaston mit Hingabe, und als wir beide nackt waren, streichelte er mich in einen seligen Halbschlaf. Halb träumend, halb wachend genoß ich, wie er seine und meine Lust stillte und wie er mir einen Abschiedkuß gab. Ich wachte im frühen Morgengrauen kurz auf, räkelte mich auf die andere Seite und schlief weiter bis halb zehn. Ich machte mich in Windeseile fertig, zog züchtig den Jeansrock an, oben wieder T-Shirt mit BH, und raste zu den Durands.

Auguste und Gaston hatten auch verschlafen, und so hatte ich reichlich Gelegenheit, beim Decken des Frühstückstisches auf der Terrasse mitzuwirken. Gaston war schon reisefertig, wieder in einem Khakidress, aber Auguste brillierte noch in ihrem Négligé.

Wir frühstückten in aller Ruhe, und als wir fast fertig waren, kam ein eleganter Herr, etwas älter als ich, öffnete die Gartenpforte und kam zu uns auf die Terrasse. Er gab Gaston die Hand und Auguste ein Küßchen, und ich verständigte mich mit Gaston nonverbal mit einer minimalen Kopfbewegung meinerseits zu diesem Herrn und einem minimalen Kopfnicken Gastons; ja, das war er! Dann wurde er mir aber schon nach aller Etikette vorgestellt: „Herr Serge Péronnier, unser Elektroinstallateur, ,Madame Mélanie Knaack, professeur, Gaston l'a rencontrée dans le train.

`“

Serge setzte sich an den Tisch und aß die letzten Reste auf, er verstand wohl fast alles, was wir deutsch sprachen, konnte aber selbst fast gar nicht deutsch sprechen, und so radebrach ich mit ihm auf Englisch. Auch so gelang es uns, uns darauf zu einigen, uns beim Vornamen zu nennen und im Französischen auch zu duzen.

„Du hast doch nichts dagegen, daß Serge auf unserer Fahrt mitkommt? Ich hab vergessen, Dich vorher danach zu fragen.

Was sollte ich schon dagegen haben und Probleme heraufbeschwören?

Während wir uns so beschnupperten, hatte sich Auguste angezogen, und sie erschien mit einer karierten, weit aufgeknöpften Bluse, sehr ersichtlich ohne BH, und kurzen Hosen, die nicht nur ihre fleischigen Knie, sodern einen Teil ihrer ebenfalls recht fleischigen Schenkel zeigte. Hatte Gaston daher seinen Komplex mit ,cuisses dodues`? Serge gab ihr ein Küßchen auf den Ausschnitt und bemerkte, sie sehe göttlich aus, was wir anderen nur bestätigen konnten.

Etwas spät fiel Serge ein, daß es die Höflichkeit gebot, auch mich göttlich zu finden.

Auguste fragte mich besorgt, ob es mir mit dem langen Rock nicht zu heiß werden würde. Als Antwort schlug ich ihn auf und zeigte so, daß ich auch darunter in Form meiner Jeanspants vorzeigbar angezogen war. Als dabei für den Bruchteil einer Sekunde auch meine Beine sichtbar wurden, machte Serge ein bewunderndes „Oh!“

Inzwischen hatte Gaston das Auto aus der Garage geholt, Auguste ging nochmal ins Haus und kam mit einer offenbar schon vorbereiteten Kühltasche wieder und fragte rhetorisch:

„Wir machen doch auf dem Rückweg pique-nique?“

„,Avec carnaval?`“, fragte Serge.

Auguste wies ihn mit einem heftigen „Serge!“ zurück. Ich verstand nicht, was dies zu bedeuten hatte.

Das Haus und die Gartenpforte wurden umständlich abgeschlossen, und wir placierten uns ins Auto, die Herren vorn, wir Damens hinten. Gaston legte einen etwas hektischen Fahrstil an den Tag, und nach weniger als einer Stunde und vielen Erklärungen zu den kleinen Sehenswürdigkeiten auf der Strecke standen wir auf dem Marktplatz von Langres.

Diese Stadt ist wirklich ein Juwel. Wir spazierten durch die Straßen der Altstadt, ich als Fremde mit Gaston als Führer vorneweg, Auguste und Serge, die dies alles natürlich schon kannten, in lebhafter Unterhaltung hinterher, meistens händchenhaltend, wie wir Vorderen feststellen konnten, wenn wir mal nach hinten sahen.

Man kannte natürlich auch ein gutes Restaurant zum Essen. Auch dieses wurde in aller Ruhe genossen, und danach ging's zum Pique-nique ins nahe, in ganz Frankreich einmalige Wiesengebiet, dem einzigen nämlich, in dem die Maas entspringt.

„Auf Französisch heißt sie ,Meuse`“, belehrte mich Gaston mit verschmitztem Gesichtsausdruck, „ausgesprochen ,Mös`, aber das weißt du ja wahrscheinlich. „

„Ja, das weiß ich. „

Dies zwei- bis eindeutige Gespräch verstanden die anderen beiden zum Glück nicht.

Zur „Mösenquelle“ selbst, wie Gaston sich auszudrücken beliebte, fuhren wir nicht, sondern wir fanden einen geeigneten Pique-nique-Platz unter einem Baum, von dem Serge behauptete, es sei ,une orme` –„

„???“

„– eine Ulme“, übersetzte Gaston.

Da weit und breit keine Kirche und keine anderen Heiligtümer zu sehen waren, legte ich meinen Rock ab und picknickte in meinen Shorts. Da das ausgiebige Essen noch nicht lange zurücklag, aßen wir nur wenig, sprachen aber — außer Gaston, dem Fahrer — dem mitgebrachten Rotwein zu.

Ich hatte das Gefühl, unser Pique-nique habe erst angefangen, da gab Auguste Serge einen kaum merkbaren Wink, stand mit ihm auf und sagte zu uns Zurückbleibenden:

„,Nous allons un peu là-bas chez les buissons.

`“

Sprach's und zog mit Serge händchenhaltend und powackelnd in Richtung der etwa zweihundert Meter entfernten Büsche ab.

Ich sah Gaston fragend an, und er begann:

„Ja, Melanie, das hätte ich dir vielleicht auch sagen sollen –„

„– hättest du vielleicht, in der Tat –„

„Wir machen das jedes Jahr einmal, so einen Ausflug mit Nadine und Serge, und nachdem wir dich nun kennengelernt haben, ich dich so gut kennengelernt habe, haben wir mit Auguste gedacht, daß wir dieses Jahr noch einen zweiten solchen Ausflug machen –„

„Weiß Serge, daß wir –„

„Nein, aber er ahnt es wohl.

„Und bezog sich darauf auch das ,carnaval` bei der Abfahrt?“

„Ja –„

„Und was meinte Serge damit?“

„Na, was soll er schon gemeint haben?“

„Keine Ahnung! Nun sag schon!“

„In einem Jahr haben wir mal Partnertausch gemacht — Nadine hat das damals mit Serge sehr genossen, glaube ich –„

„– glaubst du — und warum ist Auguste diesmal so dagegen?“

„Aber Melanie!“

„Was heißt: ,aber Melanie?` Woher willst du wissen, ob ich Serge nicht vielleicht auch mal kennenlernen will.

Ich bin nicht dein alleiniger Besitz, wie du ja weißt. „

„Natürlich, Melanie, klar — aber ich glaube, Auguste betrachtet inzwischen Serge als ihren alleinigen Besitz. „

„Ach so –„

„Ich hab natürlich keinerlei Recht, dir solches zu verbieten. Wenn du willst, versuch nachher gern, Serge zu verführen, darin hast du ja, glaub ich, Übung. Aber Auguste wird das nicht zulassen, und Serge wird Angst haben, sie zu verlieren.

Ich glaube, es kriselt ein bißchen zwischen ihnen. „

„Den Eindruck hatte ich nicht. „

„Vielleicht hast du recht. — Und was machen wir, gehen wir zu den Büschen auf der anderen Seite?

„Meinst du? Auguste –„

„Auguste wird nichts anderes von uns erwarten. „

Und so machten auch wir uns zu einem nicht weit entfernten Gebüsch auf. Wir warfen noch einen Blick in die Richtung, in die Auguste und Serge verschwunden waren, aber da war absolut gar nichts zu sehen oder zu hören.

Wir fanden zwischen „unseren“ Büschen eine schöne Mulde, wir entkleideten uns als ein nun schon viele Tage eingespieltes Liebespaar unter vielen Küssen und Streicheleinheiten, nackt legten wir uns ins Gras, eine Decke mitzunehmen hatten wir vergessen, zurückblickend sahen wir, wie sich Serge, nur mit einem ausgebeulten Slip bekleidet, zu unserem Pique-nique-Platz schlich und sich eine Decke aus dem Gepäck fischte, diese Prozedur mußte Gaston nun nachmachen, und schließlich konnten wir uns ohne Ameisengefahr niederlegen, herzen und küssen und …

Gaston entlud schnell und heftig seine den Tag über aufgestaute Begierde nach mir, dann schlief er in meinen Armen ein, und ich ließ ihn schlafen und so Kräfte für die Rückfahrt tanken.

Ich weckte ihn erst auf, als ich durch die Büsche Auguste und Serge zu unserem Pique-nique-Platz zurückkehren sah. Gaston wollte's nochmal versuchen, aber ich flüsterte ihm zu: „Vielleicht nachher im Hotel!“

Gaston ließ es sich gefallen, wir zogen unsere wenigen Sachen an, reinigten unsere Decke von Grasresten, falteten sie zusammen und gesellten uns zu Auguste und Serge. Nach dieser Anstrengung futterten wir mit großem Appetit den Rest der Herrlichkeiten aus der Kühltasche und unterhielten uns lebhaft, nur nicht über unsere letzte Tätigkeit.

„,Pêle-mêle?`“ wagte Serge mit begehrlichem Blick auf mich zu fragen, bekam aber wieder nur ein böses “ Serge!“ zu hören. Irgendwo gibt es eine Grenze, nicht immer genau da, wo man sie vermutet. Ich unternahm keine Annäherungsversuche.

Als umweltbewußte Menschen verließen wir unseren Pique-nique-Platz so sauber, wie wir ihn vorgefunden hatten, und placierten uns für die Rückfahrt paarweise, das heißt ich auf dem Beifahrersitz, Auguste und Serge auf der Rückbank.

Unsere Gespräche waren recht anzüglich; es wurde auch der ,bergers` und vor allem der ,bergères` ausgiebig gedacht. Serge tätschelte fortwährend Augustes Knie und Beine. Gaston, der bei mir wohl gern Ähnliches gemacht hätte, hielt züchtig auch seine rechte Hand am Lenkrad. Nach einiger Zeit forderte Auguste ihn auf:

„Nun zier dich nicht, du siehst doch, auch Mélanie möchte gern gestreichelt werden. Die hast du nicht mehr lange, Mélanie reist ja leider bald ab.

Worauf ich mich über weitere Nichtbeachtung meiner Wanderbeine nicht mehr zu beklagen brauchte.

Gegen meine Erwartung wurde Serge nicht auch zum Abendessen eingeladen. Dieses verlief nach unserem inzwischen eingefahrenen Ritual inklusive Konzert; heute versuchte ich mich an der Französischen Suite in G-Dur. Ich verspielte mich ziemlich oft und erntete dennoch begeisterten Beifall.

Auch der Rest des Abends verlief nach bekanntem Muster: Taxi, Hotel, Zimmer, Liebe — aber diesmal waren wir nach dem Ausflug so müde, daß wir beide einschliefen.

Als ich einmal aufwachte und auf die Uhr sah, war es halb vier Uhr morgens. Dennoch aber meinte Gaston, es sei besser, er ginge noch nach Hause, als daß er bis zum Frühstück bei mir schliefe.

Am Montag Morgen weckt mich zu absolut unmenschlicher Zeit — schon um halb neun! — ein Anruf aus dem tiefsten Schlaf. Es ist Gaston, der mich mit verschlafener Stimme fragt, ob ich wieder zur Konferenz mit seinen Kollegen kommen möchte, die wieder ihren Streik besprechen wollten.

In einer Anwandlung von übertriebener Dankbarkeit und vor dem morgendlichen Einsetzen des Denkvermögens sagte ich zu, daß ich möchtete, und bereute das gleich, als Gaston aufgelegt hatte. Nun war es zu spät, ich wollte auch keinen Rückzieher machen, und so zog ich wohl oder übel mein Stadtkostüm an, frühstückte mit wenig Appetit und ließ mich von Gaston zur Konferenz abholen.

Die Diskussionen waren laut und heftig, ich verstand nicht alles, aber es kam mir vor, als ob jetzt mehr Lehrer gegen einen Streik waren als vor einer Woche.

Mir konnte es ja egal sein, ich sehnte nur sehnsüchtig das Ende herbei. Nach demselben führte mich Gaston keineswegs noch zu einigen versteckten und wenig bekannten Sehenswürdigkeiten, wie er es eigentlich versprochen hatte, nein: Er entschuldigte sich mit knappen Worten, er habe noch etwas auf dem Rathaus bei der Schulbehörde zu erledigen. Immerhin verabredeten wir uns zum Essen in einem Parkrestaurant am Rande der Stadt. Das konnte ich nun selbst nach dem Stadtplan suchen.

Da noch viel Zeit war, bummelte ich gelangweilt in diese Richtung, „entdeckte“ dabei noch eine der turmlosen gotischen Kirchen, die versteckt zwischen den Häusern stand, kam viel zu früh im Restaurant an und vertrieb mir die Zeit mit der Lektüre wohl aller wichtigen französischen Blätter, die mir der freundliche Kellner nach und nach an meinen Tisch brachte, zusammen mit jeweils einem Glas Mineralwasser.

Endlich — ich war schon beim „Observateur du Midi“ angelangt, erschien Gaston in bester Laune, die sich dann auch auf mich übertrug.

Gaston freute sich als immerhin französischer, aber doch pflichtbewußter Beamter darüber, daß aus dem Lehrerstreik wenigstens diesmal wohl nichts werden würde. Wir aßen mit gutem Appetit, und bald drängte es Gaston zu der nun schon zur Gewohnheit gewordenen nachmittäglichen Siesta in meinem Hotelzimmer. Daß die Mannsbilder auch nicht genug von uns Weibern kriegen können! Nun ja, dies ist ja auch ein Zeichen guter Gesundheit, und man kann es drehen und wenden, wie man will: Gaston war ein lieber Kerl, wie man ihn als Frau gern um sich hat, ,en lieig e can sui vestida`, wie die Trobairitz Beatriz de Dia so schön sagt.

Gaston wollte lieber mit einem Taxi fahren, um im Hotel mehr Zeit zu haben, aber ich, die ich als Frau ja das Sagen hatte, ob, wann und wie, bestand darauf, zu Fuß durch die Altstadt zu gehen. Dabei kamen wir wieder bei der von mir „entdeckten“ Kirche vorbei, und Gaston erzählte mir brav von ihrer Geschichte und daß es eine der Kirchen war, die er mir an jenem denkwürdigen Nachmittag, „an dem wir ein Paar geworden sind“, „ich erinnere mich dunkel — war da was — was Besonderes?“, und es folgte eine Kußorgie auf offener, leider oder zum Glück fast menschenleerer Straße — ja, die er mir damals aus dem Fenster meines Zimmers gezeigt hatte.

Obwohl wir nicht schnell gingen, kamen wir bald zum Hotel.

„Trinken wir noch ein Glas Wein im Restaurant?“, fragte ich.

„Ich laß uns eine Flasche feurigen Rotwein aufs unser Zimmer bringen“, antwortete Gaston.

„Wieso eigentlich ,unser Zimmer‘? Es ist, denke ich, immer noch mein Zimmer — und außerdem, was heißt ,feurig`? Was hast du denn vor außer einem Nachmittagsschläfchen? Du mußt doch nach dem gestrigen Ausflug und dem heutigen turbulenten Vormittag hundemüde sein?“

„Nicht so hundemüde, daß ich nicht meiner lieben Mélanie den — den — mit meiner lieben –„

„– den Hengst machen könntest — du kennst also den Film?“

„Wer kennt den nicht? –„

„– und wie das dann über den Lautsprecher über die ganze Straße tönt — super — du willst es also noch einmal wieder versuchen?“

„– wenn ich darf –„

„Ich werd's mir überlegen.

Also bestell schon den Wein und komm rauf — ich bin nämlich auch hundemüde — heute den ganzen Tag erst bei der Konferenz –„

„– ja, ich hätte dich wohl nicht dazu rufen sollen –„

„– nein, hättest du nicht, in der Tat — und dann mußte ich mich den ganzen Nachmittag langweilen und alle blöden Zeitungen lesen — soll ich dir von dem trickreichen Bankraub in Meyrueis erzählen?“

„???“

„– oder von den skandalösen Umständen der Bürgermeisterwahl in — wie hieß das Kaff noch — im Département Charentes?“

„Laß es gut sein — ich hätte dich nicht so lange allein lassen sollen, ich weiß, entschuldige bitte –„

Und ich entschuldigte es ihm, indem ich ihm um den Hals fiel und ihn nach Strich und Faden abküßte.

Wir waren bei meinem Zimmer angekommen, und zu spät merkte ich, daß ein Zimmerkellner mit unserem Wein in gebührendem Abstand darauf wartete, daß wir fertig würden. Er verzog keine Miene; erst als ihm Gaston aus seiner gehobenen Stimmung heraus ein überreichliches Trinkgeld gab, lächelte er freundlich und gab mit einem „,Trop!`“ einen der beiden Zehn-Franc-Scheine zurück.

Dies hob Gastons Laune zum Fast-geht-nicht-mehr, er schmiß mich, als der Kellner nach Anordnung zweier gefüllter Gläser auf dem Tisch das Zimmer verlassen hatte, aufs Bett, ging dann aber mit seinen Händen unter meine Bluse und unter meinen Rock und prüfte, ob noch alles Wesentliche da war.

Es war noch alles da. Damit ließ er es erstmal bewenden, wir erhoben uns vom Bette und schritten zu Tische, ich mit leicht schief hängendem Kostüm, setzten uns, genossen den Blick auf die Stadt, stießen auf unsere Freundschaft

„– und das ,coucher ensemble` –„

„Gaston, ich bitte dich, es könnte uns jemand hören!“

— darauf also stießen wir an, warfen uns verliebte Blicke zu, vergaßen unsere Ehegesponse — ich jedenfalls, muß ich ehrlich zugeben –, rückten näher zusammen, begannen uns zu streicheln und zu umarmen und dabei den einen oder anderen Knopf zu lösen, der Frechdachs von Gaston ging auch bald an den Reißverschluß meines Rockes und benutze diese Bresche zum Vordringen an meine Scham — „,Ma très, très chère demoiselle déchue`“, sagte er immer wieder, wir küßten uns Zunge, wir standen kurz auf und küßten uns weiter, dann diffundierten wir, uns nach und nach entkleidend, wieder in Richtung Bett, wir schmissen auch unsere Slips weg, warfen uns auf die Lotterliege, umarmten uns innig, und ohne Vorspiel — aber wer sagt's denn: Die ganze letzte Stunde war ja ein einziges Vorspiel! — drang Gaston ein und brachte mich und sich mit minimalen Bewegungen zu einem weißglühenden Höhepunkt.

Vielleicht sind die Franzosen ja wirklich die begnadeteren Liebhaber? Vielleicht auch nicht — jedenfalls war dies eine begnadete Liebesstunde.

So begnadet, daß es und beide nach einer Reprise verlangte, was ich Gaston frauenuntypisch ehrlich eingestand. Wozu also hatten wir noch reichlich des feurigen Rotweins? Wir schenkten uns ein und legten uns mit den Gläsern bewaffnet nackt wieder aufs Bett. Ich beobachtete, wie Gastons Glied nicht den absoluten Tiefpunkt erreichte, wie er für einen zweiten Akt eigentlich von Vorteil wäre, wohl weil sich der Gute nicht an meinem Hüftschwung sattsehen konnte, der ja bei uns Frauen, wenn wir auf der Seite liegen, besonders lieb- und sexreizend ausgeprägt ist.

Um ihn noch weiter aufzureizen, bewegte ich meine Schenkel ein wenig auf natürliche Weise, hob aber auch etwas weniger natürlich einen Schenkel bis zur Senkrechten an und gewährte so Gaston einen unwiderstehlichen Einblick in meine noch tiefrot erregte Furche, Gaston konnte sich aber noch einige Momente zurückhalten und mußte es wohl auch, denn er war noch nicht wieder voll erstarkt.

Das ließ aber nicht lange auf sich warten, und Gaston nahm mich in der entspannte Seitenlage und versuchte, an seinen vorigen Erfolg anzuknüpfen und nur minimalste (verzeiht einer Deutschlehrerin unter den obwaltenden Umständen bitte diese Wortbildung!) Bewegungen zu machen.

Die minimalsten Bewegungen gelangen Gaston perfekt, und ich hatte bald einen wunderschönen Orgasmus — nur für Gaston rechte es jetzt beim zweiten Mal hintereinander so nicht, und er begann, schneller zu ficken, zu nageln, er tastete mit seiner freien Hand nach seinem Schwanz und meinem Kitzler, um sich weiter aufzutörnen, dabei brachte er mich wieder zur Weißglut und zum dritten Orgasmus, sich selbst aber noch nicht, sein Atem ging schneller und schneller, hätte ich nicht gewußt, daß er auch ein großer Sportler ist, ich hätte Angst um ihn haben müssen, urplötzlich wechselte er wieder zu einer langsameren Gangart, seine Eichel wuchs, so schien es mir, zur doppelten Dicke — und es quoll, und es quollen noch unzählige Nachschläge seiner weißen Freude — und wenn es diesmal ein Kind geworden sein sollte, dann wäre es ein Wunschkind gewesen; zwar war der Wunsch recht spät angemeldet, eigentlich erst gegen Ende dieses Superaktes, aber angemeldet ist angemeldet.

Ich war so hin und weg, daß ich gar nicht merkte, wie uns Gaston den Rest des Weines brachte. Stolz sah er seine nun auch unter seinen Liebeskünsten mehrfach gefallene ,demoiselle` an, und er hatte Recht auf seinen Stolz, seine übrigen Weiber konnten froh sein, einen solchen Liebhaber zu haben. Als immerhin auch wissenschaftliche Menschen begannen wir wieder, unsere jüngsten Erlebnisse zu analysieren, dabei mußte ich feststellen, daß der gute Gaston nur zwei meiner Orgasmen mitbekommen hatte — er mußte also auch noch lernen, oder wahrscheinlich war er voll damit beschäftigt, den eigenen Höhepunkt zu erklimmen.

Gaston outete sich dahingehend, daß der Quasi-Stillstand bei der Ejakulation zu seinem Repertoir bei besonders glücklichen Akten gehört —

„– ich bin sicher, auch als ich meine beiden Kinder gezeugt hab –„

„– das könnte diesmal auch passiert sein –„

„– sag bloß –„

„– ich hab so ein Gefühl –„

„– das würde mir nun gar nicht passen — mit Auguste –„

„– mir auch nicht, mit meinem Beruf, und meinem Dieter mit einem Kind von einem anderen kommen, das ist was anderes als mal fremdzugehen –„

„– klar, das versteh ich natürlich –„

„Aber das laß dir gesagt sein: Wenn ich schwanger sein sollte: Wegmachen lasse ich es nicht!“

„– und du hast so ein Gefühl? Das hatte Auguste auch immer –„

„Wir werden auch das überleben — ohne oder wahrscheinlicher mit Auguste, ohne oder wahrscheinlich mit Dieter –„

„Wenn –„, druckste Gaston herum.

„Ja?“

„Wenn — wenn das deswegen mit Auguste auseinandergehen sollte — würdest du dann meine Frau werden wollen?“

„Nun mach's mal halblang! Erstens hat die Pille bei mir bisher immer funktioniert, und zweitens, ja, was zweitens?“

„Ihr habt euch doch mit Dieter auch ziemlich auseinandergelebt –„

„Ja, vielleicht, aber nicht so sehr, daß ich nicht hoffe, daß es wieder besser wird — so schlimm ist es ja nun auch nicht zwischen Dieter und mir, wir haben eben unsere Freiräume, sonst wäre ich nicht hier — aber ich habe durchaus nicht den Eindruck, daß ihr euch auseinandergelebt hättet.

Also rede bitte nicht von so was!“

„Ich meinte ja nur –„

„Jetzt mein mal nicht so was, sondern ziehen wir uns an; Auguste wartet wahrscheinlich schon auf uns. „

Das tat sie wirklich, und ihr freundlicher, aber wissender Blick ging mir durch und durch; man sah uns wohl an, daß wir eine besonders schöne Liebesstunde verbracht hatten. Auguste aber benahm sich so, als wüßte sie von nichts, und dirigierte Gaston und mich in gewohnter Manier zum Helfen beim Decken des Abendbrottisches.

Beim Essen erkundigte sich Auguste wohl absichtlich nicht nach unserem Tagesablauf, um uns nicht in die Verlegenheit zu bringen, entweder die Wahrheit zu sagen oder Geschichten von stundenlangem Eisessen oder Ähnlichem zu erfinden. Für das Konzert nach dem Essen bat Auguste um einen Couperin, der habe ihr am besten gefallen, und dann wurde besprochen, was wir an meinem letzten Ferientag unternehmen sollten.

„Ich falle leider aus“, sagte Gaston mit trauriger Miene, „ich muß wieder zur Schulbehörde.

„Du Ärmster, dann muß es ja wirklich was Wichtiges sein“, meinte Auguste cool und fuhr fort: „Dann hab ich Mélanie ja mal für mich allein — hättest du Lust auf einen Einkaufsbummel?“

„Gern“, sagte ich, „aber ich weiß nicht, ob ich genug Geld mithabe. „

„Ich kenne einige gute, preiswerte Boutiquen, und da kaufen wir dir was Schönes — ich mir auch. „

„Und ihr könnt auch mal ungestört von Frau zu Frau reden“, meinte Gaston.

„Worauf du dich verlassen kannst! — So, Gaston, jetzt bringst du unsere Mélanie ins Hotel, und du, Mélanie, kommst dann so um zehn oder halb elf zum Frühstück. „

Abschiedsküßchen, Taxi, Hotel, Zimmer. Nachdem wir uns unter vielen Küssen ausgezogen und in enger Umarmung aufs Bett geworfen hatten, müssen wir gleich eingeschlafen sein, denn so fanden wir uns vor, als wir gegen halb ein Uhr aufwachten. Wir waren beide noch so sex-befriedigt, daß wir uns nur streichelten.

Als aber Gaston gegen halb zwei zu Recht meinte, er solle jetzt wohl allmählich nach Hause gehen, überkam ihn doch die Begierde, und er nahm mich schnell und zart. Für einen weiteren Höhepunkt meinerseits reichte es nicht, aber ich ließ Gaston dies nicht merken, sondern sagte, während er sich hastig anzog:

„Dies war als krönender Tagesabschluß nochmal ein schönes Quaqui. „

„Quaqui — Quaqui — ist das was lateinisches — kenn ich gar nicht?“

„Altlatein — vor den frühesten schriftlichen Zeugnissen — es steht für Quasi-Quickie.

Es dauerte eine Weile, bis Gaston begriff; dann fragte er besorgt:

„Hast du nicht –„

Mit Schlafzimmerbklick fiel ich ihm ins Wort:

„Es ist alles in Ordnung! Geh nur, vielleicht mußt du zu Hause auch noch mal deinen Mann stehen. „

Als Gaston dies nicht gleich verstand, machte ich von hinter der Tür, wo ich nackt stand, eine obszöne Geste und schob ihn auf den Gang.

Als ich allein war, legte ich mich mit weit gespreizten Beinen aufs Bett, fingerte mich zum Höhepunkt und schlief gleich ein.

Am nächsten Morgen stand ich wieder vor der Frage: Wie sollte ich mich für den Stadtbummel mit Auguste anziehen, seriös oder sexy? Als Kompromiß wählte ich einen leichten hellblauen Sommerrock, der fast, aber auch nur sehr fast, bis zum Knie reichte, und eine weiße leichte Bluse, von deren eng gesetzten Knöpfen ich je nach Schicklichkeitsanforderung mehr oder weniger offen lassen konnte.

Keinen BH — oder doch lieber mit? Nein: Dann hätte ich mir höchstens zwei Knöpfe offenlassen können, und das bei der Hitze, also ohne BH.

Auguste hatte den Frühstückstisch auf der Terrasse fast fertig gerichtet. Sie ging oben ohne mit einem dunkelblauen Bikinihöschen.

„Zieh doch deine Bluse hier auch aus und verschwitz sie nicht. Hier kann uns praktisch niemand sehen, höchstens von einer Wohnung aus dem Block da hinten durch den schmalen Zwischenraum zwischen den beiden Bäumen.

So wippten unser beider nicht mehr so ganz taufrische Busen frei in der hellen Morgensonne, wenn wir uns Tee, Kaffee, Brot, Butter, Käse oder Honig zureichten.

Als wir fertig waren, räumte ich die Frühstückssachen in den Eisschrank, und Auguste ging sich anziehen. Sie erschien in einem schicken weißen Hosenanzug, die Hosen spannten sich vielleicht ein wenig zu eng um ihre fleischigen Schenkel.

„Kann ich so gehen?“, fragte sie sicherheitshalber.

„Natürlich kannst du das, meinst du wegen hier?“

„Ja“, hauchte Auguste, „ich weiß nicht und unser Arzt auch nicht, woher ich diese dicken Beine bekommen habe, das ist erst seit drei oder vier Jahren, und ich bin ja noch nicht ganz so weit. „

„Meinst du die Menopause?“

„Was denn sonst?“

„Hast du etwa Angst davor?“

„Du nicht?“

„Nö!“

„Ich eigentlich auch nicht.

„Endlich freier Sex!“

„Na, du bist mir eine!“

„Man muß doch auch das Positive sehen! — Aber jedenfalls: Natürlich kannst du so ausgehen. „

„Aber einige meiner Hosen und auch Röcke, die ich immer gern angezogen haben, die kann ich jetzt nicht mehr tragen. Vielleicht passen sie dir, wir haben ja fast gleich lange Beine, du kannst nachher mal einiges anprobieren.

Der Stadtbummel mit Auguste war auch interessant, sie sah die Stadt aus einem anderen Blickwinkel als Gaston, gar nicht so sehr aus dem Blickwinkel einer Frau, aber aus dem einer Person mit sozialem Denken:

„Sieh mal, nirgends Abschrägungen für Rollstuhlfahrer, ihr seid da in Deutschland schon viel weiter. „

Und die staubigen Straßen und das wenige Grün, aber natürlich auch die schönen alten Häuser und Kirchen.

„Würdest du lieber in Paris leben wollen?“

„Um Gottes willen!“

Wir landeten schließlich in Augustes Lieblingsboutique, wo sie mit Umarmung und Küßchen von der Chefin begrüßt wurde. Auguste war sehr um mein textiles Wohl bemüht. Als erstes meinte sie, ich müßte meinem Dieter doch etwas bieten und suchte mir eine schwarze spitzenbesetzte Reizwäschengarnitur aus. Dann zerrte sie mich zu den Sommerröcken.

„Du kannst doch noch auch kürzere Röcke tragen!“

„Aber wenn nicht Hosen, dann trage ich nur fast immer kurze Röcke und hab den ganzen Schrank voll davon.

Ich würde mir gern mal wieder einen neuen langen weiten Rock kaufen. „

„So was gibt es hier auch“, sagte Auguste und führte mich etwas weiter.

In meiner Größe sah ich sofort einen weißen Plisseerock, nahm ihn in die Kabine, zog ihn an, ließ mich von Auguste und der Chefin bewundern, zog mich wieder um, kaufte den Rock auf der Stelle und ließ ihn mir einpacken.

„Wenn ich dich so sehe“, sagte Auguste nachdenklich, „dann könnte ich auch mal so etwas anziehen.

— Haben Sie diesen Rock auch noch in meiner Größe?“

„Ich sehe hinten mal nach“, sagte die Chefin diensteifrig, verschwand hinter einer Vorhangtür und kam nach einiger Zeit mit einem ebensolchen, für Auguste um ein Weniges weiteren Rock zurück. Auguste zog ihn in der Kabine an, kam heraus, betrachtete sich im Spiegel, fand sich selbst in diesem Rock überraschend elegant, auch ich fand Auguste elegant, aber es war mir nicht überraschend, und auch Auguste kaufte sich diesen Rock sofort.

„In diesen Röcken könnten wir als Schwestern durchgehen“, meinte Auguste, als wir wieder auf der Straße standen, und wir neuen „Schwestern“ küßten uns zur Verwunderung der Passanten.

Bei dem Eis, mit dem wir unsere neuen Errungenschaften feierten, alberten wir herum:

„Schwesterherz“, sagte Auguste, „sollen wir uns nicht, wenn Gaston nachher nach Hause kommt, unsere neuen Röcke anziehen?“

„Und sehen, ob Gaston uns auseinanderhält?“

„Bestimmt nicht, der sieht immer nur auf die Beine und Röcke“, lachte Auguste.

„Viel vom Bein ist ja nicht zu sehen, und die Röcke sind die gleichen. „

„Aber er ist ja ein lieber Kerl. „

„Das ist er; ,il est un garçon à grosses couilles — mais moi aussi, j'en ai profité` — er ist ja, wie er ist, auch mit seinen Weibergeschichten, aber ich bin ja auch nicht gerade, was man sich unter einem Engel vorstellt. „

„Ich finde, ihr paßt toll zusammen, fest gebunden, aber doch tolerant.

„So könnte man es nennen. Ich hab dir ja gesagt: Verlassen würde er mich nie. „

„Ich will ihn dir ja auch gar nicht wegnehmen, das ist nur ein Ferienabenteuer für mich. “ Wohlweislich ließ ich seinen gestrigen halben Heiratsantrag unerwähnt, aber neugierig war ich schon, und so fuhr ich fort: „Wie ist eigentlich Nadine?“

„Ach die — ,je ne sais pas ce que Gaston trouve à cette gonzasse sauf son con`; die ist so dumm, mit der kann man kein vernünftiges Wort reden außer über die Seifenopern, die sie immer im Fernsehen sieht, aber irgendwas muß sie haben, daß Gaston nicht von ihr loskommt.

Serge findet sie auch furchtbar und hat letztes Jahr bei unserem Ausflug sogar darauf verzichtet, mit ihr in die Büsche zu verschwinden. Nadine war schwer beleidigt. „

„Warum hast du denn vorgestern Serge zurückgepfiffen?“

„Hättest du ihn denn gern näher kennenlernen wollen?“

„Nicht unbedingt. „

„Na also!“

Wir aßen unser schon fast völlig geschmolzenes Eis auf, dann sagte Auguste in zaghaftem Ton:

„Du, Schwesterchen –„

„Ja, ,ma soeur` –„

„Hattest du schon einmal eine Affäre mit einer Frau?“

„Ja, das hatte ich.

„Ich noch nicht. Wie war's denn?“

„Schön. Einfach schön. Eine Kollegin hat mich verführt, als wir bei einer Tagung im selben Zimmer schliefen. Ich würde sagen, es war nicht nur Sex, Hilde war — und ist wohl noch — eine ganz liebe Frau. „

„Weiter war dann aber nichts?“

„Nein, es war auch nur eine Art Ferienabenteuer, aber eines, an das ich mich gern erinnere.

Wir vertieften dies Thema nicht weiter, sondern brachen nach Hause auf. Unterwegs aßen wir noch einen ,Hot dog`, wie auch die Franzosen sagen trotz allen Bemühungen des Kulturministeriums um die Reinhaltung der französischen Sprache, und zu Hause sanken wir erst einmal erschöpft in die Sessel. Ich stand als die jüngere noch einmal auf und brachte uns kaltes Mineralwasser aus dem Kühlschrank, und nachdem sie zwei Glas getrunken hatte, stand Auguste auf und verschwand mit den Worten: „Ich zieh mich mal um“ ins Schlafzimmer.

War ich wirklich so sehr erstaunt, als sie bald darauf in durchbrochener Reizwäsche in der Tür erschien und fragte:

„Versuchen wir's mal, zeigst du mir's mal?“

Nein, so sehr überraschend kam das nicht. Schnell zog ich meine wenigen Kleidungsstücke aus, schmiß sie in eine Ecke und sagte:

„Ich sollte aber erst einmal den Schweiß abduschen — oder sollen wir zusammen duschen?“

Das wollte Auguste nicht, sie legte sich schon aufs Bett und wartete, bis ich sehr bald aus dem Badezimmer erschien.

Ich legte mich neben sie auf ihre rechte Seite, so daß ich sie wie die meisten meiner Liebhaber auf meiner Linken hatte, und wir begannen sofort mit einem zarten Liebesspiel. Ich tat alles, was ich von meinen männlichen Gespielen gerlernt hatte: Ich streichelte Auguste an allen Körperstellen, besonders an den gewissen, ich vergrub meinen Kopf in ihrem Busen, ich zeichnete ihre Rundungen nach, und auch Auguste tat Entsprechendes an mir. Langsam arbeiteten wir uns zum Zentrum vor, und dort angelangt, fragte Auguste verwundert:

„,Est-ce que tu es circoncise?`“

„,Non, ma chére, mais ma clitoris est très petite.

`“

„,Ton clitoris`“, verbesserte mich Auguste mit einem Kuß, „,mais nous aussi disons ,clit`, substantif masculin. `“

„,Clit masculin, mais queue feminin — curieux –` „

„–. correspondant aux personnes qui s'intéressent des parts respectives. `“

„;Est-ce que tu t'intéresses des queues de tes amants — ou davantage d'être caressée?`“

„– ,davantage, tu as raison!`“

Nach kurzer Zeit konnte sie feststellen:

„,Ton clit — il croît!`“

Das merkte ich auch, und dazu trug bei, daß ich nun schon eine Weile ihren recht großen Knubbel mit zarten Fingern umkreiste.

Auguste begann schwerer zu atmen, sie hauchte: „,Ne pas cesser, te prie!`“, sie stönte, gab unartikulierte Lustlaute von sich, schließlich schrie sie auf, bäumte ihren Oberkörper auf, noch mehr Feuchtigkeit umgab meine Finger, sie wälzte sich zu mir, küßte mich wild und sagte, noch atemlos: „,Merci, ma soeur!`“

Dabei war sie noch immer an meiner viel kleineren Perle zugange, und ich wiederholte ihre Worte: „,Ne pas cesser!`“ Ich genoß ihr zartes, aber aus Mangel an Erfahrung etwas ungeschicktes Streicheln, fügte Mund auf Mund zum Zungenkuß, konzentrierte mich auf meinen Anstieg kam alsbald ohne Lustschrei, schloß meine Schenkel um Augustes Hand und setzte den Kuß mit einem leichten Nicken fort.

Nachdem wir wieder zu Atem gekommen waren, legten wir uns entspannt nebeneinander, die Beine leicht, aber doch schon obszön, gespreizt, genossen, wie ein kühler Durchzug uns auch dorten umfächelte und hielten Händchen auf Augustes Stoppelfeld; ihre letzte Rasur lag wohl einige Tage zurück. Sollte es sein, daß sich Gaston mir zuliebe täglich oder sogar mehrmals täglich rasierte, denn ihn beziehungsweise seinen Venus- beziehungsweise seinen Marshügel kannte ich nur spiegelglatt.

So hingegossen erwischte uns Gaston, als er nach Hause kam.

Auguste machte keinerlei Anstalten, eine anständigere Haltung einzunehmen, als sie Gastons Schlüssel in der Tür hörte. Gaston war ein bißchen — ein ziemliches bißchen — verwundert, als er uns so liegen sah, und Auguste sagte cool:

„,Avant que tu poses des questions: nous avons fait l'amour!`“

„Ich hätte es auch nicht besser sagen können“, ließ ich mich etwa fünf Minuten später vernehmen, als Gaston mit dem Staunen immer noch nicht fertig war.

Auguste ließ ihren Gaston nicht ganz so lange warten:

„,Viens donc chez nous`“, sagte sie, „,et montre ta puissance virile!`“

Es dauerte eine ziemliche Weile, bis Gaston begriff, was sich hier abspielte. Dann zog er sich schnell aus — und blieb mit halber Erektion fragend stehen. Auguste drehte sich zur Seite, rollte sich zusammen, zog die Beine an und bot Gaston in drastischer Deutlichkeit ihre Spalte zwischen ihren Schenkeln dar.

Sie mußte noch einmal „,Viens donc!`“ sagen, bevor sich Gaston sich dazu bequemte, sich hinter sie zu legen und ihrem ehelichen Wunsch nachzukommen.

Ich wollte dezent verschwinden und die beiden allein lassen, aber Auguste flüsterte mir zu:

„,Reste chez nous, te prie, Mélanie!`“

Und während sie sich mit seligem Gesichtsausdruck bedienen ließ, flüsterte sie noch:

„,J'avais besoin de cet contrepoison — excuse-moi, ma chère!`“

Gaston wandte auch mit seiner Auguste seine Kunst des bewegungsfreien Spritzens an.

Ich konnte nur an Augustes hinschmelzendem Gesichtsausdruck merken, wann sie seinen Erguß spürte. Nur wenige Sekunden später wiederholte sie mit erstaunlich sachlichem Ton, aber mit einer Hand mich streichelnd, ihre Worte:

„,Jamais Gaston ne m'abandonnera!`“, und Gaston sekundierte mit einem „,Jamais!`“

Mir kamen die Tränen, und ich sagte:

„Ich will euch doch auch gar nicht auseinanderbringen. „

„,Je sais, entre-temps!`“, sagte Auguste, und gab mir einen Kuß.

Sie brauchte nur eine kurze Erholungsphase, dann wurde sie sachlich, und sie fragte mich:

„,Est-ce que tu as déja vu un couple foutant?`“

Gaston glaubte mir erklären zu müssen:

„,Foutre` heißt fi –„

„Ich weiß, was ,foutre` heißt, ,faire l'amour` –„

„Warum läßt du mich nicht ausreden? Ich wollte dir nur noch sagen: heute sagt man ,baiser`, ,foutre` ist fast schon literarisch –„

„,Tu exagères un peu`“, warf Auguste lachend ein.

„– aber es gibt natürlich auch dafür noch ganz andere Ausdrücke, ,tringler` par examp‘ und –„

„,Ne pervertis pas notre Mélanie`“, unterbrach ihn Auguste.

„Ich dachte, Mélanie wollte Französisch lernen –„

„– ja — schon — aber — aber lassen wir das — um darauf zurückzukommen“, nahm ich den Faden wieder auf, „nein, so etwas hab ich noch nicht gesehen — oder — nein, bei unseren Schüler- und Studentenfeten waren wir noch so schamvoll, ,que nous nous sommes retirés derrière les buissons`.

Und ihr?“

„,Nous aussi, nous n'avons jamais vu des couples baisants, moi, en tous cas, mais tu, Gaston tu as raconté d'un swingerclub à Bremen` –„

Gaston in einem Swingerclub! Was waren wir jungen Damen inclusive Trudi und mir damals noch für Klosterschülerinnen! Swingerclubs, das waren für uns weeß Knäppchen nicht mehr ganz unerfahrenen Dinger etwas wie von einem anderen Stern, nicht wie unsere heißen Jugendfeten, nein, gestandene Erwachsene bumsen durcheinander, das mußte doch furchtbar sein — oder aber furchtbar geil? Wir tuschelten uns mal wieder die schauerlichsten Geschichten zu, bis ich in einem von Dieters Playboys diesen Witz fand, wodurch alle wir grünen „Mädchen“ das ganze Swingerwesen wieder mit normalen Augen sagen: Frage: „Was ist Chaos?“ Antwort: „Wenn beim Gruppensex der Unterste zum Telephon gerufen wird.

“ Kommentar für die Anwendung im Geschichtsunterricht: Damals gab's noch keine Handys.

Nachdem mir dies durch den Kopf gewirbelt war, wagte ich zu bitten:

„Erzähl doch nochmal, bitte, Gaston!“

„Na, was soll ich erzählen? Viele Herren, wenig Damen, ,les hommes peuvent baiser, s'ils ont de la chance. Je n'avais pas de chance ce soir. `“

„,Mon pauvre`“, ließ sich Auguste vernehmen, „,mais au moins, tu as vu des couples en pleine action — je me peux l'imaginer.

`“

„,Assez`“, sagte Auguste nur wenige Sekunden später, „,je commencerai à préparer le dîner, et vous, vous pouvez faire ce que vous plaît — mais non — il serait mieux — ne veux-tu pas dormir ici, Mélanie?`“

„Ja, aber, das Hotel –„

„Das ist eine prima Idee“, sagte Gaston, „ich fahr dich schnell ins Hotel, du packst deinen Koffer, checkst aus und schläfst hier, und ich bringe Dich morgen früh zum Bahnhof.

„Tu das“, pflichtete Auguste bei, „dann haben wir nachher mehr Ruhe beim Essen und bei der Musik — du spielst uns heute doch noch was zum Anschied?“

„Ich kann ja mal nachdenken, was. „

Auguste zog sich nur ihre Reizwäsche an und verschwand in die Küche. Wir anderen beiden mußten uns stadtmäßig anziehen, was aber auch nicht lange dauerte. Heute ließ es sich Gaston nicht nehmen, mich in seiner eigenen ,voiture` zum Hotel zu fahren.

Gaston — was war mit ihm los? — machte keine Anstalten, mit mir in mein Zimmer zu kommen, sondern fragte nur:

„Wie lange wirst Du etwa zum Kofferpacken brauchen?“

„Ich denke, in einer halben Stunde bin ich fertig. „

„Dann warte ich so lange im Restaurant. „

„Wie du meinst — willst du nicht — bist du krank?“

„Nein, aber wir — wir sind ja dann alle bei uns zu Hause.

Aha, der Dreier sollte wohl fortgesetzt werden; ich konnte wohl annehmen, daß das mit Auguste abgestimmt war.

Ich ging also allein zu meinem Zimmer hoch, zog mich aus, wechselte zu einer der neuen sexy Wäschegarnituren, packte den Koffer, sah noch einmal auf den Zettel an der Tür, was das Zimmer pro Tag kostete, nahm aus meinem Portemonnaie die entsprechende Summe plus Reserve für die Extradienste, Mahlzeiten und Kühlboxinhalt, war nach achtundzwanzig Minuten fertig, ging mit dem Koffer die Treppe hinab und direkt zur Rezeption.

„,Votre note a déja été payée`“, sagte der Herr nur und machte eine minimale Kopfbewegung zur Restauranttür, in der gerade Gaston erschien.

Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, mir war zum Heulen, und ich rauschte, ohne ein Wort zu sagen, aus der Hotelhalle und gab Gaston nicht einmal Gelegenheit, mir kofferbeladenem Weibe die Türe aufzuhalten. Ich hörte nur noch, wie der Herr an der Rezeption in verwundertem Ton „,Au revoir, Madame!`“ sagte.

Draußen konnte ich nicht mehr an mich halten und schrie Gaston an:

„Wie konntest du das tun? Ich bin nicht so eine, die man — der man den Beischlaf bezahlen müßte!“

Allerdings: mich mit einem Taxi zum Bahnhof fahren lassen und dort bis morgens und halb sechs auf meinen Zug warten, das wollte ich nun doch nicht, und so stieg ich schmollend in Gastons Auto, aber auf die Rückbank.

Zu Hause angekommen, half mir Gaston in ausgemachter Höflichkeit beim Aussteigen und trug meinen Koffer ins Haus. Ich rauschte nicht mehr, sondern ging in die Küche zu Auguste, fing an zu weinen und sagte:

„Das geht doch nicht, daß ich mir von Gaston das Hotel bezahlen lasse, ich bin doch keine — keine –„

„– ,femme facile`“, sagte Auguste und umarmte und küßte mich, „nein, das bist du nicht, wirklich nicht, aber das haben wir, wir beide, ich und Gaston, so besprochen — nimm es für Deine liebe Gesellschaft und vor allem für die Musik, ,non pour le coucher-ensemble — tu es aussi gentille`“, und fast unhörbar flüsterte sie mir ins Ohr: „,tu es un peu plus que seulement un con comme Nadine.

`“

So ließ ich mir die Bezahlung der Rechnung doch gefallen, schmollte aus Prinzip noch ein wenig mit Gaston — der hätte mir den Durandschen Familienbeschluß ja schließlich vorher sagen können, aber am festlichen Abschieds-Abendbrotstisch war mein Groll vollständig verflogen, und wir ließen uns die Herrlichkeiten gut schmecken.

Irgendwann an diesem Abend muß ich übrigens auch Dieter angerufen und ihm mit Flötentönen die Zeit der Ankunft meines Zuges durchgesagt haben.

Nach dem Abendessen bot ich Auguste wieder an, ihr beim Abräumen und Abwaschen zu helfen, und wieder wurde mein Angebot abgelehnt. Vielmehr bat sie mich, ein Abschiedskonzert zu geben, und ich spielte zwei der c-moll- und C-Dur-Ordres von Couperin, den frühen und den ganz späten.

Ich wurde mit Beifall und Küssen belohnt, und dann ließ sich Auguste, die liebe Kupplerin, vernehmen:

„Ich möchte jetzt im Fernsehen noch eine Sendung über die franzözische Gesundheitspolitik und ihre Einbindung in die Europäische Union sehen; ihr könnt ja schon mal ins Schlafzimmer gehen — ich wollt sicher gern noch etwas allein sein –„

Dies kam selbst für Gaston ganz unerwartet — ich weiß nicht, wie er sich den weiteren Abend und die Nacht vorgestellt hatte — ich muß sagen: Ich hatte mir gar nichts Konkretes vorgestellt.

Und wirklich: Auguste setzte sich vor den Fernseher, winkte uns zu und sagte lachend: „,Fichez le camp!`“

Ich kannte diese Redewendung nicht und habe erst später in Hamburg verifiziert, daß sie einfach „Haut ab!“ bedeutet und nicht, wie zuerst fast vermutete, „Fickt mal schön!“

Wie auch immer, Gaston ließ es sich nicht zweimal sagen und schob mich vor sich her zum schon zerwühlten Ehebett. Er entblätterte mich hingebungsvoll, ließ sich dabei auch von mir streicheln und langsam ausziehen und bewunderte, als ich der Oberbekleidung entledigt war, meine Spitzen-Garnitur.

Scherzhaft stach er an immer gewagteren Stellen durch das durchbrochene Höschen, aber an Busch oder gar Spalte kam er so nicht. Während er in diesem Sinne herumprobierte, ließ er seine Hosen runter und präsentierte sich in einem halbdurchsichtigen roten Minislip, durch den ich sehen konnte, daß sein gutes Stück zwar noch in der Grundposition, aber schon blankeichelig war. Fast gleichzeitig faßten wir beide zart in den Slip des anderen, und während ich noch vorbereitend an Gastons Gliedchen spielte, hatte er schon zwischen meinen Beinen mein Lustzentrum gefunden, es ein paarmal umkreist — und ich schloß die Schenken und klemmte seine forschende Hand ein, denn ich hatte einen Orgasmus — oder war es nur ein Vorgipfel? Denn als wir uns nun aufs Bett legten, um den Akt ,baisant` zu beschließen, merkte ich, daß es mit mir immer noch aufwärts ging.

Gaston legte wieder seinen Ehrgeiz darein, sich und mich mit möglichst kleinen Bewegungen zu erregen, und so kam sein Erguß für mich recht unerwartet in einer Bewegungspause ganz kurz, nachdem wir uns niedergelegt hatten. Ich konnte gar nicht mehr meinen immer noch bestehenden Wunsch denken, daß die Pille vielleicht mal nicht funktioniere.

Nun waren wir also plötzlich fertig — das heißt: Gaston war fertig, aber wußte, merkte er, daß ich es noch nicht ganz war? Egal, was sollte ich darauf warten, ob er's merkt, ich nahm seine freie Hand und führte sie mit drastischer Deutlichkeit zwischen meine Schenkel.

Gaston begriff sofort, wollte mir aber seine phantasievollen Liebeskünste zeigen, streichelte mich nicht mit der Hand, sondern nahm die Neunundsechzig-Stellung ein. Während er mir mit geübter Zunge in wenigen Sekunden auf den Gipfel half, hielt er mir sein abschlaffendes Glied vor die Nase. Ich erbarmte mich seiner und lutschte etwas daran, kam aber nicht über die Verkleinerungsphase hinweg. Wir gaben es auf und kuschelten uns „nur“ einfach aneinander.

Wir müssen nach diesen ereignisreichen und anstrengenden Tagen bald eingeschlafen sein.

Ich wachte irgendwann auf, als Auguste zu Bett kam, ihren Gaston anstupste, damit er ihr mehr Platz mache, und sich neben ihn legte. Das Bett war breit genug für uns drei ; Gaston lag also in der Mitte, ich am Rand, und unsere Umarmung hatte sich im Schlaf gelöst. Bald war ich wieder eingeschlafen.

Und hatte einen Traum, den ich, seit ich nicht mehr Jungfrau war, in größeren Abständen immer wieder hatte.

In diesem Traum lag ich auf dem Rücken mit gespreizten Beinen, und über mich beugte sich ein eigentlich nicht unsympathischer Kerl, dessen Gesicht mir der Traum nicht zeigte, wohl aber sein Riesen-Glied. Er streichelte mich an Beinen, Bauch und Brüsten, aber wenn er mit seinem Riesen-Penis eindringen wollte, wachte ich regelmäßig schweißgebadet auf — und mußte ja schnell feststellen, daß alle Befürchtungen unbegründet waren. Wenn Dieter dabei manchmal auch aufwachte, tröstete er mich lieb, manchmal mit einer sanften Beiwohnung.

Diese Nacht aber — jetzt war wirklich ein Kerl über mir, aber nicht mit Riesen-Glied, sondern eher einem kleinen, und natürlich war es Gaston, der mich gleich freundlich fragte:

„Hast du etwas Schlechtes geträumt? Ich hätte dich schon geweckt, bevor –„

„– bevor du mich fickst, du Vergewaltiger, versuchst mich im Schlaf zu nehmen –„

„Nein, das wollte ich wirklich nicht; sieh mal, mit dem Zipfelchen kann ich keine Frau nehmen.

„Ich glaub dir ja“, sagte ich und erzählte ihm meinen Traum.

Der Gedanke an den Riesen-Penis half seinem ersichtlich auf die Sprünge, und weil es gut war, daß wir noch ein wenig schliefen, missionierte mich Gaston in einem sanften Quickie. Davon wachte auch Auguste auf und sagte verschlafen:

„,Dormez encore un peu. J'ai réglé le rèveil sur cinq heures. `“

Dann küßte sie mich noch einmal un murmelte etwas, das wie „,ma bonne fille`“ klang.

Ich konnte danach nicht mehr einschlafen und dachte über meinen eigentlich unmöglichen Frankreich-Urlaub nach. Wieder hatte ich ein Verhältnis angefangen, wieder mit einem verheirateten Herrn, und wieder hatte ich kaum moralische Bedenken. Ich hatte schließlich Auguste ihren lieben Gaston nicht weggenommen oder höchstens für ein paar Stunden, und war es nicht Auguste, die mich mehr als nur ein Mal eine „,bonne fille`“ genannt hatte?

Als um fünf Uhr morgens der Wecker klingelte, stand ich mit Auguste auf, duschte schnell, zog mein Reisekostüm und darunter die Spitzen-Reiz-Garnitur an — damit wollte ich Dieter überraschen — und half Auguste beim Zubereiten des Frühstücks.

Ich sah gleich, daß sie für mich zum Abschied eine Käseplatte vorbereitet hatte — die Gute, wohl während ich mit ihrem Mann im Bett war, mußte sie wieder mit Tränen in den Augen umarmen und „,je n'en mérite`“ sagen, ob das nun grammatisch richtig war oder nicht.

Währenddessen war auch Gaston fertig angezogen, korrekt mit weißem Hemd und Krawatte, und wir aßen unser letztes gemeinsames Frühstück — wohl deswegen waren wir sehr schweigsam, aber wie vor allem aus Augustes freundlichem Gesichtsausdruck abzulesen war, herrschte keine Verstimmung, im Gegenteil, sie kommunizierte nonverbal durch immer wieder applizierte Streicheleinheiten an Gastons und meiner Hand.

Und sehr rechtzeitig mahnte uns Auguste:

„,Il faut que vous vous en alliez maintenant! Toujours, les trains internationaux sont très ponctuels. `“

Die Gute dachte auch an alles! So hatten wir reichlich Zeit, und ausgiebig, kuß- und tränenreich zu verabschieden, bis die Zeit wirklich anfing knapp zu werden. Auch dies wollte Auguste noch loswerden:

„Komm doch bald einmal wieder — und mit Dieter!“

Schließlich ergriff Gaston resolut mit einem „,allons, enfants de la patrie`“ meinen Koffer, schmiß ihn ins Auto, mich hinterher auf den Beifahrersitz und bretterte mit leicht überhöhter Geschwindigkeit durch die morgendlich verschlafene Stadt zum Bahnhof.

Wir hatten so wieder einige wertvolle Minuten gewonnen, und Gaston konnte gemessenen Schrittes mit mir durch die Bahnhofshalle schreiten.

Hier fiel mir zum ersten Mal in meinem Leben bewußt ein besonderer Männerstolz auf. Männer können stolz auf ihre Leistungen sein, auf ihr Wissen und Können, auf ihr handwerkliches und geschäftliches Geschick, auf eine schöne Frau und auf wohlgeratene Kinder, auch auf die Reihe der von ihnen schon vernaschten Frauen — aber etwas noch ganz anderes ist der Stolz des Mannes, der neben einer soeben von ihm beschlafenen Frau daherschreitet.

Ich kann das nicht beschreiben, das ist ein Armutszeugnis! Ich sage doch meinen Schülern im Deutschunterricht immer: „Beschreibt eure Gefühle, versucht es wenigstens! Alle Gefühle kann man beschreiben, wenn man es will. “ Aber nein, für diesen speziellen Männerstolz fehlen mir passendere Worte als das Gestammel hier.

Gaston führte mich zu dem Bahnsteig, von dem der Marseiller Zug abfahren sollte, und wir erreichten ihn, als mein Zug gerade angesagt wurde.

Gaston half mir noch beim Einsteigen und beim Suchen eines unbesetzten Fensterplatzes, denn meine Platzkarte war wegen der Verschiebung meiner Rückfahrt leider verfallen, und daran, eine neue zu besorgen, hatten wir in unserem Liebesrausch nicht gedacht. Aber es fand sich ein Platz, sogar in einem Nichtraucherabteil, wir herzten und küßten uns zum allerletzten Abschied, Gaston kannte offenbar die Zeitintervalle zwischen den verschiedenen Pfiffen bei der französischen Staatsbahn, und der Zug fuhr genau in der Sekunde ab, als Gaston wieder auf den Bahnsteig gesprungen war und die Waggontür zugeschlagen hatte.

Ich winkte aus dem Fenster, solange Gaston noch zu sehen war, dann war diese denkwürdige Episode meines Lebens zu Ende.

Würde die Geschichte symmetrisch verlaufen, dann hätte spätestens an der nächsten Station ein netter Herr einsteigen müssen, der genau nach Hamburg fuhr. Aber dem war nicht so. Die Mitreisenden in meinem Abteil waren freundlich, aber schweigsam, sehr schweigsam, und in verschiedene Zeitungen und Zeitschriften vertieft. Nur ich sah nur aus dem Fenster und überdachte wieder und wieder die letzten zehn Tage.

Am meisten beschäftigte mich die Frage, was ich Dieter und was ich Gaston — und natürlich auch Auguste — sagen würde, wenn ich wirklich schwanger geworden sein sollte. Es war dies das erste und auch das letzte Mal in meinem Leben, daß ich das wirklich hoffte.

Dieter, als er mich brav abholte, war lustig und jovial wie fast immer, fragte mich noch auf der Fahrt zu uns nach Hause über meinen Dijon-Aufenthalt aus, ich übermittelte die Einladung der Durands an uns, und zu Hause wartete ein Dieters Kochkünsten entsprechendes wunderbares Abendessen auf uns: Miracoli, eines meiner Leibgerichte.

In der Nacht — ja, da entlud sich in mich eine zehntägige Enthaltsamkeitskur, ich ließ es gern geschehen, es war gegen Ende meiner ersten Ehe eine meiner schönsten Liebesnächte — und diese würde im Falle eines Falles das Problem einer etwaigen Schwangerschaft nachhaltig lösen. Ein etwas anderer Gesichtsschnitt des Babys: was bedeutet das schon!?

Aber pünktlich zum nächsten Neumond kam meine Periode. Schade.

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